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„Primat der Partei wieder festigen!“

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FURCHE: In der Zeit vor 1970 gab es in der ÖVP eine Art Duumvirat. Ins Militärische übertragen, müßte man sagen: der Bundeskanzler als Parteiobmann — so etwas wie ein militärischer Oberbefehlshaber — und der Generalsekretär sein Generalstabschef. In der Opposition scheint das nun anders zu sein. Aus dem Duumvirat wurde ein Triumvirat. Ist nun Ihrer Meinung nach der Parteiobmann zwar der Oberbefehlshaber geblieben, der Klubobmann jetzt der „Generalstabschef“ im Parlament, und der Generalsekretär nur eine Art Quartier- meister? Sehen Sie Ihre Funktion, insbesondere an der Organisationsfront, als Parteiadministrator?

KOHLMAIER: Nach wie vor ist die Statutensituation maßgebend, und hier wird genau festgelegt, was die Aufgaben des Parteiobmannes und die des Generalsekretärs sind. Davon müssen wir ausgehen. Im übrigen möchte ich nochmals betonen, was ich schon vor der Wahl und auch am Bundesp&rteitag gesagt habe: Ich betrachte die Funktion des Generalsekretärs der Partei als eine zweifache. Er muß einerseits für das Funktionieren des Parteiapparates verantwortlich sein, anderseits aber auch eine politische Funktion ausüben, die sich nicht nur in der Unterstützung des Bundesparteiobmannes erschöpft, sondern auch fachliche Dimensionen hat, etwa die Erarbeitung der Parteilinie in den Sachlagen, die Koordinierung politischer Aussagen usw.

FURCHE: Sie treten mit dem Erbe einer angekündigten, aber noch nicht in der Öffentlichkeit in ihren Umrissen sichtbar gewordenen Parteireform ihre Funktion an. Halten Sie eine Reform der ÖVP, so wie sie sich heute darbietet, von der Wurzel her für notwendig oder glauben Sie, daß’ da Retuschen genügen?

KOHLMAIER: Ich glaube an die Notwendigkeit einer Reform, obwohl ich mir der Tatsache bewußt bin, daß man mit diesem Wort gerade in der ÖVP etwas vorsichtiger umgehen sollte. Es ist zunächst ein Alarmzeichen für jede menschliche Gemeinschaft, wenn Reformwünsche immer wieder in breiten Kreisen laut werden. Das muß den Verantwortlichen zu denken geben, und es ist das Allerschädlichste, wenn man darüber nicht reden oder oberflächlich hinweggehen will. Wir müssen eine Stmkturreform der ÖVP ernsthaft diskutieren. Wir müssen einen Konsens herstellen, und wir müssen dabei vor allem die hündische Frage im Auge haben. Es gibt heute viele, die die hündische Struktur der Partei überhaupt in Frage stellen. Ich halte das für einen nicht vertretbaren Extremstandpunkt. Es gibt •aber auch einen mittleren Weg, den ich persönlich einschlagen möchte, den Weg, der von einem weiteren Existieren der Bünde ausgeht. Er muß aber in seinem weiteren Verlauf dazu führen, daß man den Bünden die rechte Rolle eben in dem Kräftespiel der Partei zuordnen und einen gewissen Primat der Partei wieder festigen muß, Die hündische Frage ist nicht zuletzt eine Frage der Ent-

Scheidungsfähigkeit und der Mobilität der Partei, wobei ich das Wort Mobilität im Sinne eines raschen Agieren-Könnens verstanden wissen will. Dies ist gerade für eine Oppositionspartei wichtig. Die ÖVP ist ihrer Konstruktion nach die ideale Regerungspartei. Sie hat so viele innere Sicherungen eingebaut, daß niemand įuptf^dje Räder“ kommen kann, wenn die öffV regiert. Die Rolle der Oppositionspartei ist der ÖVP bekanntlich nicht auf den Leib geschneidert. Sie ist mit ihren diffizilen Verantwortungsmechanismen vielleicht etwas zuwenig beweglich in ihren Entscheidungsprozessen.

FURCHE: Das führt auf jenes Thema hin, das Sie schon unmittelbar nach Ihrer Wahl angeschnitten haben: die Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit in der nächsten Zeit. Sie wollen die Tätigkeit der Arbeitsausschüsse forcieren. Diese Arbeitsausschüsse leiden offensichtlich zum Teil darunter, daß sie unten nach hündischen Gesichtspunkten zusammengesetzt sind und es in der Entscheidung oben eine Reihe von Kollisionen gegeben hat. Wie stellen Sie sich eine Reform der Tätigkeit dieser Arbeitsausschüsse vor?

KOHLMAIER: Ich halte eine Reform der Arbeitsausschüsse nicht für nötig. Sicher soll es hier nur den einen oder anderen Ausbau des Systems geben. Es könnte da und dort eine gewisse Anreicherung versucht werden. Aber im Prinzip sind die Arbeitsausschüsse richtig konstruiert. Der sogenannte Bündeproporz stört hier nicht, weil wir ohnedies in der ÖVP immer Wert darauf legen, Lösungen zu finden, bei denen nicht ein Bund den anderen überstimmt,

FURCHE: Werden die Arbeitsausschüsse Ihnen unterstehen? Sind Sie nur ein Primus inter pares in diesen Ausschüssen oder so etwas wie ein Schattenbundeskanzler?

KOHLMAIER: Der Generalsekretär hat den Vorsitz bei den Beratungen der Arbeitsausschußvorsitzenden zu führen. Das ist nicht die Funktion eines Sehattenbundeskanzlers, sondern einfach jene, die sich aus der Koordinationsaufgabe des Generalsekretärs ergibt.

FURCHE: Sie haben in Ihrer Laufbahn nicht die sogenannte Ochsentour — won unten herkommend — durchlaufen. Zumindest gelten Sie in der Öffentlichkeit als Experte. Meinen Sie, daß die traditionellen Kriterien der Nachwuchspflege und der Kandidatenauswahl geeignet sind? Es liegen nicht zuletzt von „jungen ÖVP-Löwen“ eine Reihe von Meinungen vor. die durchaus nicht in der Richtung der Ansicht des Parteiestablishments liegen…

KOHLMAIER: Ich möchte mich zu der Ochsentour, die auch ich gegangen bin, ausdrücklich bekennen. Ich hatte meine Parteiarbeit als Einundzwanzigjähriger mit der Mitarbeit in einem Wahlkampf einer Wiener Bezirksparteileitung begonnen. Ich bin später von dieser Ebene her Abgeordneter zum Natiönalrat geworden, weil ich in meinem Bezirk intensiv mitgearbeitet habe. Ich war Bezirksorganisationsreferent des ÖAAB und Bezirkspressereferent. Ich habe mich mit diesen ganz traditionellen Parteifunktionen ebenso intensiv und gerne befaßt, wie mit der fachlichen Arbeit, die von meinem Berufsbereich herkam. Es war in meinem

Fall eine „Kombination beider Momente“. Ich möchte ausdrücklich fentstellen, daß ich heute keinerlei Erfahrungen missen möchte, die ich bei der von Ihnen so genannten „Ochsentour“ gewonnen habe.

FURCHE: Wie stellen Sie sich die Finanzreform der Partei vor? Hier scheint ja ein wichtiger Ansatzpunkt für die organisatorische Reformarbeit der Partei zu liegen, Wahrscheinlich wird man in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nur dann einen modernen Parteiapparat halten und Wahlkämpfe bestehen können, wenn die finanziellen Voraussetzungen strukturell geschaffen sind.

KOHLMAIER: Ich scheue mich nicht zu sagen, daß ich es für richtig halte, die Diskussion der Parteien über eine vernünftige Form der öffentlichen Finanzierung wieder aufzunehmen. Man darf nämlich nicht übersehen, daß die politischen Parteien für das Funktionieren des Staates und seiner Demokratie einen unentbehrlichen Beitrag leisten. Und man darf weiter nicht vergessen, daß in Zukunft in allen politischen Lagern eine weit geringere Neigung der Bevölkerung zu merken sein wird, sich politisch durch eine Mitgliedschaft sozusagen dauernd zu binden. Wenn wir die Partei nicht in die Situation drängen wallen, entweder ständiger Bittsteller bei verschiedenen Organisationen zu sein oder anderseits sich darauf zu verlegen, möglichst lukrative Wirtschaftsbetriebe Zu führen, sollte man diese Probleme mutig aussprechen und offen diskutieren, Darüber hinaus glaube ich, daß wir bei der Statutenreform, die wir durch die Einsetzung eines Ausschusses begonnen haben, den finanziellen Angelegenheiten eine große Bedeutung einräumen werden.

FURCHE: Sie haben ferner auch Ihre besondere Beschäftigung mit dem ÖVP-Programm schon für die nächste Zeit angekündigt, An diesem Programm wurde bisher kritisiert, daß es zu wenig konkret sei, zu viele Allgemeinplätze enthalte und zu wenig jene Richtlinien aufzeige, die für eine politische Tätigkeit notwendig sind. Halten Sie diese Kritiken für berechtigt?

KÖHLMAIER: Man kanneine Programmdiskussion nur dann durchführen, wenn einmal ein konkreter Entwurf vorhanden ist. Es wird niemals gelingen, einen Programmentwurf fertigzustellen, mit. dem jeder sofort zufrieden ist. Der derzeit vorliegende Entwurf hat den Vorzug, wirklich zukunftsweisende Ideen zu enthalten und eine gewisse Faszination auszuüben.

FURCHE: Glauben Sie nicht, daß es ein Mangel dieses Programms ist, eine Art großer Kompromiß zu sein, aus dem alle kritischen Punkte schon herausgestrichen wurden?

KOHLMAIER: Ich bin nicht der Meinung, daß das Programm frei von kritischen Punkten ist. An sehr vielen Stellen ist der Mut zu einer neuen Aussage sichtbar. Außerdem ist ein Programmdilemma keine Spezialität der ÖVP, sondern eine internationale Erscheinung, Wir erleben in der Frage der Ideologie einen gewissen Akzelerationsprozeß; die Wandlungen finden heute rascher statt. Es ist jetzt überhaupt schwer, Fixpunkte zu finden, die über einen längeren Zeitraum hinweg Oriientie- rungshilfen sein sollen.

FURCHE: Würden Sie sagen, daß sich die ÖVP wieder mehr in Richtung einer christlich-demokratischen Partei zurückbewegen sollte — oder mehr eine konservative Partei unter dem Prätext der Erhaltung der Gesellschaftsstrukturen werden soll? Das ist ja eine Frage, die die Parteien rechte der Mitte überall in Europa bewegt. Also: eher konservativ, eher christlich-demokratisch?

KOHLMAIER: Die Entscheidung fällt insofern schwer, als leider das Wort konservativ gerade in Österreich und gerade vom Gegner sozusagen als politisches Schimpfwort verwendet wird. Dazu muß man jedoch sagen, daß ein gesundes Maß an Konservativismus ein durchaus positives Element der Politik ist und daß gerade die Parteien die uns des Konservativismus zeihen, in ihrer eigenen Politik sehr konservativ sind. Dies gilt vor allem für die SPÖ. Ich halte eine Wiederbesinnung auf die christlichen Werte in der Politik für notwendig. Allerdings in einem anderen Sinn als etwa zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Christlich ist heute nicht mehr eine Antiposibion zum Marxismus — denn dieser ist ja bei uns in der ursprünglichen Form keine praktizierte Politik, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Ich meine Wiederbesinnung in dem Sinn, daß wir uns zu einer Durchdringung des Handelns des Politikers mit den Grundsätzen, die wir aus dem Evangelium ableiten können, bekennen müssen. Das geht oft bis ins rein Persönliche. Man soll sich auch nicht genieren, zu sagen, eine christliche Partei müßte darauf achten, daß die führenden Politiker eine gute Portion praktizierten Christentums aufweisen können. Das Christliche liefert uns heute vielleicht nicht mehr die Rezepte für die Einstellung zum Eigentum, zur Demokratie und zum Klassenkampf, wohl aber ein unerschöpfliches Reservoir für das Verhalten in der politischen Arbeit.

Mit Generalsekretär Dr. Kohlmaier sprachen Dr. Hans Magenschab und Franz Wolf.

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