6821896-1973_41_13.jpg
Digital In Arbeit

Produktives Außenseitertum

19451960198020002020

Professor Otto Mauer, einer der eigenwilligsten Wiener Theologen, Österreichs prominentester Galeriechef „nächst Sankt Stephan“ und einer der profiliertesten Kunsttheoretiker, ist 67jährig in einer Wiener Klinik an einem Lungeninfarkt gestorben. Mit Karl Strobl hat er auch die bedeutende Zeitschrift „Wort und Wahrheit“ gegründet, deren geistige Leitlinien er gerade in den letzten Jahren als Chefredakteur bestimmte.

19451960198020002020

Professor Otto Mauer, einer der eigenwilligsten Wiener Theologen, Österreichs prominentester Galeriechef „nächst Sankt Stephan“ und einer der profiliertesten Kunsttheoretiker, ist 67jährig in einer Wiener Klinik an einem Lungeninfarkt gestorben. Mit Karl Strobl hat er auch die bedeutende Zeitschrift „Wort und Wahrheit“ gegründet, deren geistige Leitlinien er gerade in den letzten Jahren als Chefredakteur bestimmte.

Werbung
Werbung
Werbung

Mauer war zeit seines Lebens ein Mann der unverrückbaren Grundsätze, ein Intellektueller, der seine Umwelt entscheidend mitzuformen trachtete und — selbst auf die Gefahr, den Weg des größten Widerstands gehen zu müssen — unbeirrt für seine Auffassung von Katholizismus, Lebensqualität, für die Aufgaben des Christen, für seine Vorstellungen von Kunst eintrat... Nur zu oft ist er mit dieser Meinung in die Position des angefeindeten „Außenseiters“ geraten, vor allem in der Kirche selbst, aber auch im österreichischen Kulturleben, gegen dessen zeitweisen Provinzialismus er mit ebensolcher Un-nachsichtigkeit Krieg führte wie gegen alle „Gewohnheiten“ des Geisteslebens, gegen die Bequemlichkeit des Kulturbeamtentums, die Usancen des Kulturmanagements, den oberflächlichen Kunstbetrieb des Tages.

Einen produktiven „Unruhestifter“ hat man Monsignore Mauer verschiedentlich genannt. Und wer hätte diese Eigenheit nicht sofort bemerkt, wenn nicht seinen Predigten folgte oder seinen Vorträgen im Rahmen des von ihm gegründeten „Internationalen Kunstgesprächs“, wo einst teilzunehmen die Prominenz in- und ausländischer Kunstszene als Pflicht erachtete. Oder in seiner über alle Maßen geliebten „Galerie nächst Sankt Stephan“, durch die er, gegen die kommerzialisierte Wiener Gälerieszene immer wieder seine Vorstellungen von neuester Kunst und ihrer „Aufgabe“ vertrat.

Von Anfang an, seit den Tagen des Aufbaus nach 1945, war Otto Mauer dabei: als er seine Gruppe-mit Arnulf Rainer, Mikl, Pra-chensky, Hollegha gründete, als er heute längst führende Maler, Architekten, Plastiker, Dichter, Komponisten um sich scharte und in fruchtbaren Diskussionen Impulse zu geben und so letztlich den Wiener Informationsnotstand auf dem Gebiet der bildenden Kunst Anfang der fünfziger Jahre zu korrigieren versuchte. Avramidis, Hundertwasser, Hollein, Pichler, Attersee, Gironcoli, Cornelius Kolig, Oberbuber ... Das sind nur ein paar aus der langen Liste derer, die „nächst Sankt Stephan“ begonnen haben oder zumindest mit dabei waren. Und man sollte auch die vielen Ausländer nicht vergessen, die Otto Mauer als einer der ersten nach Wien gebracht hat, um die „Inzucht“ des Wiener Galerielebens mit anderen Qualitäten zu konfrontieren: Beuys war bei

Mauer zu sehen, Wewerka, Fontana, Ceroli, Alviani, Schröder-Sonnenstern, Fruhtrunk, Berro-cal, Kassaks Nachlaß ...

Der Sammler Otto Mauer

Noch sind Mauers testamentarische Verfügungen nicht bekannt. Aber daß seine berühmte Kunstsammlung nur in -zig Millionenbeträgen zu schätzen sein dürfte,, wissen alle, die zumindest Teile davon kannten. Und man kann annehmen, daß Mauer selbst diese Sammlung zum Verkauf bestimmt hat, um den Weiterbestand seiner Galerie zu sichern. Schon jetzt ist man freilich in der Albertina in Hochspannung. Nicht zu Unrecht! Wird der Staat bereit sein, diese einzigartige Dokumentation österreichischer Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg für Wien als Gesamtheit zu bewahren? Jedenfalls wäre es sehr zu hoffen, daß sich im Falle des Falles der Staat wenigstens diesen Luxus leistet und der Albertina übergibt, was sie sonst kaum je wieder in solcher Vollständigkeit einkaufen karm. Denn diese Kollektion ist eine Art Lebenswerk: Mit 14 begann Mauer seine Schätze zusammenzutragen, und ,aus jeder. Ausstellung erhielt er . vom Künstler statt einer Zahlung ein Kunstwerk.

■ Was er allein an kostbaren Skizzen zusammengetragen hat,

zeigte er in seiner Galerie noch kurz vor seinem Tod.

Klimt, Kubin, Wotruba, Avramidis, Wewerka, Fontana, Rainer, Pichler, Urteil, Gironcoli, Goeschl ... Stars der Wiener und internationalen Kunstszene sind da für ein paar Tage mit Bleistiftskizzen, durchwegs virtuos hingeworfenen Zeichnungen, in der Galerie nächst Sankt Stephan vertreten. Eine reiche, interessante Kollektion, die merkbar von der Persönlichkeit und vom Geschmack ihres Sammlers, Galeriechef Prof. Otto Mauer, geprägt ist. Der Reiz liegt natürlich in der Konfrontation, wenn man da nachträglich mit ein paar Arbeiten die Entwicklung von 15 Jahren vorgeformt sieht, wenn man etwa beim Avramidis von Anfang 60 die „Bandplastik“, die er erst zehn Jahre später konsequent durchführen sollte, schon angedeutet findet, wenn man auf frühen Hollein-Blättern all das findet, was seine Epigonen heute erst so richtig ausschlachten und — reichlich verspätet — als „surreale“ Landschaftsarchitektur und Architekturlandschaft verkaufen; wenn man bei Andreas Urteil, dem viel zu früh Verstorbenen, in gewissen Rhythmisierungen die direkten Beziehungen zu seinem Lehrmeister Wotruba aufspürt... Oder wenn man Friedrich Schröder-Sonnensterns köstlich-phantastische Wahnsinnsfiguren, einst um ein Spottgeld zu kaufen, heute rare, ja vielkopierte Kostbarkeiten, auf ihre Freudschen Inhalte prüfen kann.

Mauers letzte Ausstellung: Wolfgang Ernst

Verschiedene Energien in verschiedenen Materialien, das Gleichgewicht verschiedener Zustände von Energie, das Klima, das Gefühl, die Atmosphäre um die Dinge ... All diese eigenwillig spekulativen Probleme haben Otto Mauer bewogen, die Arbeiten des 31jährigen Wolfgang Ernst zu zeigen. Und es ist eine der repräsentativsten Ausstellungen, die seit langem in Wien zu sehen waren. Ungewöhnlich die Objekte „nächst Sankt Stephan“: eine Vierkantsäule, vielleicht auch Stele, mit blauschwarzen Federn verkleidet und durch Kupferrohre zum technischen Gerät umfunktioniert; ein schwarzer Kunststoffblock mit

den Initialen FK; eine Holzlanze mit blankpolierten Messingflügeln; Kunststoff platten an der Wand mit Worten indischer Denker, vor allem aus den Upani-schaden, in Bleiguß: ein Denkmal, das den Weg von der Naturphilosophie zum wissenschaftlichen Denken symbolisiert; Bleiplatten, in die das Wort „Akineton“ — das Unbewegte — eingraviert ist...

Vor allem umfangreiche Spracherfahrungen spiegeln diese Werke: Versuche, zeichnerisch, plastisch, bildhaft umzusetzen, was literarische Metapher ist, bei Elias Canetti wie bei Wittgenstein. Versuche der Begriffsumwandlung ein und desselben Dinges, dessen Funktion ganz zu verstehen wertiger Aufgabe des Betrachters ist, als vielmehr das Erfühlen, wie Objekte und Um-raum zusammenhängen, wie Umwelt symbolische Dinge in ihrer Bedeutsamkeit korrigieren kann.

Insofern ist Wolfgang Ernst ein „traditioneller“ Künstler, für den Verankerung zwischen Architektur, Design und Sprachumsetzung ähnlich wie für Walter Pichler zugleich auch eine spezifisch österreichische Form der Äußerung ist. Die Distanzierung zur österreichischen „Tradition“ liegt nur in der „Wissenschaftlichkeit“, die etwa die kultische Egozentrik Pichlers negiert.

Besonders reizvoll sind übrigens Wolfgang Emsts Zeichnungen der vergangenen drei Jahre, Architekturassoziationen, die an Gironcolis mechanische und kultische Objekte erinnern, aber deren politische Aspekte im philosophischen Bereich abwandeln.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung