Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Porzellanzerbrecher
Bang fragt Thomas Lachs, volkswirtschaftlicher Referent des ÖGB, in der jüngsten Nummer der „Arbeit und Wirtschaft“, ob Österreich „die Talfahrt ausgelassen“ habe. Rechtens befürchtet er einen „entscheidenden Konjunkturrückschlag“, wenn es nicht gelingt, „die Preise in den Griff zu bekommen“ und bestätigt so, daß angesichts der für das kommende Jahr vorgelegten Prognosen über eine inflationäre Entwicklung mit Geldentwertungsraten von 8, 9, 10 oder mehr Prozent das Schreckensgespenst der „Stagflation“ nicht auszuschließen sei.
Dies von einem ÖGB-Funktionär in einer ÖGB-Schrift zu lesen, ist nicht interessant, weil es richtig ist, sondern bedeutsam, weil nun auch die Gewerkschaft beginnt, sich von der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und insbesondere des Finanzministers zu distanzieren. Die Kritiker Androschs mögen sich über die nachträgliche Zustimmung zu ihren Urteilen von sehr berufener Seite freuen, die Oppositionspolitiker dürften aus der ganz offensichtlich völlig verfahrenen Situation der heimischen Wirtschaft und der sozialistischen Regierung Kraft für stimmenergiebige Aktionen schöpfen; die heimische Wirtschaft freilich, die österreichische Bevölkerung, ob nun Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, werden unter dem gewiß „hausgemachten“ Wirtschaftsdilemma der nächsten Monate und Jahre schwer zu tragen haben.
Oft genug wurden in dieser Zeitung die Ursachen der verlorengegangenen Wirtschaftsstabilität in Österreich beschrieben, oft genug wurde Maßhalten urgiert, wenn explosives Anheizen angeboten wurde und oft genug auch wurden die zwingend logischen Folgen der Wirtschaftspolitik der sozialistischen Bundesregierung dargestellt. In Interviews reagierte Finanzminister Dr. Androsch auf Kritik mit überheblichem Lächeln, das gerade angemaßten Fachautoritäten so schlecht steht; im Parlament übte er sich in der schwungvollen Darstellung einer „heilen“ Wirtschaftswelt; in Gesprächen mit Vertretern des Gewerkschaftsbundes aber sollte der geübte Porzellanzerbrecher wenigstens in den nächsten Wochen und Monaten einen sachlicheren Ton finden, um zu retten, was auch heute noch zu retten ist. Denn letzten Endes hängt doch alles von ÖGB-Präsident Benyas Bemühungen, im kommenden Frühjahr eine Zwischenlohnrunde zu verhindern, ab. Und diese Bemühungen dürften wenig Aussicht auf Erfolg haben. Denn so stark ist auch Benyas Position im Gewerkschaftsbund nicht mehr, daß er bei zumindest monatelangen 10-Prozent-Inflations-raten dem Druck radikalerer Lohnforderungen wird standhalten können. Das weiß Anton Benya und greift offenbar zu Alibiaktionen (ORF!), das weiß Bruno Kreisky, indem er auf Benya hofft.
In dem eingangs erwähnten Artikel hat denn auch der ÖGB-Funktionär Thomas Lachs klar und deutlich zur befürchteten Zwischenlohnrunde festgehalten: „Wenn die Preisentwicklung tatsächlich jene Grenzen überschreitet, die von den Arbeitnehmern und ihren Organisationen als gerade noch tolerierbar angesehen werden, dann würde es im Frühjahr des kommenden Jahres zweifellos zu außertourlichen Lohnerhöhungen kommen. Diese Lohnerhöhungen würden entweder von den Gewerkschaften selbst ausgehen oder auf betrieblicher Ebene verlangt und durchgesetzt werden.“
Da diese Zwischenlohnrunde — unabhängig von der Nachfrage nach Arbeit oder den durchschnittlichen Produktivitätssteigerungen — durchgesetzt würde, hätte die Unternehmerseite keine besonderen (politischen) Schwierigkeiten in jenem Sinne der These, daß Kostenpreise auch „gerechte“ Preise sind — und würde ihren Preisen die höheren Lohnstückkosten aufschlagen.
Diese Entwicklung, das läßt sich heute mit einiger Sicherheit behaupten, wird Österreich im kommenden Jahr nehmen. Sie kann durch Kompromisse zwischen den Sozialpartnern nicht aufgehalten werden, eher noch ist die „Stagflation“, also das Zusammentreffen von Stagnation und Inflation, eine Folge von solchen Kompromissen. Denn eine durchaus mögliche Arbeitslosigkeit im Gefolge der skizzierten wirtschaftlichen Entwicklung trifft nicht die maßgebenden Gewerkschaftsmitglieder, sondern eher die jugendlichen, noch nicht in den ÖGB eingetretenen Arbeitskräfte, Jungakademiker, deren Ausbildung nicht nachfrageorientert ist, ungelernte Arbeitskräfte und auch Gastarbeiter. Die Unternehmer wiederum würden sich eher um organisatorische Kostensenkungen bemühen, auch die Werbeaufwendungen einschränken, im übrigen aber versuchen, qualifizierte Arbeitskräfte zu halten, wodurch es bloß geringe Arbeitsmarktrückwirkungen auf den Gewerkschaftsbund geben sollte.
Das ist es, was über die prognostizierten exorbitant hohen Inflationsraten hinaus die heimische Wirtschaft und die österreichische Bevölkerung im kommenden Jahr zu erwarten hat, wenn die nun schon angekündigte Zwischenlohnrunde realisiert wird. Die Schuld an dieser sehr wahrscheinlichen Entwicklung trifft den Gewerkschaftsbund dann nur insoweit, als von dieser Seite der falschen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung die Mauer gemacht wurde, was wiederum ein Licht auf die Folgen schlecht verstandener Solidaritätsgefühle wirft; die Hauptschuld ist bei einer Bundesregierung zu suchen und zu finden, die alles und alles zugleich machen will und der wahrscheinlich gerade deshalb nichts gelingen will, was einigermaßen Bedeutung für die Kontinuität einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung hätte.
Was man sich in dieser Situation also vom Stabilitätsgipfel — der spät, aber doch, kommt — erwarten kann, ist eine echte Verminderung der Hektik der Bundesregierung. Hier ist der eigentliche Ansatzpunkt jeder Stabilisierung — von der Finanz-und Budgetpolitik müssen die dämpfenden Impulse ausgehen.
Und weil man gerade im Parlament über das (noch nicht beschlossene) Budgetgesetz für 1973 berät, kann der Finanzminister seinen Beitrag leicht vorleisten: als Änderung des Bundesvoranschlages durch Herabsetzung des überzogenen Ausgabenrahmens.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!