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Politische Morgenröte

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Während bei uns die Temperaturen sinken, scheint weltpolitisch eine Schönwetterperiode angebrochen zu sein. Die FURCHE sprach in Berlin mit Richard Löwenthal über seine Einschätzung der Lage.

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Während bei uns die Temperaturen sinken, scheint weltpolitisch eine Schönwetterperiode angebrochen zu sein. Die FURCHE sprach in Berlin mit Richard Löwenthal über seine Einschätzung der Lage.

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Derzeit scheint es für Journalisten und Kommentatoren recht schwierig zu sein, den weltpolitischen Klimaänderungen noch zu folgen. Kaum gibt es ein Hoch, kommt schon wieder ein Zwischentief:

• Da werden die letzten Feinheiten des amerikanisch-sowjetischen Abkommens über den Abbau der Mittelstreckenraketen ausgehandelt.

• Kremlchef Michail Gorbatschow hat offensichtlich seine Genossen in den osteuropäischen Hauptstädten dazu gebracht, ebenfalls auf Perestrojka zu setzen. (Nur für Erich Honecker ist das noch ein Fremdwort. Obwohl er recht gut russisch kann, spricht er neuerdings lieber deutsch, ob in Ostberlin, Bonn oder Wiebelskirchen. Selbstsicher betont er, keine Änderung in der DDR nötig zu haben.)

• Glasnost ist - entgegen manchen Meinungen—doch nicht bloß ein Schlagwort geblieben. Laut FAZ wurde im vergangenen Monat erstmals eine Bestimmung der Stockholmer Vereinbarungen von den Amerikanern „ausprobiert“. Ihrem Verlangen, bei Militäraktionen im Raum Minsk binnen 48 Stunden hinter die Kulissen schauen zu dürfen, wurde anstandslos stattgegeben.

• Kürzlich wurden aber gleich wieder allzu große Hoffnungen gedämpft. Der Kremlchef erklärte, daß sein Reformprogramm lediglich dazu diene, den Sozialismus zu stärken, und Extremisten sollten ja nicht glauben, sie könnten im Zeichen von Glasnost und Perestrojka ihr antisowjetisches Süppchen kochen. Ein wahrer Keulenschlag für Gorbatschow-Bewunderer, spottete eine große österreichische Tageszeitung.

Was ist nun wirklich zu erwarten?

Im Gespräch mit der FURCHE interpretiert Richard Löwenthal die Wandlungen im Ost-We'st-Verhältnis positiv. (Im Gegensatz zu anderen Sozialdemokraten war der Berliner Politikwissenschaftler übrigens nie ein romantischer Visionär, sondern jemand, der ein besonders feines Gespür für historische Entwicklungen hatte und hat.)

So ist er von einer erheblichen Verbesserung der Ost-West-Beziehungen überzeugt. Daß es erstmals echte Abrüstungsmaßnahmen gibt, die eine ganze Waffenkategorie betreffen, ist neu und galt lange Zeit so gut wie unmöglich. Nun hat sich die Einsicht in die Notwendigkeit von Abrüstung „in vernünftige Proportionen“ durchgesetzt. Was natürlich nicht heißt, daß man mit dem Durchbruch pazifistischer Ideen rechnen darf, denn dazu ist, sagt er, die Konflikterfahrung auf beiden Seiten zu massiv und die Position derer, die von Berufs wegen die Rüstung bejahen, zu stark. Und schon gar nicht glaubt Löwenthal, daß die Ost-West-Spannung durch eine wirtschaftliche An-gleichung des östlichen Systems ihre Brisanz und Substanz verliert. (In dieser Frage trifft er sich übrigens mit dem Moskauer Chefideologen Jegor Ligatschow, der „Konvergenz“-Träume ebenfalls für unrealistisch hält.)

Trotzdem sei es, meint Löwenthal, Gorbatschow bitter ernst mit' seinen Reformplänen. „Eher nimmt er einen Sturz in Kauf, als freiwillig auf seine Politik zu verzichten. Nur — wie der Ostblock diese Politik durchführt, das ist ganz allein seine Sache, und niemand sollte so tun, als könnte der V/esten in irgendeiner Weise diesen Prozeß steuern.“ Das heißt aber beispielsweise für den erfahrenen Sozialdemokraten auch, daß die Chancen eher gering sind, etwa den KSZE-Prozeß oder Wirtschaftsbeziehungen als Hebel für innere Reformen zu benutzen, um den Kommunisten sozusagen ihre Ideologie „abzukaufen“.

Mit anderen Worten: Richard Löwenthal beurteilt die Veränderungen im Ostblock insgesamt als positiv. Als eine Wende zum Besseren, zum relativ Besseren...

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