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Ein Dichter gilt heutzutage in dem Maße, in welchem es nicht für sicher gut, was er mit seiner Dichtung gemeint hat. Bloßes „Singen und Sagen“, danach kräht kein literaturkritischer Hahn, wenn sich nicht viel mehr dazu sagen läßt, als daß Verse oder eine Prosa gut, schön und richtig waren. Um Matthias Claudius, den manche für den größten Lyriker des deutschen Sprachbereichs halten (dessen Versvollkommenheit selbst Goethe kaum erreicht habe), ist es nicht darum stül geworden, weil er übertroffen wäre, sondern weil es bei ihm wenig zu interprätieren gäbe. Von Trakl über Kafka bis Thomas Bernhard streiten sich die Leut'-hQMnj, der eine heißt den andern Tiurnm, und am End' weiß jeder etwas anderes über sein Untersuchungsobjekt.

Mögen sie noch so widersprechend und widerspruchsvoll sein: Je mehr Deutungen ein Werk zuläßt, für um so bedeutender wind es gehalten. Nur das Dunkel ist noch licht genug, das Lichtvollste aber stod die philologischen und linguistischen Röntgeni-sierungen jener Sprachkun'stwerke, die so dicht waren, daß man ihnen dahinterkommen konnte.

Natürlich gibt es notwendige Hinweise und tatsächliche Aufklärungen, doch gab es, seit die Sache aufgekommen ist, immer auch viele überflüssige. Und so „scheint fast schon zu viel gesagt zu sein. Eine Bibliothek von Veröffentlichungen ist vorhanden, die ihn betreffen. Täglich vermehren sie sich, keine Woche beinah verging in der letzten Zeit, daß nicht hier oder dort dennoch wieder ein Novuim von Goethe oder über ihn gedruckt wurde“. So Henman Grimm in einer Goethe-Vorlesung 1874. Man [findet dieses Walhrwort zitiert von Hans Egon Holthusen am Beginn seines Beitrages zu dem allerdings größtenteils prachtvollen Band „Versuche au Goethe“, einer „Festschrift für Erich Heller“ zum 65. Geburtstag. Der aus Kornotaiu (Böhmen) stam-imende namhafte Germanist, 1939 nach England emigriert und 1960 in die USA übersiedelt, wo er an der Northwestern Universftty (Illinois) unterrichtet, ist freilich eine Ausnahmeerscheinung, und der fast 400 Seiten starke, zu seinen Ehren herausgegebene Band ist es auch. Das Thema „Goethe“ war vorgeschrieben, und die 22 Beiträge hielten sich in einer fallweise sehr originellen Art daran, so etwa Friedrich Torfberg, der in aller Hochschätzung der Hochschätaung seines Lehrmeisters Karl Kraus für einen berühmten Goethe-Vers widerspricht Gerade dieser pointierte „Gefourtstags-bräef“ ist beziehungsvoll: Erich Heller hat über Goethe wie über Kraus wichtige Arbeiten veröffentlicht und den vielleicht einzigartigen Vorzug, daß eine ailislbaJd gedruckte Rede des Zwanzigjährigen in der „Fackel“ von Karl Kraus mit kommentarlosem Respekt ausführlich zitiert wurde.Die ganze Festschrift ist lesenswert; einige weitere Namen: Heinz Politzer, Joseph Strelka, Gerhard Storz, Werner Heisenberg, der die „Gedanken zur .Reise der Kunst ins Innere“ fünf Tage vor seinem Tode beendete.

Auch „Rilke“ von Käte Hamburger, schlicht als „Eine Einführung“ bezeichnet, ist bemerkenswert, schon darum, weil sich die bekannte Germanistin ohne die derzeit übliche falsche Scham zu dem Dichter bekennt: Ob sie recht hätte Oder nicht, sie tut vor allem recht daran, ohne Prestigeaingst ihre Meinung zu sagen. Die Monographie geht mit seriöser Genauigkeit das Werk vom frühen bis zum spaten)1 Rwfte durch und legt fe üdtda Hauptgewicht auf seine Duineser Elegien.

„Shakespeare und kein Ende“ hat Goethe bekanntlich notiert, und Hamlet hat es der Nachwelt besonders angetan. lrEs gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich 'träumen läßt“, doch läßt sie der Streit nicht ruhen, ob er ein Träumer war oder ein Tatmensch. Für die zweite Möglichkeit tritt mit erbittertem Ernst Hellmuth Salinger in „Hamlet und sein Dichter“ ein. In Gottes Namen.

Marianne Thalmann ist Romantik-Spezialistin und hat, seit ihre „Probleme der Dämonie in Ludwig Tiecks Schriften“ 1919 erschienen sind, vor allem in jener Sparte viele Untersuchungen angestellt. Man hat ihr (unter anderem) vorgeworfen, sie entromanisierte „die Romantik mit Neonlicht“. Ja, es gibt Pachkämpfe, von denen die Öffentlichkeit der Literaturfreurade keine Ahnung hat. Der neue Band „Romantik in kritischer Perspektive“ vereinigt zehn Studien, die schon vor zehn, zwanzig und mehr Jahren da und dort publiziert wurden. Sie betreffen hauptsächlich Sontderfragen au Tieck und E. T. A. Hoffmann.

„Konstruktion als Gestaltung“ von Brigitte Scheer-Schäzler enthält 13 „Interpretationen zum zeitgenössischen amerikanischen Roman“: Faiulkneir, Henry Miller, Updike, Bellow, Mailer und andere werden „auf den Vorgang des Schreibens (überprüft; es geht um die so beliebte „Selbstretflexion der Literatur“. Mit Einbeziehung strukturalistischer Methoden linguistisch orientiert ist „Sprache in Texten“ von Harald Weinrich. Er geht von geschriebenen Texten aller Arten und von der A1I-tagssprache aus und kommt zuletzt bis zum „Streit um die Metapher“ und ihre Semantik.

Das war eine winzige, aber typische Auswahl zum angeschnittenen Thema.

VERSUCHE ZU GOETHE. Lothar-Stiehm-Verlag, tleidelberg, 380 Seiten, öS 646,80.

RILKE. Von Käte Hamburger.

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