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Propheten des Propheten

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Der verstorbene Karl-Kraus-Freund und -Herausgeber, hat einmal in einem Gespräch gesagt: „Es gibt dreihundertprozentige Kraus-Anhänger. Ich bin nur ein hundertprozentiger Kraus-Anhänger“.

Die Dreihundertprozentigkeit soll damit nicht abgewertet, der Anspruch des Absoluten darf nicht in Frage gestellt werden. Es muß für jede Lehre (und die Botschaft Kraus' ist eine Lehre) Streiter geben, um die Reinheit zu erhalten, unbeugsam, rücksichtslos, konsequent bis zur Selbstgefährdung.

Helmut Arntzen, Germanist der Universität in Münster, ist solch ein Prophet des Propheten „ohne Rücksicht auf Verluste“. Er begnügt sich nicht mit der Analyse und Exegese, er will am Beispiel Karl Kraus' die Gültigkeit seiner Botschaft für unsere Zeit erweisen. Im Sinne Karl Kraus' untersucht er die Reaktionen der Nachwelt auf Karl Kraus („Die Presse und Karl Kraus“), in seiner Wiener Rede „Karl Kraus und die Presse“, zum hundertsten Geburtstag in Wien gehalten, im Druck wesentlich erweitert, wendet er die Kultur- und Sprachkritik der „Fackel“ auf die Presse der Gegenwart, insbesondere das “Nachrichtenmagazin „Spiegel“ an. Beide Essays, liegen nun in einem Band vor.

Arntzens Arbeiten sind tempera- , mentvoll und engagiert. Er ist ein polemischer Schriftsteller erster Ordnung, ohne die Trockenheit des Akademikers, von dem er nur das umfassende Wissen in seine literarische Aktivität einbringt. Keiner, der nicht seihst dabei war, ist so extensiv und intensiv in der Welt der Themen Karl Kraus' zu Hause.

Arntzen nimmt das Totgeschwiegenwerden, dem Kraus ausgesetzt war, als Ausgangspunkt seiner Wiener Laudatio. Die totale Negation der Presse durch Karl Kraus muß seine Nichtexistenz in der Presse bedingen. Allein durch sein Dasein und Wirken als Satiriker werden Information und Freiheit der Presse ab absurdum geführt.

Arntzen geht dabei über das Erscheinen der „Fackel“ hinaus und bezieht sogar das Echo seiner Wiener Rede in den Antagonismus Kraus — Presse ein.

Die Publikation der beiden Essays ist verdienstvoll und wichtig. Sie erfolgt als Nummer eins der Karl-Kraus-Studien „Literatur und Presse“. Weitere Publikationen sind geplant.

(In Parenthese möchte ich auf eine etwas ältere, gleichfalls bedeutsame Kraus-Publikation hinweisen, die einer ausführlichen Würdigung wert wäre: Werner Kraft, Senior der Kraus-Forschung, hat „Das Ja des Neinsagers“ dargestellt, Kraus in kundiger Dokumentation als Bewunderer großer klassischer und Förderer junger Dichter vor dem Klischeevorwurf der totalen Negation in Schutz genommen.)

Helmut Arntzen weiß, aller Drei-hundertprozentigkeit ungeachtet: „Karl Kraus hat nichts Unfehlbares geschrieben, seine Sätze sind keineswegs durchgängig richtig noch immer makellos, nicht einmal grammatische Fehler sind bei ihm ausgeschlossen ...“ Aber es gehe darum, „mit diesem Werk zu arbeiten“.

Auch wer der „Lehre“ ferner steht und nicht „die Presse“ für alles Unheil unserer Zeit verantwortlich macht, wird durch jede Begegnung mit Karl Kraus, seinem Werk und seinem Geist, bereichert. Es tut gut, zu wissen, daß in Helmut Arntzen ein neuer Vermittler dieser Begegnung am Werk ist.

Er wird es — das ist ja sein Thema — mit dem Presse-Echo seiner neuen Reihe schwer haben. Drum sei sie hier aufrichtig und eindringlich gerühmt.

Hans Weigel

„KARL KRAUS UND DIE PRESSE.“ Von Helmut Arntzen. Karl-Kraus-Studien, Band 1. Wilhelm Fink Verlag, München.

„DAS JA DES NEINSAGERS — Karl Kraus und seine geistige Welt.“ Von Werner Kraft, edition text + kritik, München.

Zwei neue „Merian“

Der Hoffmann- und Campe-Verlag in Hamburg, der das verdienstvolle Unternehmen der Herausgabe der Merian-Hefte betreibt, hat wieder zwei Neuerscheinungen auf den Markt gebracht. Beide haben das Thema „Berg“ zum Inhalt. Das eine Mal die Stadt in den Bergen, nämlich Innsbruck, und das andere Mal das ^.Bergisdhe Land“, ein längliches grünes Geviert * im Nordwesten Deutschlands, gesäumt von den Industriestädten an Rhein und Ruhr. Angesichts der kommenden Olympiade wird natürlich das Heft über Innsbruck besonderes Interesse finden, und es ist gut, daß weite Kreise des deutschen Sprachraumes bereits jetzt mit den Schönheiten, der Geschichte und den Skurrilitäten dieser Stadt vertraut werden. Natürlich wird in dem Buch Maximilian I. ausführlich besprochen, ebenso der Krieg von 1809 wie auch die Kaiserjäger, Kaiserschützen und Standschützen. Aber auch Ludwig von Ficker, dieser große Philosoph, und Paul Flora, dieser große Karikaturist, werden in trefflichen Darstellungen skizziert. Der Olympiade wird natürlich gedacht und ebenso des Geschäftes mit dem Schnee, aber auch die Stätten, wo in Innsbruck Kurzweil geboten wird, werden aufgezählt. Ganz anders als diese Stadt, umgeben von Bergen, ist das „Bergische Land“, von dem nur wenige Menschen wissen, wo es eigentlich liegt. Es hat seinen Namen von den Grafen von Berg, die im 12. Jahrhundert dem Zisterzienserkloster Morimond eine Burgruine überließen, aus der das Kloster Altenberg entstand, heute noch der bedeutendste Sakralbau des Bergischen Lan-' des. Wer nicht weiß, wo das Bergische Land liegt, der wird aber sofort im Bilde sein, wenn die Stadl Solingen genannt wird, eine der wichtigsten Stahlstädte Deutschlands. Hier im Bergischen Land gib! es die älteste Talsperre Deutschlands, die höchste Eisenbahnbrücke Europas, wurde das erste nahtlose Stahlrohr der Welt in einer kleinen Fabrik in Remscheid gewalzt, rumpelt eine uralte Schwebebahn zwölf Meter über der Wupper dahin. Stahl und Kohle beherrschen das Land. Aber das will nicht heißen, daß es nicht auch schöne Landstriche besitzt, und das Heft ist ein Beweis dafür, daß nicht nur Rauch und Arbeit der Inhalt dieses Landes sind. Wie immer sind auch diese neuen „Merlan“ mit erlesenen Bildern ausgestattet und es freut sich der Liebhaber dieser Hefte, daß auch immer wieder bedeutende Schriftsteller, wie Friedrich Torberg, Otto F. Beer, Kristian Sotriffer, Hanne-Lore von Canitz und andere, ihre gewandte Feder diesen Heften zur Verfügung stellen.

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