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Protektionismus, wohin man schaut

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Das hohe Lied vom freien Welthandel ist derzeit der bekannteste Hit in allen Sonntags- oder ähnlichen Reden. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht gemahnt wird, daß ohne Freihandel auch kein Wohlstand möglich sei. Auf jedem Wirtschaftsgipfel, in jeder Hauptversammlung und in jeder Messeeröffnungsrede wird der Protektionismus an den Pranger gestellt! Kein Zweifel: Der freie Welthandel wird derzeit mehr denn je eingeengt.

Es gibt zur Zeit kaum ein Industrieland, das nicht versucht, mit allen Mitteln die eigenen Grenzen gegen den „Druck von draußen“ abzuschotten. Fast überall werden Handelsbar-

rieren erdacht und auch eingeführt. Selbst die Entwicklungsländer sind neuerdings kaum frei von Sünden. Und Österreich macht da ebenfalls keine Ausnahme.

Auf die Anklagebank gehören viele, wenn nicht alle! So beschränkte Amerika beispielsweise seine Stahlimporte, und Australien sagte zu Autos einschließlich Zubehör „Nein“. Und auch die allgewaltige EG ersann nach einigem Nachdenken Möglichkeiten, wie man so mancher unerwünschten Konkurrenz das Leben erschweren kann. Der Agrarmarkt dominiert dabei vielleicht zurecht.

Erlaubt sei jedoch die Frage, warum es da so plötzlich im Industriebereich Mengenbeschränkungen, sogenannte Dumpingzölle und so viele Subventionen und Ausfuhr-garantieen gibt?

Da wird geschimpft, wenn ein Land wie Österreich versucht, seine Stahlindustrie zu schützen, doch selbst versucht man mit einem gewaltigen Krisenprogramm die eigene Stahl-Haut zu retten. Immer nach dem Motto: „Wenn du deine Grenze zumachst, dann ist das verwerflich. Wenn ich das mache, notwendig!“

Die Stahlindustrie ist aber nicht die berühmte Ausnahme von der Regel. Nein! Die europäische, sprich EG-

Textilindustrie ist derzeit auch nicht gerade zimperlich. Da werden die Kontingente an Hemden, Socken und Unterhosen jeweils schön säuberlich vorgeschrieben und überwacht. Aber auch die an Blumen und die an Schuhen und die an Kugellagern und so weiter und so weiter.

Alles, was sich gut verkaufen läßt, wird ohne viel Federlesen für den Import verboten. Der eigene Export jedoch soll weiter florieren.

Der Ruf nach noch mehr Schutz wird täglich lauter. Die verschiedenen Branchen stehen Schlange, um ebenfalls mit aufgenommen zu werden in den sogenannten Club der zu Schützenden. Die Optiker rufen

ebenso laut wie die Uhrmacher oder die Ziegelkocher, die Bierbrauer oder die Bäcker. Für sie alle ist im Herbst 1978 der freie Welthandel nur noch Gegner und nicht mehr Freund.

Es wäre natürlich falsch, nur den Europäern den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen. Die Japaner sind auch nicht gerade kleinlich. Ebenso die Ostblockstaaten wie die Entwicklungsländer. Derzeit kämpft halt jeder gegen jeden, wobei sich besonders die, die an der vordersten Front „kämpfen“, bisher am lautesten als die Befürworter des Freihandels hervortaten.

Als etwa in Tokio die GATT tagte, da wurden alleine ihr mehr als 800 Verstöße vorgeworfen. Daraufhin versprachen natürlich alle Beteiligten, sich zu bessern. Man erstellte auch flugs einen herrlichen Absichtskatalog, der jedoch beim näheren Durchlesen kaum Erfolg auf Besserung ernsthaft versprechen läßt.

Auch Österreich verdankt dem freien Welthandel seinen derzeitigen Wohlstand. Aber jetzt wird die Lage

permanent kritischer. Die Auftragsbücher sind dünner geworden. Unser Wein wird sauer, und unsere Stahlbleche beginnen zu rosten. Hinzu kommen Währungsprobleme.

Laut rufen unsere Politiker nach wirtschaftlicher Freiheit. Sie klagen den Protektionismus an, aber, o welcher Hohn, sie machen auch selbst die eigenen Grenzen dicht. Wir wollen nicht das Bier aus Bayern und auch nicht die Pfirsiche aus Kalifornien!

Zuerst einmal muß man verhandeln können. Heute müssen auch Politiker lernen, zu verkaufen. Natürlich können wir nicht hinnehmen, wenn unser Land- um ein Beispiel zu nennen - geradezu mit Billigtextilien überschwemmt wird. Nur: Es ist keine Lösung, wenn man einfach nur versucht, mit Kontingenten dem angeblichen Übel Einhalt zu gebieten.

Wenn der Verbraucher die billigen Hemden will, dann soll man sie ihm auch geben. Vor allen Dingen dann, wenn man, einfach auf Grund der Wirtschaftsstruktur dieses Landes, selbst nicht in der Lage ist, diese Kaufwünsche zu erfüllen.

Entscheidend für unsere Gesamtwirtschaft ist, was unsere Politiker unternehmen, um die Lieferanten dieser Produkte auch zu verpflichten, unsere eigenen spezifischen Produkte abzunehmen.

Sollte der freie Welthandel einmal zum Erliegen kommen, dann wäre das für Österreich weit mehr als eine furchtbare Katastrophe. Das wissen alle. Läßt sich nämlich der Protektionismus nicht eindämmen, dann ist es vorbei mit den so wichtigen Zuwachsraten und mit dem Wohlstand.

Der freie Welthandel ist kein Selbstzweck. Er ist, einfach gesagt, die absolut notwendige Basis für unsere Freiheit und unser aller Wohlstand.

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