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Prinz Nikolaus Romanow: "Rußland muß stark bleiben"

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Von Nostalgie hält der Chef des Hauses Romanow, Prinz Nikolaus, nicht viel. Er wünscht sich ein Rußland als euroasiatische Drehscheibe.

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Von Nostalgie hält der Chef des Hauses Romanow, Prinz Nikolaus, nicht viel. Er wünscht sich ein Rußland als euroasiatische Drehscheibe.

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DIE FURCHE: Wie sollte Ihrer Meinung nach Rußland heute regiert werden?

Nikolaus Romanow: Das Land braucht an der Spitze ein starkes Staatsoberhaupt, aber keinen Diktator. Ich bin für eine den russischen Verhältnissen angepaßte präsidentiale Republik wie in Frankreich oder in den USA. Die volle Verantwortung soll beim Präsidenten und einer Partei liegen. Wenn sie, was unvermeidlich ist, Fehler machen, können sie demokratisch abgewählt werden. Es gibt keine andere Lösung. Jede Diktatur würde unweigerlich in ein Blutbad führen.

DIE FURCHE: Gibt es in Rußland heute nicht auch Leute, die sich nach dem Zaren sehnen?

Romanow: Vielleicht. Ich glaube aber nicht, daß man die Romanows wieder zurückhaben möchte. Die Russen interessieren sich zwar für uns, weil für sie das Haus Romanow einen Teil ihrer Geschichte bildet, die lange in der Versenkung verschwunden war. Sie wollen nicht die Monarchie, sondern ihre Geschichte wiederhaben. Deshalb halte ich auch nichts von monarchistischen Bewegungen, von Soldaten mit alten zaristischen Uniformen und Orden. Das ist nichts als Maskerade. Ich habe wiederholt öffentlich erklärt, daß ich mich nicht als Thronanwärter sehe. Wenn man mich darum bäte, würde ich ablehnen. Die Monarchie wäre heute bestimmt ein Rückschritt.

DIE FURCHE: Der Ruf nach dem Zaren ist also nur Nostalgie?

Romanow: Sicher spielt auch die typisch russische Bequemlichkeit mit eine Rolle. Man möchte sich bequem zurücklehnen und sagen: Unser neuer Zar wird sich schon um alles kümmern. Eine russische Schwäche ist, daß wir zwar gute Gedanken haben, aber uns die Ausdauer fehlt, um sie auch in die Tat umzusetzen. Irgendwann verlieren wir das Interesse.

DIE FURCHE: Werden die Romanows Vermögensansprüche an den russischen Staat stellen?

Romanow: Nein, daran denken wir überhaupt nicht. Das Rad der Geschichte kann man nicht zurückdrehen. Es geht uns nicht um Geld, sondern um eine gerechte Beurteilung der Rolle des Hauses Romanow in der russischen Geschichte.

DIE FURCHE: Wenn Sie an den blutigen Sonntag in Moskau von Anfang Oktober dieses Jahres zurückdenken-wie beurteilen Sie Boris Jelzin?

Romanow: Jelzin - daran habe ich keine Zweifel - hat das einzig Richtige getan. Sein Mut und seine Entschlußkraft waren entscheidend. Aber die Probleme in Rußland sind so komplex, daß sie nicht von einem einzigen politischen Führer gelöst werden können. Die Parlamentarier haben bewaffneten Abenteurern Zuflucht gewährt; und ihre Führer Chasbulatow und Ruzkoj haben Befehl gegeben, das Fernsehzentrum Ostankino zu stürmen. Diesen Leuten weine ich keine Träne nach. In meinen Augen hätte sich Boris Jelzin dieser Leute schon viel früher entledigen sollen.

DIE FURCHE: Hat sich Jelzin mit seinem Staatsstreich zur Rettung der Demokratie nicht auch selbst ins Unrecht gesetzt?

Romanow: Die vielen Toten sind natürlich zu bedauern. Aber Revolutionen ereignen sich nie auf einer legalen Grundlage. Das war bei der Französischen Revolution und bei der Oktoberrevolution nicht anders. Als gewählter Präsident, durch das April-Referendum bestätigt, ist seine rechtliche Grundlage besser fundiert als die aller Parlamente. Die sind ja noch unter halbfreien Umständen entstanden, bei denen die Kommunisten begünstigt waren. Und dann hat Jelzin die meisten Zensurmaßnahmen rasch wieder aufgehoben.

DIE FURCHE: In Rußland sagt man zynisch, Gorbatschow war ein dummer Mann mit guten Absichten, Jelzin sei ein noch dümmerer mit noch besseren Absichten.

Romanow: Das stimmt natürlich nicht. Beide sind sehr intelligente Männer. Gorbatschow hat in einem Zick-Zack-Kurs zwischen Reformbemühungen und Bewahrung des Alten hin und her laviert. Daran ist er letztlich gescheitert. Boris Jelzin ist auch ein Produkt der sowjetischen Gesellschaft, aber er denkt freier als' Gorbatschow. Die Geschichte lehrt, daß ein Mann, der sich auf den Barrikaden mutig erweist, nicht unbedingt in der Lage sein muß, ein Land auch in Friedenszeiten zu führen. Seine Bewährungsprobe kommt erst noch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich irgendein Führer in Rußland lange an der Macht halten kann.

DIE FURCHE: Gibt es zur Zeit eine demokratische Alternative zu Jelzin?

Romanow: Ich sehe niemanden. Er scheint das russische „Reich” unter Kontrolle zu haben, und damit ein Absinken in Bürgerkrieg und Chaos zu verhindern. Jelzin steht im Dilemma zwischen autoritärer Führung und demokratischer Ordnung. Erst wenn die Leute die Vorteile einer freiheitlichen Staatsform spüren, wird die Demokratie Wurzeln schlagen. Die wirtschaftliche Unsicherheit wiegt schwer. Die Wirtschaftsreformen haben in den Augen der Bevölkerung bisher noch keine Erleichterung gebracht. Wie so oft müssen sich die Russen in Geduld üben.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie die Zukunft der Ex-Sowjetrepubliken? Werden sie wieder zusammenkommen?

Romanow: Ich wünsche es, auch für Europa. Ein schwaches Rußland wäre schlimm genug, aber eine schwache Ukraine oder ein schwaches Weißrußland sind geradezu Schreckensvisionen. Polen mit seinem neu erwachten Nationalstolz könnte sich fragen, warum soll Lemberg in der Ukraine bleiben. Auch andere Gebiete waren früher polnisch. Und dann könnten auch die Deutschen wieder von Schlesien, von Pommern oder Königsberg träumen, der Wiege des Rittertums und der Familie Hohenzollern.

DIE FURCHE: Was halten Sie von der Vision einer großen Gemeinschaft vom Atlantik bis zum Pazifik?

Romanow: Die jetzige Europäische Gemeinschaft ist schon groß genug. Warum nicht zwei Europäische Gemeinschaften, eine im Westen und eine im Osten? Die östliche Gemeinschaft sollte aus Rußland, der Türkei, Griechenland, den östlichen Balkanstaaten, Rumänien, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen und sogar Syrien und Israel bestehen. Konkurrenz hilft im privaten Bereich, warum nicht auch zwischen zwei europäischen Gemeinschaften? Rußland ist die natürlich Drehscheibe zwischen Europa und Asien. Wenn Moskau die Macht behält, bin ich für die Zukunft des Landes optimistisch. Die Russen sind fähige Leute, das Land ist reich. Aber es wird seine Zeit brauchen.

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