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Preis: Eineinhalb Eier

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Auf die Regierimg Mazowiecki .wird in Polen schon genauso geschimpft, wie auf frühere kommunistische Regierungen. Leute, die in der Schlange stehen und dann erst nichts bekommen, sehen keine Veränderung im Land an der Weichsel. Slawomir Siwek, früherer Pressesprecher des von Primas Jozef Glemp forcierten, letztlich aber ins Wasser gefallenen Projektes einer Landwirtschaftsstiftung mit Auslandsgeldern, dann Presseberater und Auslandskontakter im Glemp-Büro am Warschauer Skwer Kar-dinala Wyszynskiego, ortet eine psychologisch stark verschlechterte Situation in Polen. Deswegen hat er im Juni dieses Jahres der Bitte des Land-Solidaritätsführers Jozef Slis entsprochen und mit der Herausgabe einer eigenen Bauem-So-lidaritätszeitung begonnen. Diese -der „Tygodnik Rolniköw Solidarnosc“ - erscheint mittlerweile vierzehntägig seit 3. September.

Siwek, der mittels Krediten und kirchlichen Geldern ein Drittel der für die Herstellung der Zeitung benötigten Finanzmittel aufgetrieben hat, arbeitet in einem mittlerweile restaurierten Acht-Zimmer-Büro in Warschau: mit zwei Schreibmaschinen, einem Telefon und seinem eigenen Auto. Für Re-

daktion, Administration und Kolportage stehen ihm gegenwärtig 15 Personen zur Verfügung. Er lächelte, als er diese technischen Details dem FURCHE-Redakteur erzählte, der wie er nach Ruhpolding in Bayern zum XV.Weltkongreß der katholischen Weltunion der Presse (UCIP) zum Thema „Kreativität und Verantwortung im Spannungsfeld neuer Pressetechnologie“ gekommen war (siehe Seite 6).

Kreativität bewies Siwek bisher reichlich, Verantwortung für die polnische Landwirtschaft war die Triebfeder, das Projekt zu übernehmen - auf neue Pressetechnologie wird er wohl noch lange warten müssen. Oder doch nicht, wenn Österreicher und Deutsche gemeinsam helfen?

Der „Tygodnik Rolniköw Solidarnosc“ ist ein direktes Ergebnis der Verhandlungen am Runden Tisch. Die Zeitung der Land-Solidarität wird in einer staatlichen Druckerei in Ciechanow nördlich von Warschau gedruckt und kostet

- umgerechnet in Naturalien - gegenwärtig eineinhalb Eier (250 Zloty). „Wir haben uns auf ein kapitalistisches Geschäft eingelassen“, stöhnt Siwek. Das heißt, die Zeitung muß sich verkaufen lassen. Das wäre grundsätzlich bei der jetzigen Auflage von 300.000 und dem derzeitigen Inseratenaufkommen möglich, wenn nicht der Vertrieb größtenteils über staatliche Kioske erfolgte, für die 30 Prozent des Erlöses zu vergüten sind.

„Irgendwo muß ja der Teufelskreis unserer schlechten Wirtschaft durchbrochen werden“, hofft Siwek. „Unsere Bauern denken natürlich wie gute Geschäftsleute: Wenn sie selbst nichts für ihren Betrieb erwerben können, wozu sollen sie dann etwas auf den Markt werfen?“ Der Güteraustausch muß wieder funktionieren. Dazu müßte die Produktion angekurbelt werden. Dafür braucht man aber wieder Kapital, das es in Polen nicht in ausreichendem Maße gibt. Deshalb ruft Polen ins Ausland: „Investitionen sind für Polens neue Regie-

rung eine strategische Hilfe“, betont Siwek und appelliert gleichzeitig an den Westen, auch „taktische Hilfe“ durch Lebensmittelsendungen zu leisten, „um die Lage zu entspannen und Mazowiecki Zeit zu verschaffen“.

Für den Chefredakteur vom „Tygodnik Rolniköw Solidarnosc“ ist das ständige Gerede von der tragischen Situation in Osteuropa nicht gerade aufmunternd, zumal er viel Tragisches bestätigen muß. Aber die Lage würde nicht tragisch bleiben, entschlösse man sich im Westen zu Investitionen. „Die Perestrojka kann scheitern, aber es würde noch viel übrigbleiben, vor allem in Polen: andere Werte, mehr Freiheit, ein verändertes Wirtschaftssystem.“ Diesbezüglich gilt es, so Siwek, auch die Kommunisten zu bekehren, indem man ihnen die Möglichkeit einräumt, sich privatwirtschaftlich zu betätigen, um zur Erkenntnis zu gelangen, daß „Geschäfte machen wichtiger ist als Ideologie“.

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