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Portrat eines Hoflings

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ln seinem neuen Roman „Die Werke der Einsamkeit“ zeichnet der Autor ein zeitkritisches Panorama der Gesellschaft. Das umfangreiche Werk erscheint in diesem Herbst im Verlag Styria, Graz.

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ln seinem neuen Roman „Die Werke der Einsamkeit“ zeichnet der Autor ein zeitkritisches Panorama der Gesellschaft. Das umfangreiche Werk erscheint in diesem Herbst im Verlag Styria, Graz.

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Hawlitscheks schützende Hand: sie war mehr als ein Sinnbild. Uneingeweihte mochten das Protektorat, in das sich der junge Mann begeben hatte, belächeln; den Trägern und Vollstreckern des politischen Rituals machte die Sache Eindruck. Selten mußte der Beschützer im Interesse des Schützlings tätig werden; es genügte, daß seine Vorliebe für den Strebsamen bekannt war.

Das System gegenseitiger Abhängigkeiten forderte täglich neue Nachrichten über die Verlagerung der Gewichte; wer da nicht mithalten konnte, zog im falschen Augenblick die falschen Schlüsse,

Sflegte Verbindungen, die über facht unnütz geworden waren, kam in der neuen Konstellation nicht zum Zuge. Anspielungen eines Mächtigen wurden in kleinem Kreis als Vorzeichen künftiger Veränderungen ausführlich besprochen.

In der Nähe republikanisch gesinnter Macht ging es nicht anders zu als am Hofe eines absolutistisch regierenden Monarchen. Hawlitschek wäre in diesem Sinne früher einmal Bannerherr des Reiches gewesen, stark genug, um seinen eigenen Vasallen Achtung und Einfluß zu verschaffen. Die Zahl der ihm ergebenen Dienstmänner hätte andererseits seine Stellung bei Hofe gefestigt. Der Herrscher konnte mächtige Magnaten gut gebrauchen, sofern sie sich der Krone bedingungslos unterstellten. Große, Mittlere und Mindere bildeten gemeinsam das wohlausgewogene System der Machtverteilung. Wurde der eine oder andere übermütig, kam es zur Störung. Glücklose Parteiführer gefährdeten die Stellung aller; ihr Sturz war bald beschlossene Sache.

Im Urmythos war der Vorgang vorgeprägt. Der Aufstand der Titanen gegen ihren Vater Uranos verlief, vom weiblichen Prinzip beflügelt und gestärkt, erfolgreich; den Siegern blieb indessen nur eine kurze Zeitspanne bemessen. Kronos entmannte Uranos, Zeus erschlug Kronos, Zeus wurde von Roms Göttern beseitigt, erhalten blieben allerdings das Mysterium der Macht, die Methodik des Machtwechsels und die Fähigkeit des Angreifers, sich auch vor sich selbst als Vollstrecker eines höheren ethischen Willens darzustellen. So war das Feld beschaffen, das Wyss betrat, Protektionskind einer Legendenfigur, selbst Anwärter auf einen Platz in der Legende.

Die Vorstellung, Hawlitschek, dieser biedere Mann, unbestechlich und felsenfest, in allen wichtigen Gremien wohlverankert, bald Denkmal seiner selbst, habe in der Person des jungen Gerd Wyss einen geistigen Ziehsohn gefunden;'“BekänTim Kreise der Eingeweihten mythisch-magische Züge. Hinter dem Lächeln, das dem jungen Mann von nun an entgegenstrahlte, arbeitete ängstliche Berechnung.

Die Wyss hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, in ihrem Beruf und zugleich auch in der Landwirtschaft ihren Mann zu stellen. Unser Freund betätigte sich in der Studentenschaft ebenso wie in der kommunalen Politik seiner Ortschaft. Er war von Natur aus neugierig und körperlich robust, brauchte wenig Schlaf und hatte zudem die angenehme Eigenschaft, sich nie zu langweilen. Eine umherschwirrende Fliege genügte, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln; der Anblick vieler Gesichter bot ihm ausreichenden Stoff für unterhaltsame Studien; die Teilnahme an politischen Aktivitäten hatte zudem etwas Sportives.

Für den Uneingeweihten sind auch die wortreichen Beratungen von Göttern oder Feldherren der homerischen Dichtung wohl nur leeres Geschwätz, für Griechen und Trojaner aber schicksalsentscheidend; auch das Publikum der fahrenden Sänger, die es für ihre Pflicht hielten, den Fall Tro-jas in allen Einzelheiten zu schildern, hörte im Dahinströmen der Verse das Raunen jederzeit sprungbereiter Dämonen. Das geduldige Ausharren bei politischen Beratungen aller Art erscheint im Licht des homerischen Beispiels als Tugend. Hawlitschek machte den jungen Mann, nachdem dieser seine Studien als Dr. iur. abgeschlossen hatte, zum Leiter seines Sekretariats. So wurde der Schützling bald selbst zum Beschützer anderer.

Er sah in der bescheidenen Machtfülle, die ihm zugefallen war, vor allem eine Verpflichtung, zwischen oben und unten im Dienste der Partei und zur Stärkung der eigenen Position zu vermitteln und seinen Herrn und Meister, der altersbedingt Zeichen der Schwäche zeigte, gegen den Ansturm von Bittstellern, aber auch gegen die launigen Wünsche der Mächtigen abzuschirmen. Anfallende Kleinarbeit wurde zufriedenstellend erledigt, der neue Sekretär verwandelte sich nach und nach zum Hohepriester seines Herrn, der sich nun, von den geringeren Pflichten des politischen Alltags unbehelligt, dem kontemplativen Dasein eines sakralen Königs widmen und seine Erinnerungen diktieren konnte.

Von der Last befreit, kani Hawlitschek endlich dazu, so zu sein, wie er mit siebzehn Jahren hatte sein wollen: nachdenklich, die Stellung des Einzelnen im politischen Geschehen und die komplizierten Fragen des Klassenkampfes umsichtig erwägend, mit der Lektüre der wichtigsten Journale beschäftigt, zugleich Freund einiger weniger, die Hilfe und guten Zuspruch wohl gebrauchen konnten. Hawlitscheks Reden hatten von da an die Würze eigenständigen Philosophierens, das gab ihnen inmitten der allgemeinen Geschwätzigkeit Format und Gewicht. Er stand nun im siebten Jahrzehnt seines Lebens; die Mächtigeren wurden durch seine wachsende Autorität nicht geängstigt, sie machten sich, im Gegenteil, die Popularität des Alten zunutze; im Schauspiel der Zeit war die Rolle des in Ehre ergrauten Weisen unbesetzt; Hawlitscheks Gestalt gewann klassische Würde. Das Erscheinen seiner Memoiren festigte seinen Ruhm.

Wyss sah sich bald dem intimen Kreis der Großen zugeordnet. Sie fanden ihn dienstbereit und bescheiden, dabei nicht verlegen, wenn es darum ging, dann und wann eigene Meinungen zu äußern.

Irrationales kam dazu. Die Mächtigen waren zumeist Männer zwischen fünfzig und sechzig, selbstbewußt genug, um ihren Launen freien Lauf zu lassen. Der eine verbrachte die Morgenstunden auf dem Tennisplatz und kam zu den Besprechungen meistens verspätet, der andere hatte eine Schwäche für schnelle Autos, der dritte legte Wert darauf, als Freund einflußreicher ausländischer Staatsmänner auch im engsten Kreis Respekt zu finden, und ließ die entsprechenden Fotografien von Hand zu Hand gehen, der vierte brachte seine junge Frau ins Spiel. Es fehlte nicht an Alkoholikern. Ein verhältnismäßig junger Politiker war herzleidend, hin und wieder griff er zur Medizin. Wyss war zugegen. Eine gewisse Intimität des Umgangs war die Folge. Der Tennisspieler schwitzte, der Mann der jungen Frau zeigte sich an Modeblättern interessiert, der Herzkranke war dankbar, wenn man seine Anfälle nicht bemerkte. Es gab Gründe genug, sich der Verschwiegenheit des jungen Mannes zu vergewissern. Man war unter sich, auch wenn er dabei war.

Wyss hatte das Zeug dazu, die Gunst der Stunde zu nutzen. Zwischen kalter Berechnung und der Freiheit, nach bester Einsicht das Freundlichste zu tun, hielt er die Mitte. Seine Verbundenheit mit dem Klassiker hinderte ihn nicht daran, im geeigneten Augenblick die Nabelschnur zu durchschneiden.

Hawlitschek selbst gab den Anstoß. Den Querelen des politischen Alltags enthoben, erwarb er sich das Recht auf ein Leben im Stil eines Privatmannes. Der Form nach behielt er alle seine Ämter bei, doch war er in seinen verschiedenen Arbeitszimmern nur selten zugegen. Nachdrängendes Parteivolk bemächtigte sich ehrfürchtig der verschiedenen Aufgaben. Der Alte durchschaute vieles, verantwortete alles. Die Arbeit mit einem großen Sekretariat wurde ihm lästig, den Umgang mit einer Vielzahl von Menschen empfand er plötzlich als widersinnig und ermüdend. Er wollte allein sein und genoß die Weite des Freiraumes, der ihn nun umgab. Die Lust an der Einsamkeit war ein neues Gefühl, eine beglückende Erfahrung. Der alte Mann genoß sie wie die Berührung der Kühle in den Stunden, die er während einer kurzen Wanderung an der frischen Luft verbrachte. Die Waldungen der Hügellandschaft zogen ihn an, er lernte die Sprache der Äcker und des Weidelandes zu entziffern, der Geruch frischgemähten Grases brachte in ihm etwas in Bewegung, das nicht benannt werden wollte.

Der strebsame junge Mann paßte nicht ins Bild. Er erinnerte an eine Lebensform, die Hawlitschek längst hinter sich gelassen hatte. Staunend, belustigt, dann und wann grollend sah er den Leiter seines Sekretariats etwas tun, das er selbst noch vor wenigen Jahren tagtäglich getan hatte. Der Anblick war beruhigend und unbehaglich zugleich. Es gab also, man erfuhr es eben nur im Alter, eine ungebrochene Kontinuität, und die Jüngeren waren auch nicht besser, als man selbst gewesen; warum hatte man sich seinerzeit so oft in taktischen Manövern verloren, warum eine Zwischensprache gepflegt, die von der Lüge und der Wahrheit gleich entfernt war, warum das Werk vom Beiwerk nicht unterscheiden können? Es war jedenfalls an der Zeit, sich vom jungen Mann zu trennen. Der Entschluß war zudem auch noch vernünftig: Eine politische Begabung war reif geworden, sie durfte nicht länger gebunden werden, man brauchte Männer wie Wyss.

Wenn Beschützer und Schützling im selben Augenblick dasselbe wollen, ist der glatte Ablauf gesichert. Hawlitschek vertiefte sich in seine Einsamkeit, Gerd Wyss war flügge geworden, warf sich auf ein Sachgebiet der Politik, das von wenigen Funktionären geachtet wurde, seinen Interessen aber entsprach. Er entdeckte die Kultur.

Nach kurzen Jahren hielt man ihn für einen Fachmann. Zudem gehörte er in seinem Bundesland zu den wenigen Glanzvollen und Einflußreichen. Die Landtagswahlen brachten für ihn endlich das erwünschte Ergebnis. Er war nun Landesrat. Einige Monate darauf lud er zur Feier seiner Hochzeit, stand mit seiner Frau im Empfangsraum der neu erbauten Villa und begrüßte seine Gäste. Er wirkte bescheiden; sein Blick war werbend; er wollte offenbar geliebt oder wenigstens geachtet werden. Was uns entgegenstrahlte, war ein Lächeln mit gefletschten Zähnen.

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