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Priester und Komponist im Widerstand

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Am 16. September 1943 hätte er die Morgenmesse zelebriert und war darnach in seine Wohnung zurückgekehrt. Es läutete. Zwei Beamte der Gestapo standen vor der Tür. Haussuchung. Auf dem Tisch die Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Verhaftung. Zunächst Morzinplatz. Dort Aufnahme der Personalien nebst Fingerabdrücken — und zum Polizeigefangenenhaus auf der Roßauer Lände. Nach Wegnahme der letzten Habseligkeiten: erst Einzelzelle, dann zusammen mit mehreren Häftlingen, darunter ein Spitzel. Nun erst hatte der Pfarrer von St. Brigitta im 20. Wiener Gemeindebezirk, zuletzt Kaplan an der Minoriten-lrirche, Zeit, nachzudenken.

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Am 16. September 1943 hätte er die Morgenmesse zelebriert und war darnach in seine Wohnung zurückgekehrt. Es läutete. Zwei Beamte der Gestapo standen vor der Tür. Haussuchung. Auf dem Tisch die Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Verhaftung. Zunächst Morzinplatz. Dort Aufnahme der Personalien nebst Fingerabdrücken — und zum Polizeigefangenenhaus auf der Roßauer Lände. Nach Wegnahme der letzten Habseligkeiten: erst Einzelzelle, dann zusammen mit mehreren Häftlingen, darunter ein Spitzel. Nun erst hatte der Pfarrer von St. Brigitta im 20. Wiener Gemeindebezirk, zuletzt Kaplan an der Minoriten-lrirche, Zeit, nachzudenken.

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Drei Tage früher nämlich, am 13. September, hatte er schon eine Aufforderung vom Morzinplatz „zwecks Auskunfterteilung“ erhalten. Der Priester Raimund Weißensteiner sollte berichten, was er am Sonntag gepredigt hatte, man wollte seine Einstellung zu Gott und Kirche, speziell zu der letzten Enzyklika kennenlernen. Das Verhör dauerte bis 13 Uhr und verlief höflich, aber der Beamte hatte eine besorgniserregend dicke Mappe vor sich liegen, aus deren Inhalt Weißensteiner ersehen konnte, daß er seit langer Zeit beobachtet wurde.

Was war dem allen vorausgegangen? Im Sommer 1943 hatte er einen Ausflug in die Staubaier Alpen unternommen. Auf der Son-klarspitze traf er einige Bekannte, unter ihnen auch die Freundin der Tochter eines bekannten Wiener Nationalsozialisten. In seiner freimütigen Art äußerte Weißensteiner seine Meinung über das NS-Regime, sprach über die Aussichtslosigkeit des auf dem Höhepunkt befindlichen Krieges und betonte, diaß für jeden Gläubigen allein der Standpunkt der Kirche, wie er in der Enzyklika niedergelegt ist, maßgeblich sein könne. Nicht zum erstenmal hatte Weißensteiner so freimütig gesprochen: seine Einstellung zu Staat und Kirche waren weit über seine Pfarre hinaus bekannt. Aber diesmal wurde er angezeigt.

Während seiner Haft im Landesgericht war sein Akt nach Berlin gewandert, und der Präsident des Volksgerichtshofes, der bekannte und gefürchtete Roland Freisler, der tobende Ankläger und Richter vieler hundert NS-Gegner, auch der Männer des 20. Juli 1944, entschied: „Den Fall des Angeklagten Raimund Weißensteiner behalte ich mir für einen Schauprozeß in Berlin in eigener Person zur Aburteilung vor.“ Aber es kam anders. Anfang Dezember sollte Weißensteiner nach Berlin überstellt werden, inzwischen aber war durch einen Bombenangriff der Amerikaner Roland Freisler umgekommen. — Viele wollten Weißensteiner helfen. Seinem ersten Anwalt Dr. Erich Führer war es gelungen, die Transferierung und Überprüfung des Verhandlungsaktes nach Wien zu bewirken, und Gefängnispfarrer Eduard Köck kam auf die Idee, eine Psychiatrierung vorzuschlagen. Der neue Rechtsanwalt Dr. Otto Hein fuhr nach Berlin, und bei der Verhandlung am 27. September im Wiener Justizpalast kam die zweite rettende Idee: der Priester Raimund Weißensteiner leide nicht nur unter einer Art „Märtyrerwahn“, da er erklärt hatte, für seine Idee auch „freudig sterben zu wollen“, sondern er habe die inkriminierten Äußerunigen auf einem Berggipfel von 3400 m getan und sei dabei offensichtlich unter dem Einfluß eines „Höhenkollers“ gestanden. So kam es, daß das zu erwartende Todesurteil in eine dreijährige Gefängnisstrafe umgewandelt wurde. Aber der Verurteilte bereitete auch dieser auf seinem Transport von Göllersdorf nach Mauthausen durch Flucht ein vorzeitiges Ende. — Mir persönlich sind diese inzwischen von Leopold Wech genau aufgezeichneten Einzelheiten deshalb in so lebhafter Er-einnerung, weil mir noch im Sommer oder Herbst des Jahres 1945 der damalige Stadtrat für Kultur und Volksbildung, Dr. Viktor Matej-ka, vom Schicksal Weißensteiners erzählt hatte — noch bevor ich einen

Ton von Weißensteiners Musik hörte.

Raimund Weißensteiner ist nicht nur Priester (seit 1970 zwar in Pen-

sion, aber immer noch rege tätig), sondern auch Komponist. Der 1905 in Hoheneich bei Gmünd Geborene entschied zu Beginn des vierten Schuljahres, daß er „entweder Bischof oder Bezirkshauptmann“ werden wolle. Bei der ersten Aufnahmeprüfung in die Schule der Sängerknaben des Stiftes Zwettl wurde er als „total unmusikalisch“ bezeichnet — weil er halt nicht singen konnte, und mit viel Selbstironie erzählt Weißensteiner, daß er auch seinerzeit die Musikalität seines Neffen Peter Alexander angezweifelt habe. Irren war und bleibt also menschlich. Nach zwei Jahren in Zwettl (1916 bis 1918) übersiedelte Weißensteiner in das Seminar nach Hollabrunn. Hier war einer seiner verständnisvollen Lehrer Dr. Franz Kosch — und hier wurde er erstmals mit der Musik Bruckners vertraut. Bald entwickelte sich Weißensteiner zu einem tüchtigen Bratschisten in einem Quartett, Harmonielehre studierte er — gute alte Schule! — nach Hugo Riemann und Louis Thuille. Sänger wurde er keiner, aber dafür ein tüchtiger Harmoniumspieler und ein leidenschaftlicher Sportler, dessen besondere Liebe dem Bergsteigen galt. Mit 16 Jahren begann er zu komponieren, zunächst kleine Stücke für tägliche Anlässe.

Es war die typische Frühbegabung des Musikers, aber bald sieht er sich in dem Dilemma: Priester oder Komponist zu werden. — Prälat Handloß sowie der Jesuitenpater Kaspar Baudenbacher zerstreuten seine Bedenken: man könne sowohl Priester als auch Musiker sein. Hierauf begann Weißensteiner ein intensives Musikstudium, besuchte Vorlesungen an der Universität, zum Beispiel bei Hans Gäl, wurde vom Domkapellmeister Prof. Ferdinand Habel und Prof. Viktor Graf von der Musikakademie unterrichtet und war bereits 1929 in der Lage, eine Messe für seine eigene Primiz zu schreiben. Hierauf folgten, Jahr für Jahr, Werk auf Werk, und mit seiner ersten Symphonie unter dem Arm stellte er sich dem damaligen Leiter der Meisterklasse für Komposition an der Wiener Akademie für Musik, Prof. Franz Schmidt vor, der ihn sofort aufnahm. Dirigieren lehrte ihn der unvergeßliche Oswald Kabasta. Sein Diplom machte er 1934, und

Monsignore Franz Kosch bot ihm einen Lehrauftrag für Gregorianischen Choral an der Kirchenmusikabteilung der Akademie an. 1941 wurde im Rahmen der Domkonzerte der Hymnus an den Heiligen Geist „O nun Liebe Du“ aufgeführt. Natürlich wurde Weißensteiner unmittelbar nach seiner Verhaftung abgesetzt, aber nach 1945 rehabilitiert.

Im Kerker hatte er die „Lieder eines Gefangenen“ konzipiert und unmittelbar nach seiner Befreiung die Partitur für Sopransolo und großes Orchester ausgeführt. Der Text war der Bibel entnommen, und auf die Frage, warum er denn den Solopart nicht einer Männer-, sondern einer Frauenstimme anvertraut

habe, gab Weißensteiner die folgende Antwort: „Im Gefängnis war es Brauch, mit der Außenwelt durch verläßliche Mittelspersonen zu verkehren. Dabei bediente man sich der sogenannten .Kassiber'. — Vom Gefängnis dieser Welt schicke ich bittend und zagend einen .Kassiber' in die andere Welt hinauf. Als Mittelsperson bediene ich mich dazu der zuverlässigsten und besten, die ich kenne, und dies ist nach meinem Glauben die heiligste der Frauen!“

Bereits am 23. März 1946 wurde in einem vom Komponisten geleiteten Konzert der Wiener Symphoniker dieser Zyklus aus den Psalmen zusammen mit der 4. und 5. Symphonie uraufgeführt. Damals machte ich die erste Bekanntschaft mit Weißensteiners Musik. Am 14. April 1946, dem Jahrestag der Befreiung Wiens, wurde in einer Gedenkstunde im Rundfunk die Kantate wiederholt, und zwei Jahre später erhielt Weißensteiner den Preis der Gesellschaft der Musikfreunde für seine 5. Symphonie. Nun folgten Werk auf Werk. 1954 wurde beim „Internationalen Kongreß für katholische Kirchenmusik“ Weißensteiners eu-charistisches Oratorium „Das große Mysterium“ uraufgeführt. Insgesamt hat Weißensteiner 11 Symphonien, 5 große geistliche Oratorien, 2 Kammeroratorien sowie Kompositionen in allen möglichen Besetzungen geschrieben, insgesamt 73 Werke, die in 35 eigenen Konzerten aufgeführt wjurden.

Zunächst von maßgeblichen Kritikern positiv beurteilt, änderte sich aber im Lauf der Jahre die Einstellung vor allem jüngerer „Fachleute“ zu seinem Werk. Denn Weißensteiner glaubte an die Symphonie, die ja von den Avantgardisten längst totgesagt war („Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“). Außerdem ließ Weißensteiner sich nicht „einordnen“: er war weder ein Spätromantiker noch ein Zwölftöner. Die großen konzertveranstaltenden Gesellschaften vernachlässigten sein Werk fast systematisch, und erst jetzt hat er in der Person eines Freundes und Bewunderers Professor Leopold Wech einen Biographen gefunden. So kam es, daß Weißensteiner seine Kompo-

sitionskonzerte sozusagen in eigener Regie veranstalten mußte. Aber er fand verständnisvolle und treue Mäzene, an deren Spitze Leopold Figl, Kardinal König, den Dichter Rudolf Henz, den Komponisten Friedrich Wildgans und zahlreiche Kirchenmusiker, unter ihnen Mon-signore Prof. Franz Kosch und Mon-signore Franz Xaver Gruber. Die Partituren Weißensteiners wurden durch die „Edition Oberon“ verviel-fältigt.

*

Zum Schluß, gewissermaßen als Resümee, zwei Stimmen: Im April 1948 schrieb der bekannte Wiener Musikkritiker Dr. Max Graf in der „Weltpresse“ das Folgende: „Ich kenne unter modernen Komponisten nur den zuerst nach Paris und jetzt

nach den Vereinigten Staaten geflüchteten Russen Arthur Lurie, dessen Musik so sehr von katholischer Frömmigkeit durchdrungen wäre, wie es die Musik der Österreicher ist. Freilich ist es bei Weißensteiner nicht der österreichische Barockkatholizismus, der alle Musik von den Klassikern bis zu Bruckner und Hugo Wolf durchdringt, nicht der glanzvolle, pompöse, heitere und volkstümliche katholische Glaube, der Festgottesdienste und Prozessionen, Maiandachten und Festsitten mit Fanfaren und Liedern, mit bunten Fahnen und sinnlichem Prunk füllt, sondern ein viel weniger freundlicher, fanatischer, mittelalterlicher Katholizismus. Weißensteiner ist ein Gotiker, er scheint wie aus dem Zeitalter der Albigenser Kriege, der Geißlerfahrten, der Kreuzzüge in unsere Zeit hineingetreten zu sein. Die katholische Frömmigkeit ist bei ihm nicht nur, wie bei den meisten, in der Haut, sondern tief in den Knochen. Man hört aus seiner Musik heraus, wie tief sein Glaube in ihm verwurzelt ist, wie er seinen künstlerischen Anschauungen die Seele gibt, seiner Persönlichkeit die starke Moralität, seinem Wort den fanatischen Predigerton. Und am 29. April 1950 resümierte der Autor dieses Artikels, der auch in zahlreichen Beiträgen in ausländischen Fachzeitschriften für Weißensteiner eingetreten war, in der FURCHE seine Eindrücke folgendermaßen: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut. Dieser Geist der Strenge, der Unbedingtheit, der Ekstasis im edelsten Sinne des Wortes, findet entsprechenden Ausdruck im Kompositionstil Weißensteiners. Die Formen sind groß und geschlossen, alles Schwelgerische, Nur-Gefühlsmäßige ist verbannt... Diese Musik ist nicht immer ein Ohrenschmaus, aber sie wirkt erhebend und aufrüttelnd auf den ganzen Menschen. Wenn das Publikum eine starke Persönlichkeit spürt, wie sie ihm etwa in Weißensteiner entgegentritt, so geht es mit, trotz Modernität und Dissonanzen, Weißensteiner widerlegt mit seinen acht Symphonien — besonders mit seiner Vierten, die ich von den aufgeführten für seine beste halte — auch die These, daß die Form der Symphonie ,tot' und .erledigt' sei.“

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