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Politisch ein Entwicklungsland
Eine Equipe des japanischen Fernsehens hatte während einer Woche den schweizerischen Wahlkampf verfolgt und war auf den Wahlausgang ebenso erpicht wie der Kommentator des ORF, der seine „Kundschaft“ so rasch wie möglich informieren wollte. Beide waren enttäuscht, denn es dauerte Tage, bis das endgültige Resultat bekannt wurde, und selbst Hochrechnungen lieferten kein Vorausergebnis. In bissigen Gesprächen fiel der Vergleich mit unterentwickelten Ländern Asiens oder Afrikas.
Eine Equipe des japanischen Fernsehens hatte während einer Woche den schweizerischen Wahlkampf verfolgt und war auf den Wahlausgang ebenso erpicht wie der Kommentator des ORF, der seine „Kundschaft“ so rasch wie möglich informieren wollte. Beide waren enttäuscht, denn es dauerte Tage, bis das endgültige Resultat bekannt wurde, und selbst Hochrechnungen lieferten kein Vorausergebnis. In bissigen Gesprächen fiel der Vergleich mit unterentwickelten Ländern Asiens oder Afrikas.
Kein Wunder, denn auf den ersten Blick scheint wirklich unverständlich, weshalb in einem Land, dessen entfernteste Grenzen von überall her in einem halben Tag leicht erreicht werden können, solche Verzögerungen nicht ausgeschaltet werden können.
Schuld daran ist in erster Linie das Wahlsystem. Jeder Bürger ist zwar gezwungen, eine Parteiliste einzulegen, aber er kann darauf einzelne Namen von ihm besonders bevorzugten Persönlichkeiten doppelt setzen, und vor allem kann er einige Namen streichen und sie durch solche von gegnerischen Parteilisten ersetzen. In der Regel hält sich dieses Kumulieren oder Panaschieren in gewissen Grenzen. Dieses Mal aber scheint man davon so reichlich Gebrauch gemacht zu haben, daß die Computer hilflos den menschlichen Überlegungen gegenüberstanden. Ob in erster Linie die Frauen, die ja erstmals an schweizerischen Wahlen teilnehmen konnten, ihre Individualität durch solche Verschiebungen kundtaten, weiß man nicht, denn ihre Stimmen sind nicht gesondert ausgezählt worden.
So weiß man also auch nicht, ob die Frauen am Wahlausgang an sich besonders „schuld“ sind. Sicher 1st einzig, daß ein deutlicher Rechtsruck festzustellen ist Die Sozialdemokraten, bisher die stärkste Partei, sind auf den zweiten Platz zurückgefallen und halten sich dort knapp vor den Christlichdemokraten. Die ausgesprochen rechtsstehende Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, die sich jetzt eben mit den sogenannten Demokraten zur Schweizerischen Volkspartei zusammengeschlossen hat, vermochte sich zu behaupten wie auch die jetzt zur größten Partei gewordenen Freisinnigen. Hingegen ist die bisher stärkste Oppositionspartei, der Landesring der Unabhängigen, zurückgefallen. Sieger sind zwei neu auf dem Plan erschienene Parteien, die als rechts bis rechtsextrem gewertet werden müssen. Es sind dies die „Nationale Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat“ und die vom Anti-Über- fremder-Führer Schwarzenbach ins Leben gerufene „Republikanische Bewegung“. Beide Gruppen zusammen werden im neuen Parlament elf von insgesamt 200 Sitzen einnehmen und damit eine Sperrminorität bilden, deren Durchschlagskraft nicht unterschätzt werden darf.
Der neue Nationalrat, also die Volkskammmer, hat nun folgendes Gesicht:
Bemerkenswert ist die Auseinandersetzung zwischen den zwei an sich in gleicher Richtung marschierenden Gruppierungen, also der Nationalen Aktion und den Republikanern. Das große Idol der Anti-Überfremder war und ist Schwarzenbach, der Mann mit dem nicht sehr schweizerischen Vornamen James. Vor vier Jahren zog er als Außenseiter ins Parlament ein und hatte hinter sich die Nationale Aktion. Von ihr trennte er sich später, angeblich wegen deren zu extremistischen und auch unrealistischen Tendenzen, und gründete dann die Republikanische Bewegung. Seine Sorge war es, daß zuviele einfache Bürger ihn noch mit der früheren „Aktion“ identifizieren und also dieser Konkurrenzorgani sation die Stimme geben könnten. Alles deutete darauf hin, daß seine Befürchtung begründet sei, und der Aktions-Präsident erklärte noch knapp vor Wahlschluß, unter keinen Umständen mit Schwarzenbachs Republikanern eine gemeinsame Fraktion bilden zu wollen. Das Blatt wendete sich dann brüsk: Schwarzenbachs Name siegte, und er wird auch im Parlament jetzt die Galionsfigur der Anti-Überfremder bleiben.
Vielleicht könnte man im Sieg Schwarzenbachs über die Scharfmacher von der Nationalen Aktion allerdings noch einen gewissen Trost finden, den Beweis nämlich dafür, daß die echten Extremisten doch noch weniger Anhänger finden. Das ist trotz allem ein Trost, denn in einer für die Schweiz lebenswichtigen Frage sind sich diese beiden Gruppierungen einig und finden überdies die Unterstützung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, also der jetzigen Volkspartei, und sogar gewisser Gruppierungen der Freisinnigen, die immerhin gegenwärtig den Wirtschafts- und Finanzminister stellt. Damit ist auf die Europapolitik angespielt. Die gleichen Schweizer, die sich immer wieder über de Gaulles Einschränkungen empört hatten, ziehen nun für sich selbst die Bremse und denken fast ausschließlich an das Vaterland, nicht, wie die Franzosen, an das Europa der Vaterländer. Die Anti- Integrationspolitik der Nationalen
Aktion und der Republikaner hat diesen beiden Gruppen zweifellos zusätzliche Stimmen eingebracht, und dies muß nachdenklich stimmen im Blick darauf, daß ja in der Schweiz alle Europaverträge letzen Endes einem Referendum unterworfen werden müssen.
Daß im neuen Parlament weniger Frauen als Rechts-Extreme sitzen, ist bezeichnend, auch wenn dieser Vergleich eigentlich innerlich nicht statthaft ist. Niemand hatte erwartet, daß die Frauen im ersten Anlauf einen Siegeszug antreten würden. Das Ergebnis war jedoch erstaunlich befriedigend. Merkwürdig berührt, daß einige Parlamentarierinnen aus Kantonen kommen, in denen für kantonale oder kommunale Angelegenheiten die politische Gleichberechtigung noch nicht realisiert ist. So geschieht es denn, daß die eine oder andere der Gewählten im nächsten Dezember den Bundesrat, also die oberste Landesregierung, wählen kann, während sie nichts zu sagen hat, wenn in ihrem Dorf der Gemeinderat erkoren wird.
Hier wäre vielleicht wieder der anfangs zitierte Vergleich mit unterentwickelten Ländern angebracht, wobei der Trost nur darin liegt, daß man heute ja allgemein nicht mehr von unterentwickelten, sondern vielmehr von Entwicklungsländern spricht. Und genau das gilt auch für die Schweiz: politisch ein Entwicklungsland.
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