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Prachtvoller Untergang

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Die jährlichen Sommerausstel-lüngen im burgenländischen Schloß Halbturn sind durch zwei äußerliche Gegebenheiten geprägt: Das Schloß liegt in der Dreiländer-Ecke Österreich-Ungarn-Tschechoslowakei, und es hat besonders hohe, fensterlose Räume. Hier waren schon riesige Wandteppiche zu sehen, die sonst im Wiener Kunsthistorischen Museum magaziniert sind. Und in diesem Sommer kann man ebenso riesige Gemälde von Hans Makart hier ausstellen, die anderswo

schon rein räumlich Verlegenheit bereiten. Aus diesen Gegebenheiten eine sinnvolle und erhellende Ausstellung zu machen, ist der österreichischen Galerie vorzüglich gelungen.

Die Staatsgalerie kommt längst nicht mehr mit ihrem Stammsitz in den Wiener Belvedere-Schlös-sern des Prinzen Eugen aus und hat als jüngste Expositur eben jenes Schloß Halbturn bezogen, wo sich in ehemaligen Stallungen und Remisen zum Beispiel Plastiken des 20. Jahrhunderts aufstellen ließen. Für das barocke Hauptgebäude hat man zum Rendezvous „Hans Makart und der Historismus in Budapest, Prag und Wien“ die befreundeten Nationalgalerien der Nachbarländer eingeladen.

Es wäre müßig, über die Auswahl der Maler und ihrer Werke zu rechten. Allzu viele kulturpolitische, konservatorische, Transport- und andere Probleme sind da im Spiel. Drei Künstler stehen im Vordergrund und vertreten den jeweiligen Historismus: Hans Makart (1840-1884) für Wien, Mihäly Munkäcsy (1844-1900) für Budapest, Vaclav Brozik

(1851-1901) für Prag. Alle drei wuchsen künstlerisch im Umkreis des Münchner Historienmalers Karl von Piloty auf und entwik-kelten sich dann auf ihre Weise — nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit der Kunst Frankreichs.

Hans Makart war der Wiener Künstler seiner Zeit; er prägte Wien wie kein anderer und ging mit der tonangebenden Gesellschaft eine Symbiose ein. Ein Rausch von Schönheit ging von seinen Bildern aus und wirkte weithin kräftigend und belebend. Makart fand die Erfüllung in seiner Zeit und seiner Umgebung. Wo er in die Vergangenheit blickte, war es die Freude am Kostüm, an der Verwandlung — ohne irgendwelche nationalen Impulse.

Das merkt man besonders deutlich, wenn man Vaclav Brozik daneben sieht. In Prag begann in den siebziger, achtziger Jahren die Ablösung von der Zentrale Wien. Die Künstler blickten vor allem nach Frankreich, aber auch in die eigene, böhmische Vergangenheit. Die trotzige Darstellung wichtiger Stationen der Geschichte (Jan Hus und Comenius sind Hauptdarsteller) gipfelt in der Mitarbeit Broziks wie vieler Kollegen seiner Generation am Gesamtkunstwerk des Prager Nationaltheaters. Deutlich ist auch die gesellschaftliche Komponente erkennbar.

Konnten die tschechischen Patrioten ihre patriotischen Künstler ernähren? Brozik machte 1876 seine erste Reise nach Paris - auf Kosten des Grafen Kaunitz. Er faßte dort künstlerisch Fuß, heiratete die Tochter des einflußreichen Kunsthändlers Charles Se-delmayer und wurde 1884 Ritter der Ehrenlegion. Neun Jahre später wurde er an die Prager Akademie berufen und 1897 für das Kolossalbild „Tu felix Austria mibe“

von Kaiser Franz Joseph in den Adelsstand erhoben — natürlich unter dem Spott der tschechischen Nationalisten, zu deren Beschwichtigung er ein echtes Kompromiß-Bild malte: „Ferdinand I. unter seinen Künstlern“. Das sieht nun wirklich aus wie ein Kostümfest im Garten des (unter Kaiser Ferdinand I. erbauten) Prager Belvedere. In den historischen Gewändern scheinen ebenso Zeitgenossen Broziks zu stekken, wie in seinem „Fest bei Rubens“ (1881) und wie das auf Bildern Makarts auch der Fall ist.

Aussagekräftig ist der Vergleich zweier Darstellerinnen der Messalina in August Wilbrandts Stück: 1875 hat Hans Makart die Burgschauspielerin Charlotte Wolter in der Rolle gemalt, ein Jahr später Brozik die Prager Schauspielerin Julia Samberk. Die große Diva in dekorativer Po-

se in Wien, die Protagonistin eines eigenständigen tschechischen Nationaltheaters in Prag. Die Kunst hatte in Prag damals offensichtlich viel ernstere, kulturpolitische Aufgaben als die Wiener ahnten.

Etwas anders verlief die Entwicklung des Michael Lieb, der sich mit der Umwandlung seines Namens stolz zum Magyarentum bekannte: Mihäly Munkäcsy entdeckte früh den einfachen Menschen und die Leiden, die er zu erdulden hatte. Aber auch er dürfte damit nicht recht weitergekommen sein, ließ sich verlocken, nach Paris zu gehen und sich dem nämlichen Kunsthändler Sedel-mayer anzuvertrauen, der Brozik zum Schwiegersohn genommen hatte. Munkäcsy entwickelte eine französische Variante der Salonmalerei und wußte trotz aller Erfolge, daß er in einer Sackgasse steckte. Wenn es ihm auch finan-

ziell gutging (mit dreißig Jahren hatte er eine Baronin geheiratet), so suchte er doch immer wieder nach seinen ungarischen Anfängen und nach ernsten Themen aus der Geschichte („Milton“) oder der Bibel („Golgotha“). Sein „Staubiger Weg“ (zwei Fassungen im Abstand von neun Jahren) zeigt ihn in einer ganz neuen Schaffensphase zwischen dem späten Turner und den Impressionisten. Sein früher Tod verhinderte die Entwicklung.

Die Halbturner Zusammenschau mag der Auseinander-Ent-wicklung der letzten hundert Jahre etwas entgegenwirken. Wie weit die Entfremdung gegangen ist, merkt man im Katalog: im tschechischen Beitrag wird der Name von Munkäcsy konsequent falsch geschrieben — und niemandem ist es aufgefallen.

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