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Problematische Regierungsbildung zum ersten, zweiten und dritten

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Das Königreich der Niederlande befindet sich gegenwärtig in einem Zustand bemerkenswerter staatspolitischer Schwäche. Innerhalb seines Hoheitsgebietes finden auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig drei Regierungsbildungen statt. In Den Haag hofft der demissionierte Ministerpräsident Joop den Uyl, (PVDA), bis Mitte August mit den Fraktionsvorsitzenden der drei zukünftigen Regierungsparteien PVDA, CDA und D’66 wenigstens über den Inhalt seines als „Memo Zwo” bezeichneten sozial-ökonomischen Regierungsprogramms Übereinstimmung erzielen zu können. Anschließend sollen Probleme wie Abortus, Verteidigung und Verteilung der Ministersessel behandelt werden. Den Uyl hat am 15. Juli seinen ersten Anlauf zur Regierungsbildung überhastet abgebrochen. Drei Tage danach hat der Fraktionsvorsitzende des Christdemokratischen Appells (CDA), Dries van Agt, einen Auftrag der Königin zur Regierungsbildung aus wohlerwogenen Gründen abgelehnt. Dem als „Informateur” eingeschalteten Professor Willem Albeda von der Erasmus-Universität, Rotterdam, gelang es dann, innerhalb einer Woche einen neuen Anlauf zur Regierungsbildung mit den gleichen Teilnehmern vorzu bereiten.

Unterdessen war am Stil der Regierungsbildung von vielen Seiten heftige Kritik geübt worden. Der als „Vater des Vaterlandes” verehrte neunzigjährige Dr,Willem Drees, langjähriger sozialdemokratischer Ministerpräsident der Nachkriegszeit, hatte die in einen kleinlichen Streit um die Verwendung von „Übergewinnen” aus Unternehmungen verstrickten Regierungsmacher öffentlich in einer Fernsehsendung gerügt und die Art und Weise ihrer Verhandlungsführung als „schädlich für die Nation” bezeichnet.

Unter den Mitgliedern der Zweiten Kammer entstand mittlerweile beträchtliche Unruhe. Sowohl in den Fraktionen der Regierungs- als auch der Oppositionsparteien nahm die Furcht vor einer Aushöhlung der Befugnisse des Parlaments offensichtlich zu, je mehr „niet- und nagelfeste Absprachen” zwischen den drei Fraktionsvorsitzenden und Joop den Uyl getroffen werden mußten, weil die Vertrauensbasis zwischen den künftigen Regierungspartnern bislang zu schmal war. Ob sie nun breit genug sein wird, müssen die Resultate der nächsten Wochen zeigen.

80 Tage nach den Wahlen vom 25.Mai ist in Den Haag zwar der „politische Wille” zu einer Regierung der äußersten Kompromisse vorhanden, die gesellschaftspolitischen Auffassungen sind jedoch so grundverschieden, daß sie keine Überschreitung jener Linie zulassen, hinter der die Selbstverleugnung beginnt.

Manchem europäischen Politiker könnte eine intimere Kenntnis der niederländischen. Regierungsbildung wertvolle Aufschlüsse zur Frage prinzipieller Unvereinbarkeit von sozialistischen Kollektivdoktrinen und den Auffassungen christdemokratischer Zukunftsgestaltung erbringen. Aber was wissen die europäischen Politiker denn schon voneinander? Unberührt von den Segnungen der sozialistischen Internationale, leben die niederländischen Sozialisten in ständigem Unfrieden mit der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, wie die inzwischen erfolgte Internationalisierung des Falles Benneter beweist. Genschers Freie Demokraten haben zwar mit ihrem Europakönzept manche Gemeinsamkeiten mit Hollands Liberalen aufzuweisen, doch besteht ein fundamentaler Unterschied in der Tatsache, daß es in Holland zwei verschiedene liberale Parteien gibt. Die kleinere D’66 ist bereit, mit den Sozialisten zu regieren, während die mit 28 Parlamentssitzen drittstärkste liberale WD kategorisch jede gemeinsame Verantwortung mit Sozialisten ablehnt. In der WD ist das Bewußtsein der „Freiheit ohne Sozialismus” viel stärker ausgeprägt als bei den niederländischen Christdemokraten, deren innerer Reifungsprozeß zwar eingesetzt hat, aber zu seiner Vollendung noch eine Weile benötigen wird. In der Person des Fraktionsvorsitzenden Dries van Agt scheint die niederländische Christdemokratie endlich über einen charaktervollen Politiker zu verfügen, der imstande sein kann, eine bessere Verständigung mit den bundesdeutschen und europäischen Unionsparteien herbeizuführen, als dies bisher im Verlauf der übernationalen Organisationsbegegnungen möglich war. Im eigenen Lande gilt van Agt inzwischen als besonnener, umsichtiger und harter Verhandler, der sich seiner Verantwortung für die Rolle der Christdemokratie in den Niederlanden nicht entziehen will. Ohne den CDA kann in den Niederlanden nicht regiert werden, wohl aber ohne die sozialistische PVDA. Hierin liegt die Tragik des Wählerverhaltens, das einer einzelnen Partei die regierungsfähige Mehrheit versagt hat. Es ist schon ein seltsamer Stolz, der Minister und einfache Bürger zu dem häufig gehörten Ausspruch- verleitet: „Dieses Land ist eigentlich unregierbar.”

Fast unbeachtet von der niederländischen Öffentlichkeit vollzieht sich in gemächlichem Tempo die Bildung der aus den Wahlen vom 17. Juni hervorgehenden Regierung der Niederländischen Antillen. Seit 1816 sind die sechs Inseln in der Karibischen See ein fester Bestandteil des Königreichs der Niederlande. 22 Abgeordnete vertreten den Volkswillen der 230.000 Einwohner. Die überwiegend katholische Bevölkerung auf den vor der Küste Venezuelas gelegenen ABC-Inseln unter dem Winde (Aruba, Bonaire und Curaęao) und jene der etwa 900 Kilometer nördlich davon gelegenen Insein über dem Winde (St. Martin, St. Eustachius und Saba) mit vornehmlich protestantisch-methodistischer Bevölkerung hat sich bisher gegen kommunistische Unterwanderungsversuche mit Erfolg gewehrt. Sorgen bereiten dagegen die separatistischen Tendenzen auf der Insel Aruba, wo das mit fünf Sitzen im Parlament vertretene „Movimiento Electoral del Pueblo” (MEP) und ihr Parteichef Betico Croes noch kürzlich in einem Telegramm an den demissionierten Ministerpräsidenten den Uyl Besprechungen zur Erreichung der Unabhängigkeit bis spätestens 1981 vorgeschlagen hat. Die anderen Parteien dagegen haben es mit der sogenannten Unabhängigkeit weniger eilig. In der auf der Insel Curaęao gelegenen Hauptstadt der Niederländischen Antillen, Willemstad, wird nicht vor September mit der Bildung einer Regierung gerechnet.

Eine dritte Regierungsbildung wird zur Zeit von der „Exilregierung” der Südmolukker in den Niederlanden vorbereitet. Der Präsident, Ingenieur Manusama, will auf dem Parteitag der Molukkischen Einheitsbewegung (am 13. und 14. August in Assen) die Namen neuer, jüngerer „Minister” bekanntgeben. Sieht man von den internen Schwierigkeiten der Molukker einmal ab, dann bleiben immer noch genug Überraschungsmomente übrig, die sich bei dem Parteitag ergeben können. Der Druck auf die niederländische Regierung wird sicherlich nicht geringer werden.

Wie immer die neue niederländische Regierung auch zusammengesetzt sein mag: In Den Haag muß demnächst mit Weisheit regiert werden.

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