6972122-1985_34_08.jpg
Digital In Arbeit

Politische Fieberkurven

19451960198020002020

Skandale, Machtkämpfe und Krisen sind die Höhepunkte der innenpolitischen Berichterstattung. Schön aneinandergereiht, bleiben sie nicht ohne Konsequenz.

19451960198020002020

Skandale, Machtkämpfe und Krisen sind die Höhepunkte der innenpolitischen Berichterstattung. Schön aneinandergereiht, bleiben sie nicht ohne Konsequenz.

Werbung
Werbung
Werbung

Hannes Androsch ist wieder „in”. Der Politstar vergangener Jahre und nunmehrige CA-Gene-ral hat sein Comeback wieder einmal geschafft—auf den innenpolitischen Seiten der österreichischen Zeitungen.

Ob seine Medienpräsenz allerdings zu einer neuerlichen „Karriere” reicht, ist noch ungewiß. Zu unsicher ist, ob Journalisten und Politiker mitspielen, in Wort und Schrift das Thema ausreizen, bis es wieder in der medialen Versenkung verschwinden kann.

In den vergangenen Jahren war der Steuerfall Androsch jedenfalls immer gut, um die innenpolitische Berichterstattung auf Trab zu halten, wenn sich dazu nur ein Anlaß finden ließ.

In solchen Siedephasen einzelner Skandale oder Skandälchen haben dann andere Themen keine Chance, ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu dringen. Es wird quasi eine Nachrichtensperre verhängt, die charakteristisch für den innenpolitischen Rummel in Österreich ist.

Es ist über weite Strecken immer nur ein Thema präsent, das ausgeschlachtet wird, bis es seinen Reiz verliert. Die österreichische Innenpolitik bewegt sich in Fieberkrämpfen fort — zumindest wenn sie via Medien konsumiert wird.

Ein Rückblick über die innenpolitische Berichterstattung im ersten Halbjahr kann dieses Phänomen veranschaulichen: Im Jänner waren noch die Hainburg-Nachwehen Thema Nummer eins, dann verschwand Hainburg vollkommen von der innenpolitischen Bildfläche.

Das nächste beherrschende Thema ließ nicht lange warten. Die Affäre Reder/Frischenschlager führte zu der nächsten Gleichschaltung sämtlicher innenpolitischen Medien.

Nachdem dieses Thema ausgeschrieben war, setzte Bundeskanzler Fred Sinowatz den nächsten Paukenschlag persönlich, indem er die „Volksabstimmung besonderer Art” zur Eröffnung von Zwentendorf ankündigte. In den Monaten Februar und März konnte von nichts anderem als dem Parteientanz um die Atomruine berichtet werden.

Dann kamen die Bundespräsidentenquerelen als Zwischenspiel, bevor die Abfangjäger Ende März/Anfang Mai für einen neuen Anstieg der Fieberkurve der österreichischen Innenpolitik sorgten.

Die Staatsvertragsfeiern lieferten nur ein kurzes Zwischenthema, ehe Ende Mai Zwentendorf wieder aus dem Keller hervorgeholt wurde, und die Bundesrat-Initiative zur atomaren Rettung Österreichs wieder ausführlich Anlaß für Berichte, Kommentare etc. bot.

Dann kam das Glykol.

Und mit ihm die Bestätigung, daß das Ritual der innenpolitischen Berichterstattung auch in der Sommerflaute gut funktioniert.

Warum es in einer schönen Regelmäßigkeit zu so einer Verdichtung und Fixierung der Berichterstattung auf ein Thema kommt, läßt sich dabei nur vordergründig einfach erklären.

Der Hinweis, daß die Themen einfach da sind und von den Journalisten aufgenommen werden, erklärt nicht, wieso alle medialen

Platzhirschen auf der innenpolitischen Weidefläche sich plötzlich an einem Platz versammeln, um ihn kahl zu fressen. Denn Themen gibt es mehr als genug, oft sogar wesentlich politischere und für die Zukunftsaussichten Österreichs gravierendere als die gerade gemeinsam zerpflückten.

Wesentlich aufschlußreicher ist die Beobachtung des Rituals von Pressekonferenzen. Gleichgültig wie wichtig das Thema ist, der Politiker am Podium kann sicher sein, daß er nicht in erster Linie zu „seinem” Thema befragt wird, sondern zum gerade brisanten Tagesthema. Wenn er Glück hat, kann er „sein” Anliegen am nächsten Tag in der Zeitung lesen, seine Äußerung zum Tagesthema hat bei einiger Originalität der Formulierung aber mehr Chancen.

Vor allem Spitzenpolitiker und solche, die es werden wollen, können außerdem selten nein sagen, wenn sie zur Meinung gebeten werden. Manche heißen Themen konnten erst dadurch entstehen oder am Leben erhalten werden, weil „no comment” in Österreich nicht zum politischen Wortschatz gehört.

Beispielsweise hätte Österreich noch keinen vorgezogenen Bun-despräsidentenwahlkampf, wenn Sinowatz auf die insistierenden Fragen der Journalisten zu möglichen Kandidaten keine Antwort gegeben hätte.

In der österreichischen journalistischen Kultur ist andererseits ein extremer Hang zur Personalisierung festzustellen. Die Themen werden allzu häufig nach Kriterien wie persönliche Auseinandersetzung, Spannungen, Machtkämpfe, Konflikte und Krisen ausgewählt, Sachfragen gehen nicht nur fallweise unter. Das Syndrom des politischen Kaffeesud-Lesens gedeiht dabei bis zur bestimmenden Schlagzeile.

Fehlendes sachliches Interesse wird außerdem häufig durch die Kultur der „Haberei” zwischen Politikern und Journalisten verstärkt. In einem kleinen Land wie Österreich, in dem die politische und journalistische Elite miteinander bestens bekannt ist, kommt es in Einzelfragen nicht selten zu unheiligen Allianzen.

Dann kann es auch sein, daß Journalisten die Geschäfte der Politiker besorgen. Es werden Themen aktualisiert, am Leben erhalten oder neue Fronten eröffnet, etwa indem neue Personen ins Spiel gebracht werden. Die

Geschichte des Hannes Androsch ist ein gutes Beispiel dafür.

Die zunehmende Medialisie-rung der Politik dramatisiert dabei das Krankheitsbild. Da Politik zunehmend über die Medien gemacht wird, Pluspunkte für Politiker - aber auch Minuspunkte -immer ausschließlicher durch Medienpräsenz erzielt werden, werden Zeitungen und Fernsehen zur Drehscheibe für politischen Erfolg und Mißerfolg.

Das Ergebnis: Politiker investieren immer mehr in Medienarbeit, inszenieren mediale Spektakel ä la Regierungsklausuren oder Tagungen, um sich möglichst positiv in Szene zu setzen, oder setzen alles daran, um mißliebige Themen durch andere zu ersetzen.

Daß dies fallweise auch gelingt, exerzierte Bundeskanzler Sinowatz in dramatischer Weise bereits zweimal vor. Einmal durch eine Regierungsumbildung, durch die der Androsch-Gegner Herbert Salcher politisch ins Gras beißen mußte. Androsch war daraufhin ein Jahr lang kein spaltenfüllendes Thema mehr. Im anderen Fall durch seine Zwebendorf-Aktivitäten im Februar, mit denen er die Affäre Frischenschlager/Reder erfolgreich aus den Schlagzeilen verdrängte — und die ÖVP ins atomare Schwitzen brachte.

Die Bereitschaft der innenpolitischen Berichterstattung, in diesem Szenario mitzuspielen, hat aber für keine Seite nur positive Folgen. Falls nicht solcherart der politischen Kultur überhaupt das Grab geschaufelt wird.

Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, daß das Bild, das von Politik entsteht, fatale Auswirkungen haben kann — und schon hat. Die mediale „Einthemenpolitik” läßt den Eindruck entstehen, als sei Politik nur eine Aneinanderreihung von Konflikten und Skandalen, und nicht in erster Linie sachliche Arbeit auf verschiedensten Ebenen. Und wirkt die öffentlich aufgeführte „Politik” nicht mehr als Droge, dann ist Politikverdrossenheit die Folge.

Auf Parteien- und Regierungsebene hingegen droht die Lähmung der tatsächlichen politischen Arbeit, weil immer mehr Aktivitäten in Richtung inszenierter Politik gehen. Für die Lösung von Sachfragen bleibt immer weniger Zeit, außerdem werden sie für den politischen Erfolg zweitrangig.

Jjomit ist als Ende der Entwicklung denkbar, daß tatsächlich nichts mehr geschieht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung