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Polizei: ,G'sundeWatschen' vom Freund und Helfer

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„Prügelpolizisten“ geistern immer wieder durch die Medien. Verallgemeinerungen sind unzulässig, aber das gestörte Verhältnis Bürger/Exekutivbeamte hat seine Gründe.

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„Prügelpolizisten“ geistern immer wieder durch die Medien. Verallgemeinerungen sind unzulässig, aber das gestörte Verhältnis Bürger/Exekutivbeamte hat seine Gründe.

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„Vor rund dreißig Jahren, als ich Sicherheitswachebeamter war, hat man einem Festgenommenen mit einem nassen Fetzen ins Gesicht geschlagen, wenn er kein Geständnis ablegen wollte. Da hat er ein schönes, rotes Gesicht bekommen, aber Spuren von einer Mißhandlung sind nicht ersichtlich gewesen“, verrät Ministerialrat Helmut Zwettler vom Innenministerium die Praxis vergangener Tage. „Heute ist jedoch alles anders. Durch Ausbildung, Gesetze und Kontrolle des Exekutivbeamten sind Praktiken dieser Art eher Schnee von gestern.

Zeitungsmeldungen, die in regelmäßigen Abständen über Mißhandlungen seitens der Polizei berichten, beweisen augenscheinlich das Gegenteil. Von den schwarzen Schafen unter Österreichs Polizisten wird eine ganze Palette körperlicher Züchtigungen angeboten: von Zähne ausschlagen über Haare ausreißen bis Tritte in die Geschlechtsteile.

Zentrale Aufgabenstellung der Polizei: Bewahrung der Ruhe, Ordnung und öffentlichen Sicherheit. Nicht selten wird dabei ein Exekutivbeamter selbst zum Blickpunkt öffentlichen Ärgernisses.

Die Sache beginnt meist ganz harmlos. Die zwei Polizisten, die gerade in einem Gasthaus zwei Raufbolde voneinander trennen und—in der Folge^ selbst einige Schläge einstecken mußten, werden zu einem Verkehrsunfall beordert. Die Autofahrer, beide nicht verletzt, sind bei Ankunft der Exekutivbeamten schon in eine hitzige Debatte über die Schuldfrage verwickelt. Als die beiden nicht gleich auf die Fragen der Polizisten antworten und der eine Beamte die Autofahrer duzt, entlädt sich bei beiden Gruppen ein verbaler Kraftakt.

Nach einer Weigerung der Autofahrer, ihre Autopapiere vorzuweisen, werden beide kurzerhand festgenommen und schließlich am Polizeikommissariat mit einigen Tritten - so die Polizisten — „zur Vernunft gebracht“.

In diesem Vorfall zeigt sich eine Seite der Palette menschlicher Reaktionen und gesetzlicher Normen.

„Hätte in diesem Fall der Polizeikommandant die beiden Polizeibeamten für eine Stunde im Innendienst von ihrer Rauferei erholen lassen, dann wäre es sicherlich am nächsten Unfallort nicht zu dieser Eskalation gekommen“, so Ministerialrat Zwettler. „Hier steht und fällt die Polizei mit ihrem Mittelmanagement.“

Der Mensch mit all seinen Neigungen, Vorurteilen, Fehlern und seiner Gefühlswelt als Polizist, der eine große Machtbefugnis in Händen hält, wird niemals gänzlich fehlerfrei agieren.

Doch auch der Gesetzestext läßt bei der Festnahme einen Freiraum, der zu überschnellen Reaktionen verleitet. Zwar ist im Paragraph 35 des VStG (Verwaltungsstrafgesetz) festgelegt, daß bei Nicht-Ausweisung und nicht sofortiger Feststellbarkeit der Identität die Festnahme legitim ist, doch im oben angeführten Fall hätte man mit etwas mehr Psychologie die beiden Autofahrer sicherlich zur Ausweisleistung bewegen können.

Verbale Konfliktlösung wird seit zwei Jahren in einem Pilotversuch den Polizisten nahegebracht. „In der Schweiz hat man damit gute Erfolge gehabt“, so Zwettler. „Gerade die Anpassung an das Sprachniveau bei aller gebotenen Höflichkeit bewirkt eine Autoritätssteigerung oder einen Autoritätsverlust.“

Eine Geschäftsfrau, die mit ihrem Mercedes beim Einparken ein anderes Auto beschädigte, wurde vom herbeigerufenen Polizisten mit den Worten begrüßt: „Ham's an Schein?“ Konflikte - welcher Art auch immer - scheinen dann unausweislich.

Im Paragraph 36 des VStG, Absatz 2 steht: „Bei der Festnahme und Vorführung ist mit möglichster Schonung der Person und der Ehre des Festgenommen vorzugehen.“

Die Praxis zeigt nur allzuoft das genaue Gegenteil: bei einer Befragung von 160 Probanden der Wiener Bewährungshilfe wurden ein Viertel der 143 Männer bei der Festnahme mißhandelt, 20 Prozent davon, obwohl sie keinen Widerstand leisteten. Von den 17 Frauen wurden zwei erst bei der Einvernahme am Kommissariat geschlagen, von den Männern 70 von 143.

Bei zwölf Prozent der sich als verletzt bezeichneten Personen bestätigte der Amtsarzt die Verletzungen, doch wurde in keinem der Fälle ein Verfahren gegen die Beamten auf Initiative eines Amtsarztes eingeleitet.

Die „G'sunde Watschen“ hat bei der Polizei nie an Attraktivität verloren, verlautet aus Insiderkreisen. Am Polizeikommissariat Leopoldstadt wurden acht von 13 und in Favoriten acht von 17 Personen mißhandelt. Beide Wiener Bezirke sind bekannt für eine hohe Kleinkriminalitätsrate. Hier könnte sich die andere Seite der Ursachen für Mißhandlungen zeigen: der Einsatz von „handfesten“ Polizeibeamten in gerade diesen

Bezirken?

Im Innenministerium dementiert man vehement. „Wir können das nicht bestätigen“, so Zwettler. Die offizielle Statistik über Mißhandlungen von Polizisten zeigt, wie schwer für die betroffene Person dieser Nachweis ist: 1983 wurden in ganz Österreich 206 Fälle von Mißhandlungen oder Verletzungen durch Polizeibeamte (ohne Gendarmerie) zur Anzeige gebracht.

Im Innenministerium verweist man stolz darauf, daß in keinem der Fälle der Verdacht bestätigt werden konnte. Allerdings stehen noch zwölf Urteile aus und nur in einem Fall wurde der Beamte freigesprochen. Der Personalstand der Sicherheitsorgane betrug damals rund 9.000 Beamte.

„Auch wenn mangels an Beweisen vor Gericht keine Verurteilung des Beamten erfolgt, zieht eine Anzeige immer eine Diszipli-narkommission nach sich“, so Zwettler. Der Disziplinarsenat setzt sich aus einem Juristen, einem Gewerkschafter und einem Beisitzenden aus der jeweiligen Abteilung zusammen. Sie haben von der Verwarnung über Geldstrafen bis zur Entlassung aus dem Dienst zu befinden. Eine Versetzung des Beamten kann die Kommission nicht beschließen.

Entlassungen werden auch nur sehr selten ausgesprochen, da die Kommissionsmitglieder einstimmig beschließen müssen und der Gewerkschafter sich dagegen meistens querlegt. Ein „schwarzes Schaf“ in unseren Reihen, dem man auch vor Gericht nichts nachweisen konnte, aber das wir sehr genau kennen, wird auf jeden Fall zur Verantwortung gezogen“, zieht Helmut Zwettler vom Innenministerium abschließend Bilanz.

Es gibt etwas, was ich „horizontale Deckung“ im Apparat nennen möchte — also die Vertuschung auf der Ebene Gleichberechtigter. Dieser ,J£orpsgeist“ führt dazu, daß die wenigen Schläger von den Kollegen gedeckt werden.

Und dann gibt es noch das, was ich „vertikale Deckung“ nennen möchte — also Dek-kung durch die im Instan-

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