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Profis der Liebe?

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WOLFGANG BEILNER:

Niemand kann bestreiten, daß unbegrenzte Liebe das Hauptgebot für jeden Christen ist. Uns ist aufgegeben, Gott mit allen Fasern unserer Existenz zu lieben und jeden Nächsten wie uns selbst, selbst den Feind.

Woran es liegt, daß wir Christen kaum den Eindruck machen, die Liebe so zu beherrschen, wie es Menschen möglich sein müßte, die ihr ganzes Leben nichts anderes getan haben als unbegrenzt zu lieben?

Mir scheint, ein Hauptgrund ist, daß wir das Lieben mit den Konsequenzen der Liebe verwechseln. Ich habe lange daran gezweifelt, daß Paulus etwas Ernstzunehmendes geschrieben hat, als er formulierte: „Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“ (1 Kor 13,3).

Aber heute meine ich ganz sicher zu wissen, daß man ein redlicher, fleißiger, gerechter, hilfsbereiter, verzeihender usw. Mensch sein kann, ohne umfassend zu lieben.

Gewiß liebt wohl jeder Mensch irgend jemand. Jesus hat gesagt, daß auch die Zöllner und Heiden die lieben, die sie lieben. Aber der Christ müßte doch imstande sein, über den Bereich natürlicher Sympathie hinaus so lieben zu lernen, daß er eben nicht mehr anders kann als lieben.

Wann immer ich diese meine Meinung verfechte, höre ich den Einwand, daß die Liebe wesentlich Gefühl sei und die emotionalen Schichten des Menschen betreffe. Die ließen sich doch nicht kommandieren. Aus Überzeugung und aus Erfahrung heraus bestreite ich diesen Einwand.

Es ist mir gar nicht selten gelungen, einen mir an sich unsympathischen Menschen mögen zu lernen. Ich weiß von nicht wenigen mir nahestehenden Menschen, daß es ihnen ähnlich geht. Es braucht einfach die Bereitschaft, mit ein paar christlichen Grundwahrheiten ernst zu machen.

Ist denn nicht Gott der Vater aller Menschen? Habe ich dann das Recht, irgendeine Tochter, irgendeinen Sohn Gottes nicht zu lieben?

Wenn das schon für jeden Menschen gilt, muß nicht dann gerade die Kirche unter ihresgleichen aus dieser Bereitschaft und Erfahrung leben?

Im Johannesevangelium wird im Namen Jesu die Pflicht unbegrenzter allgemeiner Nächstenliebe gerade auf die Liebe der Jünger zueinander konkretisiert. Ihnen gilt „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34).

Wir müßten in der konkreten kirchlichen Gemeinschaft, in der wir leben, lernen, wenigstens die Glieder dieser konkreten Gemeinschaft unbedingt und jede und jeden einzelnen zu lieben, einfach zu mögen, es auch zu zeigen.

Ich meine hier keine Theorie zu verfechten. Ich erfahre es in der einen Weise durch lange

Jahre in meiner Gottesdienstgemeinde, in einer anderen Weise in einer mir nahestehenden Ordensgemeinschaft. Wir versuchen, ernst mit diesem Gebot Jesu zu machen, und werden anders. Die, denen ich mich zugehörig fühle, und ich selbst.

Ich kann nicht sagen, daß wir das Gebot Jesu wirklich erfüllen, aber ich meine, wir möchten es lernen, und vom subjektiven Befund her würde ich sagen, das hat erstaunliche Konsequenzen. Markenschutz haben wir darauf nicht. Niemand ist gehindert, sehr schnell und einfach dieselben Erfahrungen zu machen.

Jahrzehntelang stehe ich im Dienst meiner Kirche. Ich sehne mich die ganze Zeit nach einer erfreulichen Kirche. Wenn sie bereit ist, auf das Gebot der Liebe zu hören, wird sie eine herzliche Kirche. Wenn sie das wird, ist sie dort, wo sie sein soll.

Kann man denn nicht auch heute von uns Christen sagen: „Seht, wie sie einander lieben“? Wenn wir es in der kirchlichen Gemeinschaft lernen, werden wir es anderen ohne Mühe anbieten können.

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