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Polnischer Grabenkrieg"

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„Umgekommen beim Fluchtversuch aus der WirkUchkeit" — immer zutreffender wird dieser Befund eines polnischen Epigrammatikers angesichts der letzten Entwicklungen im Land an der Weichsel. Das Verbot der „Solidarität" und die Auflösung der Bauerngewerkschaft, die nachfolgenden Unruhen, Streiks und Straßenschlachten haben ebenso wie die Zuflucht des Regimes zu Terror und Gewalt einen stark irrationalen Zug.

Die Gräben vertiefen sich, die Konfrontation wächst, der Stellungskrieg im Kriegszustand dauert an, eine Lösung ist in noch weitere Fernen gerückt.

Ein echter Dialog zwischen Arbeiterschaft und Regime ist wahrscheinlich auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte unmöglich geworden. In dieser Situation fällt der katholischen Kirche Polens einmal mehr eine entscheidende Rolle zu.

So wie sie im Unabhängigkeitskampf der Polen und in den Zeiten verlorener Eigenstaatlichkeit letzte Zuflucht und Stütze war, so muß sie es auch jetzt sein. Wie in den vergangenen Jahrhunderten, wo die Kirche Hort des Polentums schlechthin, seiner kulturellen und spirituellen Werte war, fällt ihr in diesen Tagen erneut diese Aufgabe zu.

Papst Johannes Paul II. hat dies in einer Audienz für den polnischen Episkopat ganz deutlich gesagt: „Die letzten Jahre haben für Polen eine soziale und moralische Erneuerung bedeutet, die auf dem berechtigten Trachten nach Festigung der Würde des Menschen und der Arbeit begründet war. Es ist von entscheidender Bedeutung, daß die Inhalte und wesentlichen Werte dieser Erneuerung nicht aus der polnischen Wirklichkeit hinausgestoßen werden."

Hat damit der Pole auf dem Stuhl Petri aber einen konkreten politischen Auftrag gegeben, wie das Warschauer Regime unterstellt? Hat er mit der „Bewegung von Millionen Polen" nicht doch konkret die „Solidarität" gemeint?

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Heilige Vater und auch der polnische Episkopat gerade in letzter Zeit sehr deutlich zugunsten der nun aufgelösten unabhängigen Gewerkschaft „Solidarität" Stellung bezogen haben, ja sogar die „politische" Forderung nach ihrer Wiederzulassung erhoben haben.

Das Motiv für diese Forderung ist aber nicht tagespolitisch, sondern allgemein zu verstehen. Es geht um das, was die „Solidarität" — trotz aller Schwächen und Mängel — symbolhaft zum Ausdruck gebracht hat: Nämlich die Institutionalisierung des Dialoges, eine ethische Erneuerung der Gesellschaft, echte Interessenvertretung der Arbeiter und Bauern, Verteidigung der Menschenrechte.

Weder Papst noch polnischer Episkopat betreiben damit „politischen Katholizismus". Dies verdient festgehalten zu werden, weil das Militär regime immer deutlicher und schärfer der Kirche eben diesen Vorwurf macht.

So hat die Armeezeitung (eines der wichtigsten Sprachrohre von Partei- und Regierungschef Jaruzelski) erst unlängst behauptet, die Kirche wolle die Rolle einer politischen Partei spielen. Auch Bischöfe, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzen, kommen von staatlicher Seite immer stärker unter Beschuß und werden beschuldigt, zum „Ungehorsam gegen das Kriegsrecht" aufzurufen.

Aber nicht nur die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind belastet und vor schweren Belastungsproben. Auch das Verhältnis von politischem Untergrund und kirchlicher Obrigkeit ist gespannt, weil die Aktivisten des Widerstandes der Kirche vorhalten, daß sie ihre Macht und die Interessen als gesellschaftliche Institution zu bewahren wünscht und daher öfter als nötig zu Ruhe und Maßhalten aufrufe.

Dies mündet bei der Unter-grund-„Solidarität" in die Erkenntnis: „Die Ziele der Kirche haben ewige Gültigkeit, unsere aber sind irdischer Natur. Die Kirche wird Generationen überdauern. Damit aber Polen überlebt, muß jede Generation Opfer bringen. Wir können im Namen der Aktionseinheit nicht auf die Unabhängigkeit unserer sozialen Bewegung verzichten. Wir dürfen nicht von der Kirche abhängen. Unter den Bedingungen einer Revolution kann die Kirche ihre Macht nur um den Preis erhalten, der Gesellschaft den Kampf zu versagen." So steht es jedenfalls in einer Analyse der polnischen Untergrundzeitschrift „Tygodnik Masowsze" Nummer 23.

Diese Abgrenzung des politischen Untergrundes von der Kirche ist realistisch und vernünftig. Sie kommt auch der Kirche gelegen, die sich bisher nur ein einziges Mal als Vermittlerin zwischen Regime und Untergrund zur Verfügung gestellt hat — über Ersuchen der Militärregierung, wie Innenminister General Kiczczak vor dem Parlament enthüllt hat.

Ohne wirklich miteinander verbündet zu sein, fällt den eher radikalen politischen Aktivisten des Untergrundes und der auf Mäßigung und Dialog bedachten Kirche dennoch die Aufgabe zu: Getrennt marschieren, vereint schlagen! Denn das jetzige Militärregime muß zu einer Änderung seiner Politik gezwungen werden, weil sonst die „Flucht aus der Wirklichkeit" noch viel blutiger und katastrophaler für Polen wird als sie ohnehin schon ist.

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