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Politisch brisant

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Beim bisher (leider letzten) regulären Filmfestival von Venedig im Jahre 1972 wurde die internationale Öffentlichkeit mit einem Werk des Jugoslawen Aleksander Petrovic bekannt, der ihr vorher vor allem durch seinen Streifen „Ich traf sogar glückliche Zigeuner“ vertraut war: „Der Meister und Margarita“, nach dem gleichnamigen Roman des russischen Schriftstellers Michail. Bul-gakow (1891 bis 1940), der aber in der UdSSR erst 1966 erscheinen durfte. — Das Wiener Publikum bekam etwa ein halbes Jahr später bei der Viennale 1973 erstmals den Film zu sehen, und nun dauerte es noch mehr als drei Jahre, bis dieses wahre Meisterwerk der Filmkunst in einer guten deutschen Fassung einer hoffentlich breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte.

Der Roman Bulgakows, der sich mit seinen meisten Werken — darunter viele Theaterstücke — die Ungnade des Sowjetregimes zugezogen hatte, trägt autobiographische Züge. Im Mittelpunkt der literarischen Vorlage wie des Films steht der Schriftsteller Nikolai Maksudow, der „Meister“ genannt, der knapp vor der Aufführung seines Pontius-Pilatus-Dramas auf Schwierigkeiten von Seiten seines Theaterdirektors, vor allem aber des staatlichen Literatenverbandes stößt. „Jede Macht bedeutet Gewalt“ lautet einer der Schlüsselsäze des Stücks, das auch durch die Jesus-Darstellung auf der Bühne in einem Land, in dem „Atheismus eine natürliche Sache ist“, suspekt erscheint. Das Drama wird unmittelbar vor der Premiere abgesetzt, trotzdem erscheinen abfällige Kritiken darüber („Muß man ein zweifelhaftes Stück sehen, um es zu beurteilen?“). Maksudow erfährt nun bitter das Schicksal eines aus politischen Gründen Diskriminierten. Er .ist dem Spott seiner ein- igen Kollegen und Freunde ausgesetzt, soll unter Druck zur „Erholung“ nach Jalta, wird seiner Wohnung beraubt und schließlich in

ein Irrenhaus eingeliefert und stirbt dort.

So linear, wie sie hier in ihren Grundzügen geschildert ist, läßt aber Regisseur Petrovic die Handlung nicht ablaufen. Er verschachtelt kunstvoll und doch überschaubar die Ebenen der Zeit sowie die Schauplätze und läßt mehr als das lautere Mädchen Margarita den „Teufel“ als einen Professor Wo-land, M .ister der schwarzen Magie, aktiv in das Geschehen eingreifen („Wer außer dem Teufel kommt nach Moskau, um die Existenz Gottes zu beweisen?“). Er rechnet nicht nur — zusammen mit seinen beiden skurrilen Gehilfen — mit den ärgsten Widersachern des „Meisters“ auf tragisch-magische Weise ab. sondern iv.it allen Karrieristen, Betrügern, Opportunisten und Feiglingen, welche die Ideologie der Revolution zur Wahrung ihrer persönlichen Vorteile pervertieren. So sehen also Bulgakow und Petrovic den „Teufel“ im Goetheschen Sinne „als einen Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Damit sichert gerade diese dem idealistischen Wahrheitsfanatiker Maksudow gegenübergestellte Figur dem Film seine intellektuelle Schärfe, seinen satirischen Witz.

' All di geistigen Voraussetzungen stimulierten Aleksander Petrovic zu einem Filmwerk von höchster formaler Brillanz, in dem Realität und Surreales, tragischer Ernst und geistvolle Satire nahtlos ineinander übergehen. Wegen der politischen Brisanz des Films, in dem sich unschwer Parallelen zu auch heute noch aktuellen Verhältnissen in der Sowjetunion erkennen lassen, wurde der Regisseur in seiner jugoslawischen Heimat selbst ein Regimegeschädigter: Nach der Aufführung auf dem Festval von Pula, wo er nahezu alle Preise eingeheimst hatte, verschwand der Film aus den jugoslawischen Kinos; und auch Petrovics Entlassung von seinem Posten als Leiter der Filmakademie in Belgrad wird mit dem Streifen

in Zusammenhang gebracht. Derzeit bereitet der Regisseur, der übrigens häufig in Wien weilt, eine Verfilmung des Henrich-Böll-Romans „Gruppenbild mit Dame“ (mit Romy Schneider) vor.

Nicht unerwähnt dürfen neben der technischen Vollkommenheit des Films auch seine Hauptdarsteller bleiben: Der bisher vorwiegend als Charakterkomiker eingesetzte Italiener Ugo Tognazzi als „Meister“ und der interessante Franzose Alain

Cuny als „Teufel“ bieten die bisher wohl besten Leistungen ihrer schon langen Filmkarrieren. Neben ihnen ist die hübsche, sensible Mims.v Farmer schon von der Rolle her nicht so reich bedacht. — Wer geistige Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen in einem künstlerisch voll durchdrungenen Film liebt, möge in den nächsten Tagen den Weg ins Künstlerhaus-Kino nicht versäumen.

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