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Präsidenten-Wahlkampf in Turbulenzen

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Tränen fließen im US-Wahlkampf: Freudentränen bei den Demokraten, weil Bill Clinton bei Meinungsumfragen mit 55 Prozent vor Präsident George Bush liegt, der nur noch auf 31 Prozent kommt; seit fünfzig Jahren der höchste Führungsvorsprung. Tränen der Wut und Enttäuschung bei zwei Millionen freiwilligen Helfern im Lager des Volkstribunen H. Ross Perot, der so überraschend, wie er in den Wahlkampf einstieg, auch wieder ausgestiegen ist.

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Tränen fließen im US-Wahlkampf: Freudentränen bei den Demokraten, weil Bill Clinton bei Meinungsumfragen mit 55 Prozent vor Präsident George Bush liegt, der nur noch auf 31 Prozent kommt; seit fünfzig Jahren der höchste Führungsvorsprung. Tränen der Wut und Enttäuschung bei zwei Millionen freiwilligen Helfern im Lager des Volkstribunen H. Ross Perot, der so überraschend, wie er in den Wahlkampf einstieg, auch wieder ausgestiegen ist.

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Perots Anhänger scheinen zu übersehen, daß H. Ross Perot kein Politiker, sondern ein kluger und erfolgreicher Geschäftsmann ist: Seine Wahlbewegung, die er schnippisch als „Basisbewegung" beschrieb, ist in den letzten drei Wochen ins Stocken geraten, und zeigte deutliche Anzeichen, für ihn doch keinen „Gewinn" abzuwerfen. Sein Wählerpotential hat sich nach der Anfangseuphorie irgendwo um die 20 Millionen eingependelt, was etwa fünfzehn bis zwanzig Prozent der Stimmen ausmacht.

Perots Ausscheiden hat viel mit seinen Fehlern im politischen Einmaleins zu tun: Er verachtete die Profis im politischen Beraterzirkus, die er gerne als „faul und dumm" bezeichnete, und vertraute ausschließlich seinen „Soldaten", seinen bodenständigen texanischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsberatern, die mit ihm die Überzeugung teilten, einen Wahlkampf ohne die traditionelle Wahlwerbekampagne betreiben zu können. Seine kritische und spitze Rhetorik bei den diversen Fernsehauftritten konnte aber nicht darüber hinwegtäu-

sehen, daß er letztlich kein politisches Programm anzubieten hatte. Und vor der Präsentation der notwendigen und harten Schritte zur Sanierung des amerikanischen Staatshaushalts scheute er zurück: Anfangs glaubte er noch verkünden zu können, die Budgetsanierung würde ihm „keine Schweißperlen auf die Stirn treiben".

Und dann passierten ihm zahlreiche kleinere Fehler: Perot irritierte zum Beispiel - obwohl er sich sofort entschuldigte - bei einem Auftritt vor der großen und einflußreichen schwarzen Bürgerrechtsbewegung NAACP die sensiblen afro-amerikanischen Wäh ler mit einer unvorsichtigen und an weiße Dominanz erinnernde Wortwahl: Ohne die Stimmen der schwarzen Mittelständler kann ein Kandidat vor allem aus dem Süden der USA aber nicht gewinnen.

Die eigentliche Ursache für Perots sinkende Aussichten auf Erfolg haben aber mit dem Zugewinn an Vertrauen für Bill Clinton zu tun, der sowohl mit der Auswahl seines Vizepräsidentschaftskandidaten als auch am Parteitag der Demokraten brillieren konnte: AI (Albert) Gore ist zweifelsohne in allen politischen Lagern der USA einer der anerkanntesten jungen Politiker, ein erfolgreicher Senator, mit enormer Kompetenz im Bereich der Sozial-und Umweltpolitik. Der gutaussehende und sympathische Harvard-Absolvent an der Seite des ebenfalls jungen Bill Clinton repräsentiert den Generationswechsel in der US-Politik, und beide können eine „Erneuerung" der müden demokratischen Partei glaubhaft machen.

Clinton und Gore bugsierten den demokratischen Parteikongreß mit ihrem Bekenntnis zum wirtschaftlichen Wachstum und traditionellen patriotischen „Familienwerten" von einer liberalen Linkslastigkeit zu einer sozial engagierten moderaten Mittelposition, eine politische Grundrichtung, die für diese Partei noch in allen sozialen und politischen Krisensituationen der USA erfolgversprechend war. Und die USA ist reif für die soziale Erneuerung, die historisch immer von der demokratischen Partei ausgegangen ist. Die ernste und ungeschminkte Analyse der amerikanisehen Sozial- und Wirtschaftspolitik hat der amerikanischen Öffentlichkeit die Demokraten als „Instrument der Revitalisierung" Amerikas vorgestellt.

H. Ross Perot hat diesen Umstand bei seiner Ankündigung, aus dem Rennen auszuscheiden, ganz in den Mittelpunkt gestellt: Die „revitalisier-te demokratische Partei" sei, wie er meinte, der Garant für die „Wende" in den USA. Und diesen politischen Prozeß der „Erneuerung" wolle er als aussichtsloser dritter Kandidat nicht „stören", denn politische Wahlen seien „kein athletischer Wettbewerb". Diese Botschaft dürfte auch seine Anhänger erreichen: Die große Mehrheit tendiert nach seinem Ausscheiden eindeutig zu Clinton.

Die republikanischen Parteistrategen sind von den turbulenten Entwicklungen im Präsidentenwahlkampf völlig überrascht worden: Präsident George Bush kann nach wie vor kein politisches Programm anbieten, und wirkte am Rande eines Angelausflugs eher ratlos, als er den Perot-Anhän-gern via Fernsehen versicherte, ja, er würde ihre Klagen über Amerika schon hören. Und sein Vize Dan Quayle griff sofort in die republikanische Trickkiste, und denunzierte Bill Clinton und AI Gore als die Kandidaten der „Steuererhöhung, Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Stagnation". Clinton freilich will keine Steuererhöhungen, außer bei den reichsten vier Prozent der Amerikaner, die durch die Reagan'sehe Steuerpolitik seit über einem Jahrzehnt geschont wurden.

Die republikanische Parole erschöpft sich einstweilen darin, Bush als denjenigen darzustellen, „der die Welt verändert hat". Die Konservativen reklamieren mit aller Vehemenz den Zusammenbruch des Kommunismus als ihren Erfolg und versprechen eine ähnliche „Revolution" nun in den USA. Bush sei der Kandidat für „Law and Order", der traditionelle Werte betone, und sich für das Schulgebet und die scharfe Bestrafung der Kriminellen einsetzen würde.

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