6808797-1972_22_09.jpg
Digital In Arbeit

Priesterlose Kirchen ?

Werbung
Werbung
Werbung

In einem amerikanischen katholischen Wochenblatt (Kirchenzeitung der Diözese Belleville, „Messenger”, Illinois) war folgender Bericht über die kirchliche Lage in Österreich zu lesen:

Der Mangel an Priesterberufen hat zu Kirchen ohne Priester geführt. Verlobte müssen schon viele Monate vorher ihre Heirat anzeigen, um einen Priester für die Trauung zu bekommen. Kinder werden ein Jahr alt, ohne getauft werden zu können. Es gibt auch nur selten Gelegenheit zur Beichte. Viel zuwenig junge Männer wollen Priester werden. So klagt die Leitung eines Priesterseminars: „Wir sind im Begriff, eine Kirche ohne Priester zu werden.”

Die letzten zehn Jahre hindurch ist die Zahl der Priester, die in Österreich ihr Amt ausüben, ungefähr um fünf Prozent vermindert worden, das heißt, daß es zehn Jahre vorher zweimal so viel aktive Priester in

Österreich gab, als es heute noch gibt. Das heißt auch, daß die Tage, in denen nicht mehr genug Priester sein werden, die ihre Aufgabe erfüllen, nicht weit entfernt sind. Als Ergebnis dieser Entwicklung läßt sich daher sagen, daß die österreichischen Priester im Durchschnitt viel zu alt sind. In den südlichen Vorstädten Wiens ist der Durchschnitt der katholischen Priester 65 Jahre alt, während in der Steiermark jeder zweite Priester über 55 ist.

Um dieses Problem noch zu verschlimmern, geben immer mehr Priester ihr Amt auf und ziehen sich in das Privatleben zurück, viele tun dies, um zu heiraten.

Dieser Verlust kann wahrscheinlich nicht wettgemacht werden durch jene Priesterkandidaten, die ihr theologisches Studium in Seminarien erfolgreich beenden.

Während vor einigen Jahren ungefähr 100 Priester jährlich geweiht wurden, werden dieses Jahr nur 30 geweiht werden.

Viele Priester müssen sich auch um mehrere Kirchen kümmern, besonders auf dem Lande, wo es viele kleine isolierte Kapellen gibt.

Die Priester haben Diakone und sogar auch erprobte Laien zu ihrer Hilfe, aber ihre Arbeit ist immer noch viel umfangreicher, als daß sie auf diese Weise bewältigt werden könnte.

Dr. Adolf Holl, ein prominenter Wiener Priester, gibt dem obligatorischen Priesterzölibat die Schuld für diesen Ausfall. Es sei absolut notwendig, daß die Kirche die gegenwärtigen Gesetze hinsichtlich des Zölibats ändere, wenn neue Berufe zum Priestertum gewonnen werden sollen, so meint er.

Seine Meinung wird in dieser einen Hinsicht von der Mehrheit der österreichischen Priester geteilt, aber keiner, auch nicht Dr. Holl, glauben, daß bald eine Änderung eintreten werde.

Man fragt sich: Von wem stammt dieser Bericht, der ohne Zweifel tendenziös-negativ ist? Durch derartige Informationen wird dem Ansehen Österreichs und im besonderen der österreichischen Kirche Schaden zugefügt, vielleicht aber auch den Katholiken anderer Länder. Die Angaben sind so verallgemeinert, daß sie gar nicht überprüft werden können, aber jeder, der die kirchlichen Verhältnisse in Österreich und insbesondere in der Wiener Erzdiözese kennt, wird, selbst wenn er nicht Optimist ist, diese Angaben als irreführend bezeichnen. Die Darstellung ist manipuliert, und Dr. Holl, der als Gewährsmann für die Richtigkeit dieser Angaben angeführt wird und dem man offenbar eine nicht geringe Autorität in diesen Fragen zuerkennt, hat sich selbst und seinen Mitbrüdern in Österreich damit nur ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Wollte man boshaft sein, müßte man die Frage stellen, ob derartige Dinge vor allem deshalb unternommen werden, weil sie einträglich sind, obwohl (und weil) sie der Kirche einen schlechten Dienst erweisen. Mit Statistiken und Meinungsumfragen kann zwar auch unter Umständen die wahre Situation beleuchtet werden, häufiger aber verwendet man sie dazu, um die eigenen Ziele und Absichten zu erhärten, die mit jenen der Amtskirche nicht mehr übereinstimmen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung