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Politiker und andere ...

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Prof. Hans Seidel war noch nicht Staatssekretär, da kam er schon als Gast in die ORF-Pressestunde. Im Ver­lauf des Gesprächs deutete er die Mög­lichkeiten höherer Besteuerung des Ur­laubs- und Weihnachtsgeldes im Rah­men einer Steuerreform an. Mehr hat er nicht gebraucht...

Die Kommentare und Proteste bezo­gen sich nicht nur auf die mögliche Er­höhung der direkten Steuern oder auf Widersprüchlichkeiten in der Argu­mentation des Wirtschaftsprofessors, sie erstreckte sich auch auf seine Person und Rolle. Sein Vorschlag wurde als „grotesk“ gewertet, als Ausrutscher, der nur einem Nicht-Politiker passie­ren könne.

Manchen „Insider“ und politischen Beobachter konnte man - je nach Standpunkt hämisch, gequält oder mit­leidig - lächeln sehen. „So etwas wäre einem politischen Profi nicht über die Lippen gekommen.“ Und: „Das kommt davon, wenn man Fachleute und Nicht-Politiker beruft!“ konnte man hören.

Eben diese Reaktion stört mich. In ihr kommt eine unselige Trennung zwi­schen Politikern und „anderen Men­schen“ zum Ausdruck. Politiker agie­ren unverbindlich, geschickt und schlau; wenn sie „Profis“ sind, weichen sie Fragen aus, antworten an ihnen vor­bei, pendeln Angriffe routiniert aus und „besiegen“ die Gesprächspartner.

Andere Menschen, sogenannte Ama­teure, sprechen noch ihre individuelle Sprache, versuchen auf Argumente ein­zugehen - und geben sich damit Blößen, gelten als naiv und weltfremd. Manch­mal habe ich den Eindruck, wir bewun­derten die Geschickten, obwohl, ja viel­leicht weil wir wissen, wie souverän die schwindeln können, und verlachten die um Ehrlichkeit und Klarheit Bemüh­ten.

Es ist dies eine Spielart von Kasten­denken, das zutiefst unrepublikanisch ist. Gemäß dieser Auffassung spielt sich „die Politik“ in einem geschlosse­nen Zirkel ab, den man nicht ungestraft betritt. In der Politik agieren die vielge­lästerten und gleichzeitig bewunderten

Politiker, denen man nur allzuoft Fachkenntnisse und sachbezogenes En­gagement abspricht. Außerhalb stehen Fachleute und Normalsterbliche aller Wissensgrade, die geradezu stolz dar­auf sind, nichts mit Politik zu tun ha­ben.

In dummer Generalisierung erklärt man die Politik als schmutzig und als einen Bereich, von dem sich anständige Menschen besser fernhalten.

Es fällt einem im behaglichen Lehn­stuhl dieser Vorurteile gegen „die Poli­tik" gar nicht auf, daß man sich damit zum Verlust der eigenen Bürgerpflicht verurteilt. Anders als in gewissen Pha­sen der athenischen Demokratie kann einen heute nicht mehr das Los treffen, einen Verwaltungsposten für ein oder zwei Jahre auszufüllen. Sehr wenige Bürger würden in unserer komplizierte­

ren Welt die Voraussetzungen dazu mitbringen oder rasch erarbeiten kön­nen.

Aber berechtigt dies zur Apathie, zur Gefühllosigkeit gegenüber dem politi­schen Bereich und zur Skepsis gegen­über den „Laien“, die sich in ihre eige­nen und unser aller Angelegenheiten einmischen?

Politik ist nicht die Kunst des Mögli­chen, um die nächsten Wahlen zu ge­winnen, sondern der immer neue Ver­such, durch öffentliche Auseinander­setzungen über wichtige Fragen ge­scheite Entscheidungen zu erreichen und diesen dann als einer notwendigen Bedingung des zivilisierten Zusammen­lebens bis zum Auftauchen einer besse­ren Erkenntnis zu gehorchen. Und da sollen engagierte und facherfahrene Menschen keinen Platz haben, bloß

weil sie in keiner Parteiorganisation groß geworden sind?

Sie haben vielleicht nicht den Stall­geruch eines Parteilokals, keine Kennt­nis des Rituals von der Parteibasis aber sie haben ihre Lebensbasis, ihre - oft sehr anders entwickelte - Wirklich­keitserfahrung, ihre Sprache, die noch nicht in das Korsett des Parteijargons gepreßt ist, und ihre frische Motiva­tion.

Ich bewundere Menschen, die sich - oft aus recht „sicherer“ wirtschaftli­cher Position - in die Rand- oder Kern­bereiche des politischen Prozesses ein­mischen, die einem Ruf oder einer Be­rufung folgen, und zwar gerade in Zei­ten, in denen es um den Ruf der Politik nicht gerade glänzend bestellt ist.

Sie haben auch die Chance (wenn sie sich ihre innere Freiheit bewahren), zu­rückzutreten, wenn sie Entscheidungen nicht mitzuverantworten können glau­ben. Sie können sich eher an Problem- Voraussichten als an Partei-Rücksich­ten orientieren.

Mag sein, daß dies ein allzu optimi­stischer Standpunkt ist. Man mag auf Nicht-Politiker hinweisen, die politisch gescheitert sind. Ich verzichte auf Pole­mik und daher auf Namen. Aber erlei­det das Boot, in dem wir alle sitzen, nicht auch unter der Führung der soge­nannten Profis immer wieder Schiff­bruch? Und gibt es nicht auch positive Beispiele für die Arbeit „politisch Spät­berufener“?

Offene und probleminteressierte Po­litiker aller Ebenen haben immer wie­der versucht, neue originelle Mitwir­kende für das ernste Spiel der Politik zu gewinnen. Die politischen Parteien und die Bevölkerung sollten sich über diese Blutauffrischungen freuen und sie nicht mißtrauisch beäugen.

„Bunte Hunde“ (ich bitte alle um Verzeihung, die sich betroffen fühlen und das als negatives Stigma empfin­den) können eine graue Politik, die zwar „wie auf Schienen“ - aber in eine gewisse Richtung - fährt, auf neue Ge­leise bringen. Ich denke an so ungleiche Charaktere wie Stephan Koren und ei­nen Jörg Mauthe; eine Zeitlang hat man auch Präsident Rudolf Kirch­schläger zu den politischen Neuan­kömmlingen gerechnet.

Jetzt ist es Professor Seidel. Ich be­wundere sein republikanisches Engage­ment. Die Alpenrepublik braucht Re­publikaner und nicht nur Alpen.

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