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Prediger, Ratgeber, Freund

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Am 5. März sind es 20 Jahre, daß Prälat Karl Raphael Dorr für immer von uns gegangen ist. Der Herr holte seinen treuen Diener mitten im Schlaf; neben ihm lag ein religiöses Buch ...

Was war es, das die Erinnerung wachhielt und uns noch 20 Jahre später verpflichtet, seiner zu gedenken? Dorr war ein Priester, wie er sein soll: Freund, Ratgeber; Beichtvater, Helfer in jeder seelischen Not, ein Mann, der es wie wenige andere verstand, in jeder Situation das richtige Wort zu finden. Er hatte keine Feinde, allenfalls Neider.

Geboren 1905 in Brunn am Gebirge als erstes von drei Kindern eines Schuldirektors, war sein Weg zum Priestertum schon frühzeitig zu erkennen. In Laa an der Thaya und in der Pfarre St. Josef ob der Laimgrube in Wien lagen die ersten Stationen.

Dorr verstand es immer, seine seelsorgerischen Aufgaben und Pflichten den Erfordernissen von Zeit und Umwelt an- und einzupassen. Sein besonderes Interesse galt der Jugendseelsorge; schon 1934 war er von Kardinal Innitzer mit der Leitung der Jugendseelsorge und zwei Jahre später mit der Führung der Katholischen Jugend der Erzdiözese betraut worden. Gleichzeitig war er bereits Domprediger zu St. Stephan.

Nie war er parteipolitisch tätig, nie hat er, was in der Zeit seines Wirkens in der Zwischenkriegszeit nicht ungewöhnlich gewesen wäre, eine .^politische" Predigt gehalten; aber er verstand es meisterhaft, sein Wirken den Verhältnissen anzupassen. Weil diese so hart für Österreich waren, hielt er es immer für seine Pflicht, sich neben und in seinem Priestertum auch als begeisterter Österreicher zu bekennen. Was war selbstverständlicher, als daß er 1941 verbannt wurde? Er ging nach Tübingen, wo er 1942 das theologische Doktorat erwarb.

Als er im Mai 1946 nach Wien zurückkehrte, war die Freude aller, die ihn kannten, groß. Nach Msgr. Geßls Tod wurde er Ende 1948 der Dompfarrer von St. Stephan.

Neben der Seelsorge galt es, den Dom wiederherzustellen. Was K. R. Dorr da geleistet hat, ist in die österreichische Geschichte eingegangen. Der derzeitige Dombaumeister Kurt Stögerer nannte ihn treffend „Bettler des Herrn". Er war nicht nur ein von unerschütterlichem Glauben erfüllter, zutiefst gottesfürchtiger Mensch; er war auch ein hervorragender Organisator und einer, der von Architektur etwas verstand. Ihm vor allem ist die bauliche Wiederherstellung des Doms in seiner alten Form zu verdanken.

Unter seinen vielen Fähigkeiten ragte die Kunst der Predigt hervor. Wenn Dorr auf die Kanzel stieg, war das Gotteshaus gedrängt voll. Er wußte seine Zuhörer beim Verstand und beim Herzen zu packen und konnte das schwierigste theologische Thema in einer Form seinen Zuhörern erläutern, die sie verstanden. Was und wie er es sagte, war jedermann begreiflich, und darin lag wohl auch der große Erfolg seiner Predigten.

Als Prälat Karl Raphael Dorr starb, war er erst 59 Jahre alt. Er brachte eine große Ernte ein.

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