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Politischer Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg

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In Libanon haben Ruhe und Wiederaufbau endlich lange genug angehalten, um das Leben zu normalisieren. Die Bergdörfer sind mit Feriengästen aus den Küstenstädten überfüllt, auch Besucher aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten beginnen sich, zum ersten Mal seit 1974, wieder einzufinden. Im feucht-heißen Beirut sind zwar die Wunden der über zweijährigen Kämpfe noch lange nicht vernarbt, doch haben die Ruinen des Stadtzentrums ihren düsteren Charakter verloren. Nachdem die großen Banken, Handelsfirmen und Hotelbetriebe die rauchgeschwärzten Mauern verlassen hatten und hinauf in die verhältnismäßig intakt gebliebene Hamra gezogen waren, machten sich in der einstigen City bunte Straßenläden, Handwerker und orientalische Gassenrestaurants breit. Die populären Pferderennen im Hippodrom finden seit Anfang Juli wieder statt und ein kleiner Nachtbummel ist nicht mehr mit Entfüh- rungs- und Lebensgefahr verbunden.

Doch schon ein Verweilen am Zeitungsstand zeigt, daß Beirut nicht mehr die arabische Pressemetropole von einst ist. Nachdem schon der Bürgerkrieg von einer Vielzahl mehrsprachiger Publikationen nur zehn arabische, zwei französische und eine englische Tageszeitung sowie ein Dutzend Zeitschriften und Illustrierte überdauern ließ, hat im Juli, nach dem Erlaß des neuen libanesischen Pressegesetzes, ein zweites Zeitungssterben eingesetzt.

Dieser Schlußstrich der Beiruter Regierung unter die ursprüngliche Pressefreiheit und -Vielfalt in Libanon hängt mit der zum Teil unverantwortlichen Rolle zusammen, die private oder parteigebundene Informationsmedien während des Bürgerkrieges gespielt haben. Dabei taten sich allerdings weniger die Zeitungen als die beiden Fernsehgesellschaften und zwölf private Radiosender hervor. „CLT“ und „Tele-Orient“ konnten ihr Fernsehmonopol in die Nachkriegsära herüberretten; aus dem Lager der katholisch-liberalen „Kataib“ machte die „Stimme Libanons“, aus jenem, der Linksmuslims die „Stimme des arabischen Libanon“ dem staatlichen Radio weiter Konkurrenz.

Als daher im Juni Informationsminister Charles Risk die Schaffung eines Regierungsfernsehens und die gesetzliche Regelung des öffentlichen und privaten Radiowesens angekündigt hatte, waren seine Initiativen von der Presse begrüßt worden. Als bald darauf der Plan der Regierung für ein alle Informationsmittel umfassendes Gesetz bekannt wurde, erwartete man sich von diesem in erster Linie die Aufhebung der seit dem Ende des Bürgerkrieges unter syrischer Besatzung herrschenden Vorzensur.

Das Anfang Juli vom Kabinett Selim Hoss kraft seiner außerordentlichen Sonderbefugnisse erlassene Pressegesetz hat dann aber die schlimmsten Befürchtungen der libanesischen Zeitungsherausgeber und Redakteure übertroffen. Der sofortige Protest des Zeitungs-Besitzer-Verbandes gegen diese Umwandlung der krisenbedingten Zensurmaßnahmen in eine ständige und übermäßige Einschränkung der traditionellen Pressefreiheit des Landes hat jedoch zu keinem Erfolg geführt.

Abgesehen von harten Strafen für Pressevergehen und dem sofortigen Erscheinungsverbot für Publikationen mit „sicherheitsgefährdendem Inhalt“, ist es die neue Kontrolle der Zeitungsfinanzen durch das Informationsministerium, die den Verlegern Sorge bereitet und eine Reihe von ihnen schon binnen Monatsfrist zur Einstellung ihrer Blätter veranlaßt hat.

Ein Jahr nach den schwersten Kämpfen in und um Beirut hat sich das Bankwesen gm raschesten von der Katastrophe erholt. Auf der Hamra und in ihren Seitenstraßen stößt man auf neue Niederlassungen, Filialen, Korrespondentenbüros. Sicher ist das darin begründet, daß finanzielle Aktivitäten der geringsten und kurzfristigsten Investitionen bedurften. Nachdem bereits 73 Handelsbanken ihre Transaktionen seit dem Ende der Feindseligkeiten wieder aufgenommen hatten, ermutigte ein neues Gesetz die Errichtung von inländischen und die Niederlassung ausländischer Finanzinstitute. Das Hauptgewicht liegt dabei in dem Bestreben, die im Bürgerkrieg galoppierend gewordene Kapitalflucht aus Libanon durch günstige Beteiligungsmöglichkeiten der nach wie vor finanzstarken Kreise an dem neu auflebenden Banksektor zu entmutigen.

Politiker aller Schattierungen sind jedoch, diesen und anderen Symptomen wirtschaftlich-finanzieller Rehabilitierung zum Trotz, überzeugt, daß Libanons nach wie vor latente Bürgerkriegsgefahr nur mit umfassenden politischen Reformen gebannt werden kann. Auch in der breiten Öffentlichkeit wird diese Frage leidenschaftlich diskutiert. Die gewünschte Ablösung der klerikal-konfessionellen Struktur des Landes durch eine laizistische Ordnung stößt allerdings auf den erbitterten Widerstand der christlichen Rechtsgruppen. Hingegen hat die maronitische Kirchengemeinschaft in der letzten Zeit eine flexiblere Haltung bewiesen. Patriarch Antonius Cho- reisch empfing ostentativ palästinensische Führer und hat sich erst unlängst zu Gesprächen nach Damaskus begeben, bei denen die „politische Reform“ das Hauptthema gewesen sein soll.

Fortschrittlich-liberale Ideen sind von Präsident Šarkis bei seiner Antrittsrede im September 1976 ange deutet worden und befinden sich seit dem in Ausarbeitung. Sie basierer weitgehend auf dem „Verfassungsdo kument“, auf das sich im Februar 1971 der damalige Präsident Frandschiė all Vertreter der christlichen Rechter und Ministerpräsident Kararne für di( „Linksmuslims“ in Damaskus untei der Ägide von Hafes al-Assad einiger konnten. Der Versuch, das alte, dir Christen begünstigende Grundgesefc von 1943 zugunsten der Muslims ąbzu ändern, war damals auf die leiden schaftliche Opposition der maroniti sehen Rechten gestoßen und hatte die schlimmste Phase des Bürgerkrieg! eingeleitet. Heute dürften sich die Gemüter hingegen soweit beruhig haben, daß eine revidierte Form de; „Dokuments“ in Kürze präsentier werden könnte.

Wie in Beirut über die Leitlinien die ses Reformversuches zu erfahren ist soll, zum Unterschied von dem ur sprünglich radikaleren Äußerungs plan, nicht an der traditionellen Ver teilung der „Drei Präsidentschaften“ gerüttelt werden: Reservierung de: Staatspräsidentschaft für einen maro nitischen, des Parlamentsvorsitzes füi einen schiitischen und der Regie rungsführung für einen sunnitischer Politiker. Hingegen als Novum gleichberechtigte Verteilung der Ab geordnetenmandate auf Christen unc Muslims. Der konfessionelle Propor: soll nur noch innerhalb der von der beiden Religionsgemeinschaften er rungenen Sitze zur Anwendung kom men.

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