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Profit oder Baukultur?

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Die Wertvorstellungen einer Zeit widerspiegeln sich auch im Verhältnis zum Denkmalschutz. Der Autor meint, Krems böte ein alarmierendes Beispiel für den allgemeinen Verfall.

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Die Wertvorstellungen einer Zeit widerspiegeln sich auch im Verhältnis zum Denkmalschutz. Der Autor meint, Krems böte ein alarmierendes Beispiel für den allgemeinen Verfall.

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Auch heute noch gilt der Satz, daß die Architektur der unerbittlich klare Spiegel der Menschheit und der Völker ist. Zu ihr gehören Städte, kleinere Orte und Einzelbauwerke wie Gehöfte, Burgen und vor allem Kultstätten.

Die Bauwerke darin dienten niemals allein dem vordergründigen Zwecke des Wohnens und Ar- beitens, des Handels oder der Kommunikation; vielmehr sagten sie zu jeder Zeit vor allem über ihre Funktion in der größeren Gemeinschaft aus, der sie angehörten, und diese Aussage wirkt oft über den Ort hinaus, den sie prägen.

Auch sie sind heute gefährdeter denn je, denn heute herrscht in der ganzen Welt der nackte Materialismus in der extremsten Form.

Der absolute Vorrang der privaten vor den öffentlichen Interessen bestimmt vor allem das Verhalten zum baulichen Erbe, weit über dieser Geisteshaltung entspringenden vordergründigen Skandale hinaus. Die heute noch umstrittene Bauführung einer Garage neben dem wichtigsten geistigen Wahrzeichen Österreichs und der Abbruch der Flo- rianikirche zur angeblichen Verbesserung der Verkehrsverhältnisse sind als bleibender Ausdruck dieser Gesinnung ein unerbittlich klarer Spiegel der dazu führenden Geisteshaltung.

Freilich wurde und wird unter dem Druck der öffentlichen Meinung zugegeben, daß alte Baukultur vorhanden ist (mit der sich auch manch gutes Geschäft machen läßt) und daß sie geschützt werden muß. Das zuständige Amt dafür ist das Bundesdenkmalamt. Zwar wurde sein Budget seit jeher beschämend niedrig angesetzt, doch wagte man bisher nicht, die Tätigkeit des Amtes zu lähmen. Könnte das seit einiger Zeit der Fall sein?

Dazu muß die heute in Österreich herrschende Geisteshaltung, die Ideologie untersucht werden, die vor einer Handlung steht. In der materiell beeinflußten Gesellschaft wird das geschützte Gebäude als für sich nicht lebensfähig gehalten; sein Bestand gilt als Belastung und als Luxus, den man sich eigentlich nicht leisten kann. Die Unterschutzstellung wird also eher als Diskriminierung angesehen. Dazu wird aber auch die nicht ge schützte Umgebung diskriminiert: weil sie nicht geschützt ist, gilt sie als nicht schützenswert. Sie kann daher irreparabel verändert oder auch vernichtet und durch Neubauten ersetzt werden. Das Denkmal steht dann wie ein Fremdkörper in einer fremden Umgebung und ist seinerseits gefährdet, weil nun mit stichhaltigen Gründen die Aufhebung des Denkmalschutzes betrieben werden kann.

Gebäude im öffentlichen Eigentum stehen ex lege unter Denkmalschutz. Es wird oft als lästig empfunden, weil willkürlichen Bauführungen dadurch Grenzen gesetzt sind. Daher wird nach gangbaren Wegen zur Umgehung des Denkmalschutzes gesucht, etwa durch Verkauf an einen Strohmann, der das Gebäude bis zum Verfall pflegt und so das Gelände baureif macht. Sollte sich dagegen Protest erheben, versucht ein Politiker das Gebäude zu „ret-

ten“, das bald danach abgebrochen wird.

Sind ganze Ensembles dem Schutz eines solchen Eigentümers preisgegeben, läßt sich fast ausrechnen, wie lange es dauert, bis sie dem Erdboden — und damit zunächst einem Parkplatz — gleichgemacht sind.

In dieser Lage warnte Roland Rainer:

„Man hört auf sich zu wundern, wenn das Bundesdenkmalamt ein denkmalgeschütztes Haus nach dem anderen zur Demolierung freigibt… man protestiert kaum noch hörbar … In einer derart bedrohlichen Phase müßte die ge meinsame Aktivität aller, der Öffentlichkeit und der Amtsstellen selbstverständlich, weil allein, wirksam sein. Sie scheiterte an der Tatsache, daß das Bundesdenkmalamt den Denkmalschutz offenbar nicht als res publica, sondern im Gegenteil als Amtsgeheimnis betrachtet… “

Aber auch Kurt Sedlmayr ließ es in seiner Erklärung zum „sogenannten Denkmalschutzjahr“ nicht an Deutlichkeit fehlen:

„Die bedenkenlose Niedertracht, mit der unersetzliche bauliche und landschaftliche Schönheiten Europas täglich vernichtet werden, ist unerträglich. Aber unerträglicher noch sind die Lauheit und Lüge, die ihr Vorschub leisten.“

Die Folgen dieser Haltung sind überall zu bemerken, am deutlichsten vielleicht in Krems. Sogar im innersten Stadtkern wurden unter Denkmalschutz stehende, städtebauliche Schlüsselstellen bildende Bauten abgerissen und durch maßstablose, verkitschte, „dem Altbestand angepaßte“ Neubauten ersetzt (Rathaus, Bürgerspital, Salzburgerhof). Viele Erdgeschosse wurden aufgerissen, die Fassaden darüber täuschen einen erhaltenen Bestand vor (Wernerhaus, Göschlhaus und andere). Wertvollste Bausubstanz wird durch Bauführungen in „angepaßter Form“ in den Proportionen verändert, aber Originalbestand vorgetäuscht (Margarethenstraße 12, Piaristengymnasium).

„Erneuerung“ scheinbar unbedeutender Bauten zerreißt die frühere Einheit durch Maßstablo- sigkeit (Frauenplatz, Sängerhof).

Das Schleifen von Einfriedungsmauern sprengt die Lebensräume (Dominikanerplatz, Körnermarkt, Dreifaltigkeitsplatz).

Das Gesetz zum Schutz der Altstadt setzt zwingende baupolizeiliche Vorschriften außer Kraft und erlaubt das hemmungslose Ausschlachten des Baugrundes zum Nachteil der Bausubstanz (Andreaskapelle, Piaristengymnasium).

Die „Erschließung“ so gut wie aller Lebensräume der Altstadt von Krems für den motorisierten Verkehr hat die Bausubstanz entscheidend zerstört, ohne die Verkehrslage zu verbessern (Dreifaltigkeitsplatz, Stöhrgasse, Ensembles Dachsberggase und Pollhammergasse). Genug der Beispiele. In der Tat: die Architektur ist ein unerbittlicher Spiegel.

Hofrat Dipl. Ing. Prodinger war vor seiner Pensionierung in der NO Landesregierung/ Abteilung für Bundeshochbau tätig.

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