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Politische Meteorologie

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Vor Anpfiff der zweiten Halbzeit der laufenden Legislaturperiode werden allenthalben Vor-, Rück- und Ausblicke gewagt. Je nach Augenstärke und Standpunkt sehen die Auguren Gewitterwolken, einen heißen Herbst, Zwischenhochs, einen plötzlichen Wintereinbruch oder einen neuen Frühling heraufziehen, — letzteres für das alte Modell einer Großen Koalition. Gepaart ist diese Polit-Meteorologie mit allerlei Prognosen für die bevorstehenden Landtagswahlen in Wien und Oberösterreich, die zeitgerecht zu bundesweiten Testwahlen stilisiert wurden. Dies erlaubt den Akteuren publikumswirksame Kapriolen.

Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer parlamentarischen Arbeit, genauer: den Gesetzesvorhaben, die in dieser zweiten Hälfte der Legislaturperiode von der Regie-rung und der Opposition bewältigt sein wollen und jenen soeben verabschiedeten Gesetzen, die bereits die legistische Realität mitbestimmen, einer Arbeit im Parlament also, die der Regierungsstil prägt.

Wenn man schon bei einem (verfrühten) Resümee der ersten Halbzeit angelangt ist, so darf der Hinweis nicht fehlen, daß der Großteil der parlamentarisch verabschiedeten Gesetze einstimmig beschlossen wurde, eine erkleckliche Anzahl immerhin von den Oppositionsparteien, einmal der kleinen, dann wieder von der großen, mitverantwortet werden muß und nur ganz, ganz wenige von der Regierungspartei allein durchgezogen wurden — durch einfachen Einsatz der parlamentarischen Mehrheit. In trockenen Zahlen, publiziert vom Sekretär der sozialistischen Fraktion, Heinz Fischer: von 265 Gesetzen wurden in dritter Lesung 84,2 Prozent aller Gesetze einstimmig beschlossen. 7,5 Prozent wurden von der SPÖ allein, 5,3 Prozent von SPÖ und FPÖ und 3 Prozent von SPÖ und ÖVP beschlossen.

Konsens, das soll diese Statistik doch wohl beweisen, dominiert.

Freilieh sind die tatsächlich harten Brocken in jenen 20 Gesetzen verpackt, die die Regierungspartei allein, ohne Hilfe eines parlamentarischen Juniors, verabschiedete. Es sind dies die Budgets für die Jahre 1972 und 1973, das Gesetz über die Einrichtung des Gesundheitsministeriums, die 27. und die 29. ASVG-Novelle, das Ortstafelgesetz, das Einkommensteuergesetz, das Krankenpflegegesetz und die Novelle zum Arbeiterkammergesetz.

Trotzdem: Über weite Strecken herrscht zwischen den Parteien, was die Gesetzestechnik betrifft, Übereinstimmung. Und das ist gut.

In dem immer und immer beschworenen Konsens, in der breiten Basis für Gesetze wird jedoch in zunehmenden Maße eine Dimension sichtbar, die mit der einfachen Ubereinstimmung in Gesetzesvorhaben — Übereinstimmungen übrigens auch, wie sie Sachzwänge mit sich bringen — nichts zu tun hat. Ein Blick in die Zukunft, in die zweite Spielhälfte der Legislaturperiode verdeutlicht dies: ab Herbst dieses Jahres stehen aus dem Rückstau in den Ausschüssen und Unterausschüssen des Parlaments die wohl kontrover-siellsten Gesetzesentwürfe zur Diskussion: Arbeitsverfassung, Strafrechtsreform und ORF-Novelle.

Bleiben wir beim ORF und dessen gesetzlicher Zukunft: Seit Jahren schon kreist die Diskussion um eine Gesetzesänderung. Bis jetzt hat je-

doch die Regierungspartei mit dem Hinweis, man erstrebe eine breite parlamentarische Basis für das neue Gesetz, alle Novellierungsanstren-gungen prolongiert. Auch dann noch, als die Ablehnung durch die Oppositionsparteien notorisch war. Gleiches geschieht auch in der Frage der Arbeitsverfassung, wo der Sozialminister den Interessenvertretungen alle Verhandlungen überträgt. Und

— Modell: Strafrechtsreform — an zweiter Lesung soll die Opposition für alles mit Ausnahme der Abtreibung stimmen. In dritter Lesung könnte ja die große Oppositionspartei (denn um diese geht es wohl) dann getrost gegen das gesamte Strafrecht stimmen. Zumindest in einer »Lesung, in einer Phase der parlamentarischen Behandlung möge der Gleichklang der Interessen aber herausgestrichen werden — was wohl an der Sache nichts ändert.

Hier entsteht der Verdacht, daß es doch nicht nur um die breite Basis geht, sondern darum, der Opposition Mitverantwortung aufzubürden. Anders gesagt: keine Alleinverantwortung zu tragen. Der Staatsbürger könnte, Gott behüte, diese Verantwortung bei der nächsten Wahl schlecht oder gar nicht honorieren. Daher, merk's Wähler, auch der Versuch der Regierungspartei, alle kon-troversiellen Dinge vor Wahlen auszuklammern, sie unter die vorgeschobene Decke des Konsensus zu stecken.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: niemand fordert von der Regierungspartei den brutalen Einsatz ihrer (parlamentarischen) Macht, niemand verlangt, auf der anderen Seite, eine Opposition, die ihre Rolle als Obstruktion mißversteht.

Keiner will, daß die Parteiführer Verbindlichkeit und Streben nach Kompromissen aus ihrem Rollenrepertoire streichen. Wer aber taktisches Getue und Winkelzüge als staatsmännische Suche nach Übereinstimmung kaschiert, wer hinter dem Paravent von angestrebter In-teressengleichheit seinen Standpunkt versteckt, wird auf der Suche nach dem letzten Wechselwähler, der sich mit dieser Politik identifizieren soll, seine Stammwähler verlieren — und von pressure groups und Radikalen seiner Partei getrieben werden. Das Parlament hat Stätte der geistigen Auseinandersetzung im Grundsätzlichen zu sein. Denn Verfahrensfragen und Fragen der Taktik können die Inhalte politischer Arbeit niemals ersetzen. Dort, im Plenum des Nationalrates — aber auch in den Landtagen und den Gemeinderäten — haben die Abgeordneten ihre Standpunkte zu formulieren — unmißverständlich und klar.

Nur dann werden auch Wahlen wieder zur Abstimmung über die geleistete Arbeit der Parteien werden

— und nicht zu Schönheitskonkurrenzen mehr oder weniger telegener Politiker. Dann besteht die Chance, daß nicht die Farbe des Anzugs oder die Art des Haarschnittes politischer Funktionäre Wahlen bestimmen, sondern Grundsätzliches zur Diskussion (und zur Abstimmung) gelangt.

Es bleibt dabei: Die Regierung soll regieren und die Opposition kontrollieren. Das ist noch allemal zielführender und sinnvoller, als ein vorgegebener Gleichklang der Interessen, der sich in verwaschenen Standpunkten und Profillosigkeit manifestiert.

Zumal sich die Rollen ja umkehren können.

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