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Potemkins Freiheit

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In der ganzen Diskussion über die Freiheit der Kunst blieb ein wichtiger Aspekt unter- bis unbe-lichtet.

Es wurde darüber geredet, wie die Freiheit der Kunst noch besser verankert werden könnte, ohne die von der Verfassung schließlich auch garantierten Rechte etwa eines von einem Romanautor beleidigten Menschen einzuschränken. Sehr löblich.

Es wurde gefragt, ob die Freiheit eines Künstlers, der „beleidigen und sich beleidigt fühlen, aber niemals für seine Beleidigungen belangt werden darf“, nicht zu einer Freiheit im gesetzlichen Abseits würde (FURCHE 42a/85). Das ist ein wichtiges Thema.

Auch darüber, ob es religiöse, sittliche, politische Tabus geben kann, darf, soll, muß man ausführlich reden. Wollen wir, um Beispiele aus einem besonders sensiblen Bereich anzuführen, Nazipropaganda oder Herabsetzung von Minderheiten, gegen die niemand mehr etwas unternehmen kann, weil sie uns als Kunst daherkommen? Sollen wir es, angesichts der Ergebnisse gewisser Meinungsumfragen, wirklich riskieren, eines Tages Verunglimpfungen des jüdischen Glaubens aushalten zu müssen, die unter dem Titel „Freiheit der Kunst“ Immunität genießen? Was will man dann noch dagegen unternehmen?

Niemand kann eine praktikable Definition anbieten, die derlei von Kunst abgrenzt. Es gibt heute keinen Schimmer einer Hoffnung, Kunst überhaupt in einer für den Alltag der Justiz brauchbaren Weise definieren zu können. Gibt es die aber nicht, wird man im Zweifelsfall als Kunst akzeptieren müssen, was sich dafür ausgibt. Jeden Tag könnte einer kommen und einen neuen Film von der Sorte des „Jud Süß“ zeigen - oder Ärgeres.

Das alles ist wichtig, muß bedacht werden, läßt die Bemühung um eine Käseglocke für die Kunst noch problematischer erscheinen. Doch um alles geht es hier nicht.

Hier geht eum den seltsamen Umstand, daß dieser ganzen seltsamen Diskussion um die Freiheit der Kunst sehr wohl ein Kunstbegriff, ein das Phänomen Kunst eingrenzender Sprachgebrauch zugrundeliegt, der aber wohlweislich unausgesprochen bleibt.

Für die lieben Leute, die sich jetzt um eine noch bessere Absicherung für die Freiheit der Kunst bemühen, ist ganz offensichtlich das Kunstwerk identisch mit dem öffentlich gewordenen Kunstwerk. Wahrscheinlich ist ihnen noch gar nicht aufgefallen, was das heißt.

Es geht in diesen Bemühungen immer nur um das Werk, das bestimmte Filter passiert, bestimmte Kanäle durchlaufen, bestimmte Instanzen überwunden und somit in wohletabliert kodifizierter Weise das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat.

Was in einem gedruckten Buch, auf einem Bild in einer Ausstellung, im Kino in einem Film, einem im Theater gespielten Stück gesagt oder gezeigt wird, soll, wenn es mit der in diesem Zusammenhang tatsächlich in Anführungszeichen zu setzenden „Freiheit der Kunst“ ernst wird, den Schlupf unter die Käseglocke geschafft haben - hat aber so oder so, mit oder ohne immer besser verankerte Kunstfreiheit, den größeren, dornenreichsten Weg zur Wirkung in der Öffentlichkeit längst hinter sich.

Erst muß sich der Verlag vom Autor ein Geschäft versprechen, ehe sein Roman gedruckt und damit zu einem Kunstwerk wird, dem die allerhöchst abgesicherte Freiheit der Kunst etwas nützt. Wie die bildenden Künstler um einen winzigen Zipfel Öffentlichkeit und damit Beachtung strampeln, wie die Situation unserer Filmkünstler ist, weiß nachgerade jeder, der sich ein bißchen für Kunst interessiert. Und in den Theatern sitzen Direktoren, die von Ministern, Kulturstadträten und Bankdirektoren selektiert wurden und Dramaturgen, die die Ängste ihrer Direktoren verinner-licht oder gleich gar nix zu reden haben.

Die Politiker, der Gesetzgeber, sie können es sich leisten, der Kunst jede Freiheit zu garantieren. Es dringt schon nicht zu viel von dem, was unangenehm werden könnte, durch die leise und unauffällig arbeitenden Siebe. Was in ihnen hängenbleibt, kann seinen Anspruch auf Teilhabe an der Freiheit der Kunst beim Salzamt einklagen. Bei uns braucht man nur noch selten etwas zu verbieten.

Damit aber werden die Verlage mit ihren geschäftlichen Maximen, die Theaterdirektoren mit ihrer tiefinneren, menschlich so verständlichen Sehnsucht nach Verlängerung ihrer Verträge, werden die zensierenden Selbstzensoren und die Verwalter der Moden zu den Verteilern der vom Gesetzgeber ausgeschütteten Freiheit der Kunst. Eigentlich ist es ihre Freiheit. Was sie machen, was sie drucken, drehen, spielen -das ist frei. Ist Privileg von dero Gnaden.

Falls es dazu kommt.

Falls nicht, braucht keinem Künstler leid drum zu sein. Denn Pseudo-Garantien, die niemandem etwas bringen und niemanden etwas kosten, Als-ob-Getue, Augenauswischereien, Federin am Hut der Politiker, Potemkin-sche Freiheiten sind nicht und waren nie im Sinne der Kunst

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