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Proporzkarussell

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Nicht erst einer auf höchster politischer Ebene initiierten Reform des Rundfunks bedurfte es in der Bundesrepublik, um die Rundfunkanstalten wegen des parteipolitischen Einflusses auf sie ins Gerede zu bringen. Vielmehr hat eine schleichende Zunahme des Partcicneinflusses auf den Rundfunk begonnen, die nun bei verschiedenen Anlässen — vor allem bei der Besetzung von Intendanten- und anderen einflußreichen Posten — in alarmierender Weise evident wird.

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Nicht erst einer auf höchster politischer Ebene initiierten Reform des Rundfunks bedurfte es in der Bundesrepublik, um die Rundfunkanstalten wegen des parteipolitischen Einflusses auf sie ins Gerede zu bringen. Vielmehr hat eine schleichende Zunahme des Partcicneinflusses auf den Rundfunk begonnen, die nun bei verschiedenen Anlässen — vor allem bei der Besetzung von Intendanten- und anderen einflußreichen Posten — in alarmierender Weise evident wird.

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Jüngste Vorgänge um die Wahl eines Intendanten beim Norddeutschen Rundfunk CNDR) sowie Proporzabsprachen zwischen SPD und CDU für alle wichtigen personalpolitischen Entscheidungen im Rundfunkbereich haben bereits den Ruf nach den Verfassungsrichtern laut werden lassen. Die Konzeption des staatsunabhängigen Rundfunks, vom Bundesverfassungsgericht 1961 eindringlich ausgelegt („Die Anstalten sollten dem staatlichen Einfluß entzogen oder höchstens einer beschränkten staatlichen Rechtsaufsicht unterworfen sein“1), scheint gegenwärtig bereits völlig ausgehöhlt zu sein.

Die bundesdeutsche Rundfunklandschaft ist auf Grund des föderalistischen Prinzips so bunt, daß die Unterwerfung der Anstalten unter parteipolitischen Einfluß nicht so schlagartig zutage tritt, wie dies etwa bei einer ORF-Reform der Fall wäre. Immerhin trat ein maßgeblicher Konflikt zunächst in jenen Anstalten auf, in denen der Aufsichtsrat von den Parlamenten beschickt wird. Beim NDR standen sich CDU und SPD mit 4:4 pari gegenüber. Die fällige Wahl eines neuen Intendanten oder die Bestätigung des bisherigen SPD-Intendanten kam nicht zustande, da die CDU den Kandidaten der SPD und diese wiederum den der CDU ablehnte. Eine der größten bundesdeutschen Rundfunkanstalten steht daher jetzt ohne Intendanten da. Dabei versuchten die Parteien aus ihrer parteipolitischen Motivation ihrer Entscheidung im NDR-Aufsichtsrat gar kein Hehl zu machen.

Beim Westdeutschen Rundfunk (WRD), der reichsten und mächtigsten Anstalt mit dem Sitz in Köln, wo der Aufsichtsrat ebenfalls vom Landesparlament (in diesem Fall vom nordrhein-westfälischen) bestellt wird, wurde offen versucht, die Unabhängigkeit der Anstalt zu beseitigen. Die Gebührenerhöhung von DM 8.50 auf DM 10.50, der die Landtage zustimmen müssen, wird als Anlaß benützt, um eine direkte Kontrolle des Landtags über die Finanzen des WRD zu verlangen. Zwar haben der WRD selbst, aber auch die Kirchen für den Fall einer entsprechenden Novellierung des Rundfunkgesetzes eine Verfassungsbeschwerde angekündigt, doch kümmert das die Politiker vorerst wenig.

Sieht man von der betrüblichen Tatsache ab, daß damit ein gewaltiger Schritt zum staatshörigen Rundfunk getan werden würde, würde eine solche Novellierung auch eine Desavouierung der vom Landtag in den Verwaltungsrat entsandten Politiker bedeuten. Diese haben ohnedies bereits ein finanzielles Aufsichtsrecht. Doch genügt diese Kontrolle den Parteien offensichtlich noch nicht.

Auch die Rundfunkanstalten mit einem „ständisch“ zusammengesetzten Aufsichtsrat haben sich dem wachsenden Einfluß der Parteien nicht widersetzen können. Sie kranken ohnedies daran, daß ihre Zusammensetzung sehr umstritten ist Die Vertretung der „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ entspricht nicht mehr dem heutigen Sozialgefüge. Die Verbände entsenden statt Fachleuten Spitzenfunktionäre, die vor allem Verbandsinteressen im Auge haben, sofern sie nicht ohnedies an der Kandare einer Partei liegen. Das Zweite Deutsche Fernsehen mit seinem sehr differenziert nach ständischen Gesichtspunkten zusammengesetzten „Fernsehrat“ beweist es. Hier haben sich „Freundeskreise“ der CDU/CSU und der SPD gebildet. Somit hielt auch hier die parteipolitische Polarisierung offen ihren Einzug.

Kein Wunder, daß sich bei solch zunehmendem Einfluß der Parteien deutliche Folgen zu zeigen beginnen. Mindestens vom Hauptabteilungsleiter aufwärts wird nach der Parteizugehörigkeit gefragt. Aber auch darunter wird nicht nur nach fachlichen Kriterien ausgewählt.

Dieser Prozeß wurde durch den Wechsel von einer Unions-Regierung zur sozial-liberalen Koalition in Bonn wesentlich gefördert. Auf der einen Seite sah die SPD die Chance, bisherige CDU-Bastionen zu brechen. Die Besetzung des Deutschlandfunk-Aufsichtsrates etwa wurde zu einer sozial-liberalen Machtergreifung. Die CDU flog hinaus. Bei der Deutschen Welle, dem Kurzwellen-Auslandsender, wurden Polemiken gegen einige der noch von früher dicht mit CDU-Leuten besetzten Redaktionen eröffnet. Die CDU, die sich in den meist eher links ausgerichteten Redaktionen der Rundfunkanstalteri ohnedies unterrepräsentiert empfindet, versucht ihren Einfluß zu behaupten. SPD und FDP wiederum haben als neue Taktik die Methode gewählt, namhafte Politiker in die Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten zu entsenden. Daß dabei die verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit der Anstalten zur Farce wird, scheint die Politiker bislang wenig zu stören.

Sie können diese für die Hörer und Fernseher langsam zu einem bösen Spiel werdenden Taktiken ungestört fortsetzen, da sich CDU und SPD mehr oder weniger zu einer Machtaufteilung bereitgefunden haben. CDU-Vorsitzender Helmut Kühn, beide Ministerpräsidenten und führende Medienpolitiker ihrer Parteien, haben sich darauf geeinigt, wie bei den demnächst freiwerdenden Spitzenposten in den Rundfunkanstalten der Proporz gewahrt werden soll. Noch hat dieser bekanntgewordene informelle Teilungsver-trag nur in Fachkreisen Bestürzung ausgelöst. Er bedeutet nicht nur einen bedenklichen Postenschacher unter parteipolitischen Aspekten, sondern auch eine bedrohliche Machtfülle in den Händen von nur zwei Politikern.

Langsam beginnen jedoch auch die Hörer und Fernseher aufmerksam zu werden. Denn schon werden unter dem massiven parteipolitischen Druck so manche Kommentare in Hörfunk und Fernsehen blasser, so manche Sendung ist bis zur Langeweile ausgewogen. Manche Sendung erreicht unter dubiosem Vorwand gar nicht mehr den Empfänger. Schon fiel von einem führenden Vertreter der evangelischen Kirche offen das Wort vom „parteigebundenen Journalismus“, der sich in den Rundfunkanstalten der Bundesrepublik breit mache. Da zahlreiche Sendungen in der Bundesrepublik aber bisher weit extremere Positionen vertraten als dies etwa beim ORF der Fall ist (die Skala der politischen Magazine reicht etwa vom rechten „ZDF-Magazin“ über den CSU-„Re-port München“ und den CDU-„Re-port Baden“ bis hin zum links-libe-ralen „Monitor“ und zum SPD-„Pa-, norama“), herrscht vorläufig noch nicht Hofberichterstattung oder Langeweile. Eine Veränderung der Berichterstattung, bedingt durch den Einfluß der Parteien, ist aber un-überseh- und unüberhörbar.

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