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Politikflucht auch Medienschuld

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Massenmedien können dem einzelnen nicht die Entscheidungen abnehmen, die er auf Grund des Diskussionsprozesses treffen kann oder treffen sollte. Aber sie können den Entschei-dungsprozeß beeinflussen, indem sie Argumente in diese oder jene Richtung liefern. Ihr Einfluß beginnt freilich noch früher, nämlich bereits mit der Auswahl von Informationen und bestimmten behandelten Themen.

Schon Amitai Etzioni stellte fest, daß die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sehr schnell von einem Gegenstand zum anderen verlagert wird. Während die Auf-

merksamkeit von Eliten und Interessengruppen für die sie jeweils berührenden Probleme relativ stabil sei, wechsle die „aktive Öffentlichkeit" ihre Themen vergleichsweise rasch...

Als naheliegendes Kriterium (für die Themenauswahl) bietet sich das Ziel der Gewinnmaxi-mierung an. Die Auswahl von Nachrichten erfolgt demnach vorrangig nach ihrer Eignung zur Herstellung von Kauf anreizen.. • Das reicht jedoch nicht aus, um Themenselektion schlechthin zu erklären.

Wie Elisabeth Noelle-Neumann zeigte, lassen sich rein empirisch eine Reihe von Einflüssen nachweisen, die auch unter den Bedingungen von Pressefreiheit und publizistischer Vielfalt verhält-

nismäßige Gleichförmigkeit in den journalistischen Auswahlprozessen bedingen.

Dazu gehören etwa die übereinstimmende Tendenz der Selbstbestätigung der Journalisten, ihre gemeinsame Abhängigkeit von bestimmten Nachrichtendiensten, ihre starke gegenseitige Beeinflussung beim Aufbau von Bezugsrahmen und die große Rolle, die das Streben nach Beifall von Kollegen und Vorgesetzten in der beruflichen Praxis spielt. Im Vergleich dazu ist der Einfluß der Verleger/Herausgeber von sekundärer Bedeutung...

Diskussion in der Öffentlichkeit wird von den Medien schlicht mit Diskussion in den Medien gleichgesetzt. Für alle Medien ist es die natürlichste Sache der Welt, daß etwa die Reaktionen auf eine Fernsehserie daran gemessen werden, wieweit die Bevölkerung gegenüber dem Medium Fernsehen oder gegenüber Zeitungen reagiert, in Anrufen und in Briefen.

Die rein intern bleibende Diskussion in der Bevölkerung selbst, die ja die eigentliche Diskussion wäre, findet nicht mehr in

den Medien, damit nicht mehr in der Ersatzwelt und damit fast nicht mehr in der politischen Welt statt, obwohl es die eigentliche und wesentlich sein sollende Diskussion ist...

Die Auseinandersetzung mit Themen, die vom Gesichtspunkt politischer Kontrolle als solche gewichtig wären, findet (also praktisch) erst dann statt, wenn durch das Hinzukommen spektakulärer Momente genügend Aufmerksamkeit erwartet werden kann. Ein beachtlicher Teil der "vom Kontrollaspekt her interessierenden Problematik der Errichtung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien — das völlige Ausufern von Umplanungen und Kosten über jedes vertretbare Maß und über jede Kontrolle hinaus — war viele Jahre hindurch auch in Journalistenkreisen durchaus bekannt. Zum Skandal wurde die Affäre erst, als das Bekanntwerden von Schmiergeldtransaktionen großen Umfangs einen (entsprechenden) Aufmerksamkeitswert schuf...

Die Fülle des Angebots der Massenmedien hat zunächst sim-

pel zur Folge, daß sich jeder das an Aussagen aussuchen kann, was er will, und auch genug für seinen besonderen Geschmack vorfindet.

Weniger simpel heißt das: Nahezu jeder kann sich über die Massenmedien seine gewünschte Umwelt selbst herstellen. Ob Konservativer oder Radikaler, Antiquitäten- oder Musikliebhaber, Bastler oder Bergsteiger, Sport- oder Pornographiefan:

Jeder kann sich auf eine Fülle von Informationen konzentrieren, die seinen Vorstellungen von seiner Umwelt entsprechen und geeignet sind, seine vorhandene Einstellung zu verstärken. Die Möglichkeit, der komplexen Umwelt die selbstgewählten Reize zu entnehmen, ist ein nicht immer bewußter, aber ein außerordentlich wirksamer Selektionsprozeß ...

Zu den bekanntesten Erscheinungen der letzten Jahre zählt die weitere Zunahme politischer Interesselosigkeit. Es gibt genug Theorien über die Ursachen dieser politischen Apathie, und man darf die Schuld dafür keineswegs nur bei den Politikern suchen. Nach Bernard Bereslon spielt hierbei auch die Massenkommunikation eine unheilvolle Rolle. Dies deshalb, weil ihre attraktiven und zugleich anspruchslosen Gehalte dazu führen, die Aufmerksamkeit von politischen Angelegenheiten abzulenken.

Auszug aus: DIE KRISE SIND WIR SELBST. Von Manfred Drennig. Bundesverlag, 1982, 285 S., Pb., öS 278,-.

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