7041450-1990_18_13.jpg

Pop und Politik

19451960198020002020

Keine Frage, die Pop-Musik hat sich von Anfang an politisch verstanden. Hat sie auch etwas bewegt? Im folgenden Gedanken zur bewegten Entwicklung der letzten Jahrzehnte.

19451960198020002020

Keine Frage, die Pop-Musik hat sich von Anfang an politisch verstanden. Hat sie auch etwas bewegt? Im folgenden Gedanken zur bewegten Entwicklung der letzten Jahrzehnte.

Werbung
Werbung
Werbung

Ich weiß nicht, ob der Glaube wirklich Berge versetzen kann. Aber eine Sache habe ich selbst erlebt: An Knotenpunkten der gesellschaftlichen Entwicklung können Illusionen (wenn diese Illusionen von vielen Menschen geteilt werden) in der Wirklichkeit praktische und langdauernde Folgen haben; allerdings nicht unbedingt jene, von denen man anfangs geträumt hat.

Genauso ist es uns vor zwanzig Jahren mit der Illusion gegangen, die Rockmusik wäre eine direkt politische, systemsprengende Kraft, sie wäre Teil unserer antiautoritären Revolution. Heute bin ich (vielleicht) klüger als damals, aber ich sehne mich oft nach dem Gefühl dieser Tage zurück: „Love is all You need" oder „Street Fighting Man" in der Music Box, im Fernsehen eine Sondersendung - Alfons Dalma kommentiert den Pariser Mai '6 8 - wir stehen vor dem Hauptgebäude der Grazer Uni, streitend mit Burschenschaftern und Professoren: Es geht um die Freigabe von Hörsälen für Diskussionen über Gott und die Welt (aber damals hatten wir andere Titel für unsere Teach-Ins).

Damals wäre es uns auch nicht eingefallen, einen Trennungsstrich zwischen der Entwicklung in der Rockmusik und unserem politischen Anspruch zu ziehen. Mehr noch: Wir fanden unsere Sehnsüchte in eben dieser Musik wieder und holten uns nach Niederlagen in der seltsamen Grazer Studentenbewegung aus Liedern, die heute „Oldies" sind und im „Treffpunkt" hin- auf und hinuntergespielt werden, wieder Kraft für neue „Untaten".

Und gehörten Rock-Musik und Protestbewegung nicht zusammen? Gab es nicht zuerst den Kampf um die Beatles-Musik und die Beatles-Frisuren an den Schulen und dann erst die Demos und Sit-ins? War es nicht auch deshalb leichter für uns, das bekannte Che-Guevara-Plakat (Hasta la Victoria Siempre) an unsere Zimmerwände zu kleben, weil - stilistisch - davon kein weiter Weg zu einem Jimi-Hendrix- Poster war? Natürlich war die Sache nicht so einfach. Der Siegeszug von Beatles, Rolling Stones und Bob Dylan war Ausdruck einer Zeitenwende, markierte (mit anderen neuen Erscheinungen der Massenkultur) das Ende der Nachkriegsperiode im Bewußtsein. Wir spürten die Inhalte einer neuen Zeit: „The Times they are a changing", „I can't get no Satisfaction" und so weiter.

Gleichzeitig übersahen wir, daß hier „eine Maschine des Milliardengeschäftes entstand, sie transportierte noch Inhalte, alles war noch neu - in ein paar Jahren würde es an jenem Platz, an dem damals John Lennon, Jim Morrison oder Janis Joplin standen, bald nur mehr Leute aus Plastik und Musik aus Plastik geben.

Unsere Illusionen über diese Musik und ihre Wirkung halfen uns damals aber in der Politik. In den sechziger Jahren passierte so viel zum ersten Mal - von frechen Interviews der Beatles bis zu Woodstock -, daß die Studentenbewegung einen Teil ihres Mutes, Grenzen zu überspringen und die Spießer zu provozieren, von dorther nehmen konnte.

Wir glaubten die Revolution zu machen und waren oft nur Ideenbringer für das Establishment. Das konnte sich an die neue Zeit anpassen und ist bis heute - einigermaßen - über die Runden gekommen.

Wahrscheinlich wird es keine Generation mehr geben, für die Rock und Politik so ineinander übergehen wird wie für uns während dieser kurzen Zeit Ende der sechziger Jahre.

Der Autor ist Journalist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung