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PRAG: AM TOTEN PUNKT

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Ohne zu übertreiben läßt sich sagen, daß die christdemokratisch orientierte Politik in der Tschechischen Republik heute an einem toten Punkt angelangt ist. Die sehr kleine Christlich-Demokratische Partei mit dem Philosophen, Dissidenten und aufgeriebenen politischen Vorkämpfer Vaclav Benda an der Spitze ist im Grunde kein selbständiges Subjekt, sie bildet eher irgendeinen christlichen Flügel der B ürgerlich-Demokra-tischen Partei von Vaclav Klaus, die jedoch ihrem Charakter nach fechtsliberal ist.

Klaus' gründlicher Monetarismus und seine offenkundige Unterschätzung der sozialen Problematik muß notwendigerweise mit der christlichen Auffassung von diesen Problemen und auch mit der Soziallehre der katholischen Kirche in Konflikt geraten.

Auf diese Situation reagiert die Christdemokratische Partei von Zeit zu Zeit mit ganz zahnlosen Erklärungen. Ähnlich benimmt sich auch die Christlich-Demokratische Union-Die Tschechoslowakische Volkspartei (KDU-CSL = CDU-TschVP). Sie ist theoretisch Erbin der christlichsozialen Richtung, die in der Zwischenkriegszeit vor allem der Volksparteivorsitzende Monsignore Jan Srämek repräsentierte. Die heutige Partei, nach den Kommunisten immer noch in etwa die größte, was die Zahl der Mitglieder betrifft, verschob sich mehr nach rechts; und der Begriff „die Rechte” bedeutet für sie manchmal mehr als der Begriff Christentum oder Volk. Vaclav Klaus brauchte sowohl die Volkspartei als auch die Bürgerlich-Demokratische Allianz (ODA) -obwohl jede nur rund sechs Prozent der Stimmen gewann - zur Bildung einer Regierungskoalition. Die CDU-TschVP holte damit mehr für sich heraus, als sie es durch den Wahlausgang verdient hätte. Im Zusammenhang mit der Entstehung des neuen Staates hat sich die Volkspartei auch sehr stark in der Bildung der zweiten Kammer des Parlaments, des Senats, mit ehemaligen Abgeordneten der Föderalversammlung engagiert. Diese Transformation, die noch nicht abgeschlossen ist, hat bei der Bevölkerung keine Sympathien erhalten. Es schien, als ob es sich nur um eine gut bezahlte Versorgungsanstalt handelte.

Ein kleiner Teil der unzufriedenen Mitglieder dieser Partei gründete in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres eine Christlichsoziale Union, die ihren Schwerpunkt im südöstlichen Mähren hat. Diese Partei mit ihrem Vorsitzenden, dem ehemaligen politischen Häftling Frantisek Michälek, entfaltete bis jetzt keine großartige Tätigkeit. Viele Mährer ertragen es nur sehr schwer, daß die KDU-CSL unter offensichtlichem Druck der Bürgerlich-Demokratischen Partei vom Ziel einer Erneuerung der Selbstverwaltung Mährens und Schlesiens in den ursprünglich historischen Grenzen Abstand genommen hat.

Die momentane Lage spricht nicht für die CDU-TschVP. Es gibt ernste Befürchtungen, daß sie bei den nächsten Wahlen aus dem Parlament verschwinden könnte. Eine gewisse Sympathie genießt sie noch auf dem Lande, in Dörfern und kleinen Städten, wo es opferwillige und uneigennützige Mitglieder gibt. Die Führung berauscht sich leider heute zu viel am kurzfristigen Machtgewinn nach dem Motto: Carpe diem. Die Struktur der Volkspartei in Böhmen ist bereits zerstört, in Mähren schwelen Konflikte unter dem Teppich weiter.

Vaclav Klaus braucht in weiterer Zukunft die Volkspartei nicht mehr. Denn für den Stimmengewinn unter Gläubigen reicht ihm Bendas KDS (CDP). Es scheint, daß die christdemokratischen Kräfte ihre historische Chance verloren haben, die politische Linie des neuen tschechischen Staates zu bestimmen.

Es entsteht eine starke liberale Rechte, die Linke formiert sich auch, die sich zum Schluß mit den Kommunisten verbinden wird. Die Kampagne gegen die christliche Demokratie in Böhmen, MähreTi und Schlesien ist gelungen. Die Christen selbst, mit ihrem Stolz, ihren Eifersüchteleien und auch mit ihrer Naivität waren dazu behilflich.

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