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Praktiker des Friedens

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Am Rande eines Kongresses der polnischen Patriotischen Bewegung zur Errettung der Nation (PRON) und abseits einer Militärparade trafen sich Polens Pazifisten in Warschau.

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Am Rande eines Kongresses der polnischen Patriotischen Bewegung zur Errettung der Nation (PRON) und abseits einer Militärparade trafen sich Polens Pazifisten in Warschau.

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Ständig beobachtet von Ge-heimdienstįeuten, mit Videokameras bei einzelnen ihrer Aktionen gefilmt, trafen sich vergangene Woche rund 200 Pazifisten, Wehrdienstverweigerer, Grüne und ehemalige Solidamošč-Leute in Warschau. Organisiert wurde das „Internationale Seminar für den Frieden“ von der polnischen unabhängigen Friedensbewegung „Wolnosc i Poköj“ (Freiheit und Frieden).

Diese Gruppe agiert unter dem Schutzmantel polnischer kirchlicher Kreise; die Sympathien reichen weit in den katholischen Raum. „Schutzpatron“ von „Frei-

heit imd Frieden“ ist ein Österreicher: Otto Schimek, ein ehemaliger Wehrmachtssoldat, der im November 1944 bei Tarnöw als 19jähriger wegen Fahnenflucht erschossen wurde (siehe nebenstehenden Kasten). Sein Grab befindet sich in Machowa in der Nähe Tarnöws. Um den Österreicher ranken sich viele Legenden, zweifellos mit politischer Sprengkraft. Das Grab in Machowa ist jährlich Schauplatz einer feierlichen Zeremonie polnischer Wehrdienstverweigerer, die entweder aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe verweigern (und sich dabei auch auf Otto Schimek berufen, der sich angeblich geweigert haben soll, auf polnische Geiseln zu schiei3en) oder den vorgeschriebenen Eid zur Unterstützung der Bruderarmeen des Warschauer Paktes nicht leisten wollen.

Staatliche Stellen beobachten seit einigen Jahren mit Argwohn das Anwachsen der unabhängigen Friedensgruppe. Immer wieder greifen Prominente — so etwa der ehemalige Religionsminister Kazimierz Kąkol, jetzt Leiter des polnischen Dokumentationszen-trtuns für die Nazi-Verbrechen — zur Feder, um Otto Schimek zu desavouieren. Motto: Mit dem Vorbild soll auch die unabhängige Friedensbewegung in Polen einiges abbekommen. Und wenn die Gruppe auch noch weit von einer Massenbewegung entfernt ist -anders als dies etwa der „Spiegel“ in seiner vorletzten Ausgabe vermutet —, so ist sie für die Mächtigen doch ein emstzunehmender Gegner.

Die Krakauer katholische Wochenzeitung „Tygodnik Pows-zechny“ sah sich schon mehrmals genötigt, in die Diskussion um Otto Schimek und die Bewegung „Freiheit und Frieden“ einzugreifen. Jeder Deserteur der Hitlerarmee - schrieb jüngst Edmund Os-maficzyk - verdiene Achtimg, „wenn er sein Leben hingegeben hat, weil er mit den Mordtaten der Armee, zu der er einberufen war, nicht einverstanden war“ .

Auf diesem Hintergrund versteht man die Nervosität der pol-

nischen Behörden im Zusammenhang mit dem Internationalen Friedensseminar in der Warschauer Kirche der Göttlichen Barmherzigkeit. Verhöre, kurzfristige Festnahmen und Teilnah-mebehinderimg sollten die Veranstalter einschüchtern. Die beiden bekanntesten - Jacek Czapu-towicz und Jacek Szymanderski -brachten die Veranstaltung, auch unter internationaler Beteiligung, ohne größere Schwierigkeiten über dieBühne. Die 50 ausländischen Seminarteilnehmer - unter ihnen als einziger Österreicher Matthias Reichl, Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft Unabhängige Friedensinitiative Österreichs und Grün-Alternativer - konnten sich ohne Behindenmg an den Diskussionen und Arbeitskreisen beteiligen. Auch die Fahrt nach Machowa zum Grab Schimeks in gemieteten Autobussen, in deren

Fenster man das offizielle Plakat der Friedensveranstaltung angebracht hatte, unterlag keiner Behinderung. Jedoch verhinderten die polnischen Behörden eine größere Teilnehmerzahl aus dem Ausland. Der österreichische Biochemiker Otto Hoffmann-Ostenhof, Mitglied der ,J>ugwash“ -Friedensbewegung (einer Vereinigung von Wissenschaftlern aus aller Welt), wurde an der tschechoslowakisch-polnischen Grenze zurückgewiesen.

Was wollte das Seminar in Warschau erreichen? Zunächst ging es um Publizität für die polnische imabhängige Friedensbewegung, die — wegen ihrer strikt pazifistischen Ausrichtung - auch in polnischen Kirchenkreisen nicht immer mit Sympathien rechnen kann. Eine Ausnahme stellt diesbezüglich der Bischof von Pfe-mysl, Ignacy Tokarc/uk, dar. Er befürwortet stark ein Seligsprechungsverfahren für Otto Schimek, mit dem sich zur Zeit das Wiener Diözesangericht befaßt.

Ein weiterer Zweck der Zusammenkunft lag in der Auseinandersetzung mit den Helsinki-Beschlüssen. „Erfüllt die Helsinki-Bestimmungen mit realem Leben“ , lautete der Appell dieser Konferenz. Damit beschritt man bewußt den Weg von internationalen Friedensvereinigungen, die sich zu Beginn des dritten KSZE-Folgetreffens im November 1988 in Wien mit einem Ost-West-Memorandum an die Delegationen der 35 Teilnehmerstaaten gewandt hatten (FURCHE 44/1986).

Thema Tschernobyl

Schließlich befaßten sich vier Arbeitsgruppen auf sehr hohem Niveau mit den neuen Entwicklungen der Entspannung, mit der Frage der Menschenrechte, mit der Bedeutung von Otto Schimeks Opfer und schließlich mit den Folgen der Katastrophe von Tschernobyl.

Die ökologischen Fordenmgen des Seminars waren denn auch die klarsten: Ausstieg Polens aus der Kernenergie, Baustop für geplante Kernkraftanlagen, Durchführung eines Referendums (!) unter der polnischen Bevölkerung.

Mit der Umweltproblematik befassen sich in Polen derzeit viele lokale Komitees, auch Studentenschaften in betroffenen Gebieten. Ihre Anliegen kamen auf dem Warschauer Friedensseminar zur Sprache. 1988 — so plant man bei „Freiheit und Frieden“ - soll in Warschau eine große internationale Umweltkonferenz stattfinden.

Ein kleiner, aber nicht unbedeutender Stein im Brett der internationalen Friedensbewegung - so kann man die polnische Veranstaltung bewerten. Für die Polen war es weit mehr. Am besten kam das in den Worten eines katholischen Priesters am Grab Jerzy Popieluszkos vor den Seminar-teihiehmem zimi Ausdruck. »Jn Assisi“ , so sagte er, „wurde unter Leitung des Papstes für den Frieden gebetet, in Moskau auf Einladung Michail Gorbatschows um den Frieden diskutiert - und hier in Warschau wurde von Praktikern für den Frieden gearbeitet.“

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