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Problemkind Landwirtschaft

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Einę miserable Arbeitsproduktivität, der überalterte Maschinenpark und zentralistische Steuerung sorgen dafür, daß die Landwirtschaft Moskaus Sorgenkind Nr. 1 bleibt.

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Einę miserable Arbeitsproduktivität, der überalterte Maschinenpark und zentralistische Steuerung sorgen dafür, daß die Landwirtschaft Moskaus Sorgenkind Nr. 1 bleibt.

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Generalsekretär Leonid Breschnew hat vor dem Zentralkomitee der KPdSU die Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigen Lebensmitteln als das größte wirtschaftliche Problem des Landes bezeichnet. Vor dem Obersten Sowjet wiederholte Planungschef Nikolai Baibakow jenes Schauspiel, das nun schon zur jährlichen Gewohnheit geworden ist.

Die Planungsziele, so verkündet er, wurden nicht nur in den so we-

sentlichen Produktionen Kohle, Eisen und Stahl teilweise bedeutend verfehlt. Auch in der Landwirtschaft blieb der Ertrag um Längen hinter den Direktiven zurück. Schätzungsweise nur 175 Millionen Tonnen Getreide werden an Stelle der geplanten 236 in die Scheuem der Kollektivfarmen gebracht.

Trotzdem werden die alten Planziele in der Agrarproduktion für das laufende Jahrfünft nicht den traurigen Realitäten angepaßt. In den nächsten vier Jahren müssen Rekordernten eintreten, sollte der hochgestellte Durchschnitt eingehalten werden. Wieder einmal ist der Wunsch größer als die Einlösung des Versprechens. In der Ära Breschnew sind die Planer bescheidener geworden; wäre Chruschtschows Prognose eingetreten, dann hätte die Sowjetunion schon im letzten Jahr die USA in der Pro-Kopf- Produktion überflügelt.

Jahr für Jahr ist der Kolchosnis unter den Zwang der Planziele gestellt, sie sind in einer Zentralverwaltungswirtschaft nicht nur Empfehlungen, sondern Gesetz. Trotzdem legt sich der sowjetische Landarbeiter keineswegs mehr ins Zeug, zumindest wenn es um die staatliche Produktion geht. Es fehlt an Anreizen, die paar Rubel mehr helfen wenig, wenn es dafür nichts Gutes zu kaufen gibt.

So wird in gewohnter Weise beim Wetter die Schuld gesucht, das nun tatsächlich in diesem Riesenreich den Planern nur zu oft einen Strich durch die Rechnung macht. Es kann aber nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden, daß 30 Millionen Kolchos- und Sovchos-Arbeiter nicht zustande bringen, was einem Fünftel der Berufsgenossen auf US-amerikanischen Farmen gelingt: die Ernährung der Bevölkerung.

Noch schlimmer: Heute ist die Versorgung schlechter denn je, nähert sich gefährlich einem Notstand. In zahlreichen Gebieten der russischen Föderation bekam .die Bevölkerung schon seit Jahren kein Stück Fleisch mehr zu Gesicht. Und das, obwohl das größte Investitionsprogramm in die Wege geleitet ist, der Sowjetstaat die primären Bedarfsgüter ungleich höher subventioniert als dies in anderen hochindustrialisierten Ländern der Fall ist.

Etwa 27 Prozent der öffentlichen Ausgaben gehen in den Agrarsektor. Breschnews großangelegtes Neulandgewinnungsund Kultivierungsprogramm schreitet fort. Trotzdem muß das Getreidedefizit von 43 Millionen Tonnen durch Importe gedeckt werden.

Amerikas Präsident Ronald Reagan hat das Getreideembargo aufgehoben, das Vorgänger Jimmy Carter nach der Invasion Afghanistans angeordnet hat Aber westliche Länder sind mehr als willig, ihre Überproduktion an die Sowjetunion loszuwerden. Nicht nur die amerikanischen Farmer. Argentinien und Australien sprangen anstelle der USA in die sowjetische Bresche.

Die Probleme der sowjetischen Landwirtschaft sind offenkundig. Die Arbeitsproduktivität ist miserabel, es sei denn, wenn der Bauer sein eigenes Hofland bewirtschaftet Dieser kleine Flek- ken, zusammen nur vier Prozent der gesamten Anbaufläche, bringt in manchen Landwirtschaftszweigen dreißig bis vierzig Prozent der Produktion. Noch dazu in weit besserer Qualität.

Erstmals wurde in letzter Zeit diesem Tatbestand Rechnung getragen. Die Privatinitiative wird angekurbelt, wie die einschlägigen Dekrete verkünden. Möglicherweise wird das private Hofland vergrößert. Der Staat begünstigt die Bildung kleiner Arbeitsgruppen mit einem Höchstmaß von Spielraum und Selbstmanagement. Die Situation muß also schon sehr ernst sein, wenn ihretwegen alte ideologisch begründete Prinzipien über Bord geworfen werden.

Andere Gebrechen bleiben: Der Maschinenpark ist überaltert und Neuanschaffungen sind durch eine gigantische Bürokratie ge

hemmt. Die Infrastruktur besteht in diesem weitgestreckten Land zwischen arktischen und mediterranen Klimazonen praktisch noch nicht. Entsprechende Lagerhaltung ist größtenteils ein Fremdwort. Ein Gutteil der Ernte verfault unter freiem Himmel.

Im Prinzip wird am System und an der Zentralen Steuerung nicht gerüttelt. Solange die Zentrale bestimmt, wieviel Hühnchen in Kasachstan ausgebrütet und wieviel Baumwolle in Kasachstan geerntet werden sollen, krankt die gesamte Landwirtschaft. Ansporn zu Eigeninitiative ist nur Kosmetik.

Konsumgüter werden nicht in der erwünschten Menge angebo- ten, der Bürger hat sich weiterhin mit den Abfällen der Rüstungsindustrie zufriedenzugeben. Ergo sieht er keinen Grund für größeren Arbeitseinsatz, spart seine Energien für die abendliche Schwarzarbeit und zweigt vom angeblich der Gemeinschaft gehörenden Bestand ab, was nur abzuzweigen ist.

Die unzähligen Klagen in der Sowjetpresse über Vergeudung und Verschleuderung von Produktionsmitteln ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

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