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Privatisierung ein Mittel, Subsidiarität zu verwirklichen

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Vorsicht beim Weiterlesen: Privatisierung ist „der größte Unsinn, der in der letzten Zeit gesagt wurde“ - wenn man dem Bundeskanzler und seinen Femsehaussagen Glauben schenkt. „Das hat sich jemand plötzlich ein fallen lassen, weil er glaubt, daß er andere dumm machen kann.“ Für den aber, der sich ohne ideologische Scheuklappen und unvoreingenommen mit diesem Thema befaßt, sieht die Sachlage doch etwas anders aus.

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Vorsicht beim Weiterlesen: Privatisierung ist „der größte Unsinn, der in der letzten Zeit gesagt wurde“ - wenn man dem Bundeskanzler und seinen Femsehaussagen Glauben schenkt. „Das hat sich jemand plötzlich ein fallen lassen, weil er glaubt, daß er andere dumm machen kann.“ Für den aber, der sich ohne ideologische Scheuklappen und unvoreingenommen mit diesem Thema befaßt, sieht die Sachlage doch etwas anders aus.

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In beiden großen Parteien wird Privatisierung - also die Forderung nach einer Übertragung öffentlicher Aufgaben in private Hand - von ernst zu nehmenden Leuten diskutiert, wenn auch manchmal aus verschiedenen Motiven:

• Für die Sozialisten steht primär das Diktat der leeren Kassen im Vordergrund, also der Versuch, durch Ausgliederung öffentlicher Aufgaben die Haushalte zu entlasten („Flucht aus dem Budget“).

• Für die ÖVP steht neben diesem pragmatischen Ansatzpunkt auch noch eine grundsätzliche Frage offen- welche Aufgaben denn notwendigerweise von der öffentlichen Hand erfüllt werden müssen und ob nicht heute längst eine Überprüfung des öffentlichen Güter- und Dienstleistungsangebots nötig wäre.

Im Hintergrund dieser aktuellen Diskussion steht, daß seit Jahren der Staatsanteil im Volkseinkommen steigt und steigt. Im Jahr 1960 betrug der Anteil der öffentlichen Hand (Land, Bund, Gemeinden) am Bruttonationalprodukt 30 Prozent; 1977 bereits 40. „Der Staat ist wie eine gefähr liche Droge. Je mehr wir davon nehmen, desto mehr brauchen wir sie und desto mehr werden wir von ihr abhängig.“ (Walter Jöhr, Schweizer Politologe.)

Diese Entwicklung zu mehr Staat kann sehr’wohl die Wahlmöglichkeiten und die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des einzelnen Bürgers gefährden. Mehr Staat bedeutet nicht unbedingt eine bessere Versorgung mit öffentlichen Gütern - das zeigt die in den letzten Jahren immer lauter werdende Kritik am öffentlichen Lei- stungsangeb ot (Verkehrsein richtun- gen, Gesundheitswesen, Telephonausbau, Müllabfuhr, Postzustellung etc.). Diese Kritik kommt nicht von ungefähr, da die öffentliche Hand offenkundig durch Verschlechterung der Qualität und Quantität ihrer Leistungen versucht, den wachsenden Staatsanteil zu finanzieren.

Die Finanzierung des wachsenden Staatsanteils durch wachsenden Steuerdruck stößt aber an eine natürliche Grenze. Professor Matzner befürchtet etwa, daß die „politische Grenze“ des Steuerdrucks längst erreicht ist und eine weitere Anhebung der Steuerquote durch das Nachlassen der Steuermoral wirkungslos würde. Die Möglichkeiten, die öffentlichen Aufgaben durch weitere Verschuldung zu finanzieren, sind in den letzten Jahren deutlich geringer geworden. Die Verschuldung der Gemeinden betrug 1975 schon mehr als 100 Prozent der Ausgaben; beim Bund derzeit rund 50

Prozent, aber in wenigen Jahren wird auch hier die Verschuldung dem Ausgabenrahmen gleichkommen. In dieser Situation ist eine Weichenstellung notwendig. Nicht mehr Staat, sondern Entstaatlichung ist notwendig. Und Reorganisation öffentlicher Aufgaben und Privatisierung können dazu sinnvolle Instrumente sein.

Das Hauptargument der Sozialisten gegen Privatisierung ist einfach, und deshalb auch gefährlich. Sie behaupten, es gehe der ÖVP und insbesondere dem Wirtschaftsbund um nichts anderes, als „Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren“.

Es bestehe also die Gefahr, daß attraktive gemeinwirtschaftliche Unternehmen ausgegliedert und die verlustträchtigen in der öffentlichen Hand belassen würden. Dieses Argument ist ebenso einleuchtend wie falsch, da in der bisherigen Privatisierungsdiskussion kein einziger konkreter Fall aufgetaucht ist, wo ein gewinnträchtiger kommunaler Betrieb privatisiert worden wäre. Im Gegenteil, die bisherigen Beispiele zeigen, daß nur verlustträchtige kommunale Einrichtungen in private Hand übertragen wurden und seither Gewinne abwerfen. Es wurden also bisher sozialisierte Verluste in private Gewinne uirfgewandelt.

Ein Blick in die Statistik zeigt außerdem, daß die Erwerbseinkünfte der öffentlichen Hand aus wirtschaftlicher Tätigkeit heute fiskalisch unbedeutend sind. Eine Untersuchung aus der BRD hat nachgewiesen, daß von den gesamten Staatsaufgaben nur ein verschwindend geringer Teil durch erwerbswirtschaftliche Einkünfte der öffentlichen Hand finanziert werden kann (Bund 0,8 Prozent; Länder 2,7 Prozent; Gemeinden 3,6 Prozent).

Um diese wichtige Entstaatlichungsdiskussion in Österreich sinnvoll führen zu können, sind noch viele konkrete Erfahrungen und Untersuchungsberichte notwendig. Der österreichische Wirtschaftsbund hat Ende Juni in Salzburg eine Enquete mit betroffenen Kommunalpolitikern und Unternehmern veranstaltet. Dabei zeigte sich in der Gesamttendenz, daß private Betriebe sehr wohl in der Lage sind, zu gleichem Preis bessere, raschere, serviceorientiertere Leistungen zu erbringen als kommunale Betriebe und daß private Betriebe bei gleicher Leistung billiger arbeiten können.

MÜLLABFUHR:

• Leogang (Salzburg): bis 1974 Gemeindebetrieb (ausgeglichene Budgetierung); seither privatisiert. Bei gleichem Preis wird eine bessere Leistung vom Privaten erbracht.

• Leopoldsdorf: früher Bewältigung des Müllanfalles an drei Tagen (Donnerstag, Freitag, Samstag); jetzt erbringt zu gleichem Preis ein Privatunternehmer diese Leistung an einem Tag.

• Baden: Die Müllabfuhr wurde früher von der Gemeinde mit 17 Beschäftigten, drei Fahrzeugen und zu Lohnkosten von 11,80 Schilling pro 90-1- Kübel erbracht; heute erbringt eine private Firma mit zwei Fahrzeugen,

zehn Bediensteten, die gleiche Leistung zu einem Preis von 7,50 Schilling.

SCHLACHTHÖFE:

Die kommunalen Schlachthöfe werfen in der Regel erhebliche Defizite ab (Graz 11 Millionen, Salzburg 3,5 Millionen, Wels bisher 3 Millionen). In Wels wären jetzt zusätzliche Investitionen von 30 bis 35 Millionen Schilling notwendig gewesen. Die Gemeinde übertrug den Betrieb lieber einem Unternehmer und erspart sich damit den Betriebsabgang und die Investitionskosten.

GEBÄUDEREINIGUNG:

In der BRD zeigen Vergleichsuntersuchungen, daß Privatbetriebe einen 40- bis 60prozentigen Kostenvorteil gegenüber kommunalen Einrichtungen haben; in Linz wird gerade erprobt, einzelne Schulen und Amtsgebäude von Privatfirmen reinigen zu lassen, die auch in der Preisgestaltung günstiger anbieten.

GÄRTNEREIEN:

Die frühere Salzburger Friedhofsgärtnerei machte bei drei Millionen Schilling Umsatz 700.000 Schilling Defizit, jetzt wird der Betrieb privat geführt und zahlt einen jährlichen Pachtschillingvon 100.000 Schilling an die Gemeinde. AUTOBUSUNTERNEHMEN:

Eine Untersuchung mehrerer Gemeinden zeigt, daß bei gleicher Leistung die Kosten bei Privatbetrieben eher niedriger sind und bei gleichem Preis eine längere Strecke befahren wird.

Diese wenigen konkreten Beispiele zeigen, daß mit Privatisierung öffentlicher Aufgaben erhebliche Einsparungen möglich sind.

„Privatisierung ist angewandte Grundsatzdiskussion“

Neben diesem sehr praktischen Argument- ausgelöst durch das obzitierte „Diktat der leeren Kassen“ - ist aber die Privatisierungsdebatte auch angewandte Grundsatzdiskussion:

Man soll sich hüten, diese Diskussion nur unter einem Konjunkturaspekt zu sehen. Privatisierung ist kein Allheümittel gegen die galoppierende Schwindsucht der öffentlichen Haushalte, sie ist auch keine Sozialdemontage im Dienste des Kapitals.

Privatisierung kann aber ein Mittel sein, Subsidiarität in die Praxis umzusetzen.

Privatisierung ist darüber hinaus ein- Weg zu öffentlichem Machtverzicht. Angesichts der bereits erreichten Konzentration wirtschaftlicher Macht in der öffentlichen Hand ist ein solcher Machtverzicht notwendiger denn je.

Privatisierung ist auch der Versuch, das öffentliche Leistungsangebot besser mit den Nachfragebedürfnissen des Marktes abzustimmen.

Privatisierung bietet darüber hinaus die Chance, die Hände wieder freizumachen für eine sinnvolle Umverteilung. Die heutigen Verteilungsergebnisse sind oft konträr zum ursprünglichen politischen Willen: Auf jeden Schilling, der heute einem Bedürftigen zugute kommt, entfallen zwei Schilling für die Förderung Nichtbedürftiger. Heute steckt jeder mit seiner Hand bis zum Ellbogen in des Nachbarn Tasche - der wiederum in anderen - und das Ergebnis dieses wechselseitigen Umverteilungsprozesses unter Gleichen ist nicht transparent, nicht gewollt und nicht sinnvoll.

Die Diskussion um die Privatisierung öffentlicher Aufgaben ist daher auch in hohem Maße Grundsatzpolitik. In den Gemeinden ist Kooperation zwischen verschiedenen politischen Ansichten notwendig. Aber Kooperation ist - wie Heinrich Drimmel einmal formuliert hat - nur zwischen Parteien mit festen ideologischen Standpunkten möglich; alles andere gleicht zwei Betrunkenen in der Grinzinger Allee.

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