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Poujadismus — auch in Österreich?

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Wo sind sie geblieben, der „Uomo qualunque“ in Italien, Sammelbek-ken aller Unzufriedenen, oder der rabiate Steuergegner Poujade samt seiner eine Zeitlang aktiven und erfolgreichen Bewegung in Frankreich? Sie verschwanden so schnell wie sie kamen. Große Anfangserfolge und hernach nichts. Ein Strohfeuer.

Wird es dem „dänischen Poujade“, Mogens Glistrup, ebenso ergehen? Soweit man es von hier aus, ohne direkte Kenntnis der lokalen Szene beurteilen kann, wahrscheinlich.

Können darum die traditionellen Parteien aufatmen, wird alles beim alten bleiben? Wohl kaum, Glistrup ist keine Persönlichkeit, aber ein Fanal. Und die politische Szene hat sich seit den fünfziger Jahren gewandelt. Der Wählerwille, der sich durch Glistrup zu artikulieren trachtet, wird weiter existieren, nach anderen Ventilen suchen.

Der Fall Dänemark ist zwar das spektakulärste Symptom einer ganz bestimmten, sich auf breiter Basis anbahnenden Entwicklung, aber er ist nicht das erste. Wenn auch die jeweilige lokale Situation zu einer gewissen Variabilität der Symptome führt, es gibt doch einen gemeinsamen Nenner, der in einer Malaise breiter Schichten der Wählerschaft, in einer Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien, ob rechts oder links, besteht.

Es sind Proteststimmen, die den „Meinen Dritten“ oder gar Splittergruppen zufallen, Versuche von Teilen der „schweigenden Mehrheit“, sich zu artikulieren. Sicherlich nimmt — um auf das dänische Beispiel zurückzukommen — nur ein Bruchteil seiner Wähler jenen Glistrup, dessen Partei sie zur zweitstärksten Dänemarks machten, ernst; sicherlich glauben sie nicht daran, man könnte die Steuern tatsächlich zur Gänze abschaffen und die Bürokratie zumindest dezimieren. Aber man braucht diese Wähler nicht gleich als unreif und undemokratisch zu beschimpfen, wie dies die verärgerten Vertreter der etablierten Parteien tun.

Schließlich kann kein Mensch seine Wünsche auf den Stimmzettel schreiben, sondern er kann nur eine Partei wählen. Er kann seine Wün-sthe nur indirekt durch seine Präferenz mitteilen. Wie aber, wenn keine der etablierten Parteien jene Forderungen vertritt, die ihm unter den Nägeln brennen?

Gewiß existieren noch viele andere Wähler, die ebenfalls einen Trendumschwung wünschen, es glücklicherweise aber doch nicht über sich brachten, ihre Stimme an einen Demagogen wegzuwerfen. Sie mögen teilweise der erstaunlich erfolgreichen sozialistischen Splittergruppe Andersens, teilweise aber doch den etablierten Parteien nolens volens ihre Stimme gegeben haben, so daß wahrscheinlich eine viel breitere Gruppe, als im Wahlresultat zum Ausdruck kommt, im großen und ganzen die Ansicht der Protestwähler teilt: Sie alle haben einfach genug von der Degeneration der Demokratie zur Gefälligkeitsdemokratie, von den dauernden Wahlgeschenken, deren Preis eine permanent wachsende Steuerlast und eine immer schneller werdende Inflation ist. Der Erfolg Glistrups bedeutet, um es möglichst knapp zu formulieren, einfach das Unbehagen weiter Kreise an der Gefälligkeitsdemokratie.

Könnte so etwas auch in Österreich passieren? Zweifellos, die dänische Malaise ist bei uns gleichfalls vorhanden. Was wir — glücklicherweise — nicht haben, ist ein Glistrup. Es ist' bei uns vorläufig auch nicht der richtige Boden für einen solchen Senkrechtstarter. Vielleicht deswegen, weil bei uns — wie in Deutschland — die Erinnerung noch zu lebhaft ist an einen Mann, der als siebentes Mitglied in eine unbedeutende rechtsradikale Gruppierung eintrat, den lange Jahre niemand ernst nahm, dem gleichfalls die Proteststiimmen zufielen — bis es zu spät war, ihn wieder loszuwerden. Und er, der „Führer“, wußte die Macht zu halten. Man ist daher hierzulande mißtrauisch geworden gegen Außenseiter, auch wenn sie komisch sind.

Auch die britische Konstellation ist in Österreich noch nicht gegeben. So sehr sich unser „kleiner Dritter“ auch ohemisch zu reinigen versucht, das Publikum glaubt noch immer braune Flecken zu bemerken und ist entsprechend zurückhaltend.

Diese Abkehr von den etablierten Parteien ist aber letzten Endes eine Folge des Versagens der großen nichtsozialistischen Gruppierungen, mögen sie — je nach Land — einmal konservativ, dann wieder liberal oder christlich heißen. Wie verschieden sie voneinander auch sein mögen, von ihnen allen erwartet der Wähler ein Kontrastprogramm zu dem der Sozialisten, eine echte Alternative.

Und diese Alternative wird nicht geboten. Gebannt sehen die Nicht-sozialisten auf den scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch des Sozialismus und versuchen als Parteiapparat, nicht als Ideenträger zu überleben, indem sie entweder versuchen, sich an die sozialistischen Initiativen anzuhängen und diese nur ein wenig zu verwässern, oder indem sie gar links zu überholen trachten — und in beiden Fällen unglaubwürdig werden.

Die nichtsozialistischen Wähler erwarten aber etwas anderes. Nämlich eine soziale Partei, die sich um echte Härtefälle annimmt, aber keine, die den sozialistischen Wohlfahrtsperfektionismus mitmacht. Und das wird von den nichtsozialistischen Parteien noch immer nicht begriffen. Hätten sie es in Dänemark begriffen, ihnen würde ein Großteil der Glistrup-Stimmen zugefallen sein und sie hätten nun das, was ihnen derzeit fehlt: eine solide Mehrheit.

Seit in Österreich die Sozialisten gesiegt haben, hat sich in der Volkspartei der Glaube eingefressen, sie verdankten dies ihren langatmigen Programmen, die ohnehin niemand gelesen hat. Es wird ganz übersehen, daß die Sozialisten ihren Sieg eigentlich zwei konservativen Parolen verdankten: dem Versprechen der Steuersenkung und dem der Inflationsbekämpfung. Seit es evident ist, daß sie keines davon gehalten haben, geht es mit ihnen wieder bergab — und nicht, weil die ÖVP noch schönere Programme hätte.

Das Jahr 1973 war ein Jahr des Umbruches — von der Energiekrise bis zur Krise im Wahlverhalten. Was sich hier anbahnt, wird erst in ein paar Jahren ganz deutlich werden. Auf die Profilierung der nichtsozialistischen Parteien wird es ankommen, ob die Wähler eine echte Alternative finden oder ob sie das Opfer von Rattenfängern — ganz gleich, ob von links oder rechts — werden.

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