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Protokoll meiner Verfolgung

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Aus der Behandlung des CSSR-Schriftstellers und Charta-77'-Unterzeichners Vaclav Havel läßt sich der Schluß ziehen, daß in der CSSR für Andersdenkende die Menschenrechte abgeschafft sind, und anderseits, daß dieser Staat große Angst vor Andersdenkenden haben muß. Was wir auf dieser Seite abdrucken, ist das erschütternde Protokoll der Verfolgung eines Menschen, dessen einziges Verbrechen darin besteht, seine Meinung zu sagen und seinen Meinungen nicht abzuschwören. Dieses Manuskript ist mit 6. Jänner 1979 datiert und erreichte uns auf Umwegen. In der Zwischenzeit hat sich Havels Situation weiter verschärft. Der 44 Jahre alte Schriftsteller lebt in einem abgelegenen Dorf, und seine Bitte, zum nächsten, neun Kilometer entfernten Brotladen gehen zu dürfen, wurde mit dem Angebot, er könne einen Sarg haben, beantwortet. Havels Anwalt, der einzige, der sich noch für Charta-77-Unterzeichner einsetzte, wurde aus der Anwaltskammer ausgestoßen und mit Berufsverbot belegt. Auch Bundespräsident Kirchschläger setzte sich in Prag vergeblich für Havel ein.

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Aus der Behandlung des CSSR-Schriftstellers und Charta-77'-Unterzeichners Vaclav Havel läßt sich der Schluß ziehen, daß in der CSSR für Andersdenkende die Menschenrechte abgeschafft sind, und anderseits, daß dieser Staat große Angst vor Andersdenkenden haben muß. Was wir auf dieser Seite abdrucken, ist das erschütternde Protokoll der Verfolgung eines Menschen, dessen einziges Verbrechen darin besteht, seine Meinung zu sagen und seinen Meinungen nicht abzuschwören. Dieses Manuskript ist mit 6. Jänner 1979 datiert und erreichte uns auf Umwegen. In der Zwischenzeit hat sich Havels Situation weiter verschärft. Der 44 Jahre alte Schriftsteller lebt in einem abgelegenen Dorf, und seine Bitte, zum nächsten, neun Kilometer entfernten Brotladen gehen zu dürfen, wurde mit dem Angebot, er könne einen Sarg haben, beantwortet. Havels Anwalt, der einzige, der sich noch für Charta-77-Unterzeichner einsetzte, wurde aus der Anwaltskammer ausgestoßen und mit Berufsverbot belegt. Auch Bundespräsident Kirchschläger setzte sich in Prag vergeblich für Havel ein.

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Ich bin seit 5. August 1978 unter ständiger und offener polizeilicher Aufsicht, welche in verschiedenen Zeiträumen verschiedene Formen aufwies, wobei die Änderungen, denen meine Aufsicht unterworfen war, eine Grundlinie der steigenden Verstärkung verraten.

Seit 5. August bis zum Ende des Monats stand bei der Hauseinfahrt unseres Hauses in Hrä-decek und Vlcic, wo ich mich hauptsächlich aufhalte, ununterbrochen ein Polizeiauto mit zwei uniformierten Angehörigen der Staatssicherheit, die sich in achtstündigen Schichten abwechselten. Es handelt sich um ein einsam stehendes Haus. Den ganzen Monat über war die Straße, die um das Haus führt, von einer Seite durch eine Barrikade aus Schotter versperrt und auf der anderen Seite erschien ein Schild „Einfahrt verboten“: von dieser Seite her war es möglich, zu uns zu kommen. Ende des Monats verschwanden plötzlich Barrikade und Schild. Die Angehörigen der Staatssicherheit beschäftigten sich mit folgendem: Sie kontrollierten die vorbeifahrenden Autos (es waren aber auf Grund der erwähnten Maßnahmen nur wenige), verhängten Geldstrafen und zogen manchmal die Führerscheine und technischen Berechtigungsausweise ein.

Wenn ein Auto direkt zu uns fuhr, wurde die Kontrolle verschärft und meinen Gästen wurde mitgeteilt, daß sie zu uns „auf eigene Gefahr“ gehen. Ich fragte sie zweimal, welche Gefahr in meinem Haus drohe (auf diese Information hatte ich, vermutlich, ein Recht), es wurde mir aber mitgeteilt, daß die Angehörigen der Staatssicherheit nicht die Weisung erhalten haben, die drohende Gefahr konkret zu benennen.

Ausweisen mußten sich auch Besucher, die zu Fuß kamen, und auch sie wurden gewarnt.

Wenn ich selbst mit dem Wagen unterwegs war, fuhr ein Polizeiauto ständig hinter mir her. Wenn ich zu Fuß war, einkaufen oder etwas erledigen, ging knapp hinter oder neben mir ein Polizist mit einem Sender und bemühte sich, alles mitzubekommen, was ich sagte; alle Personen, die sich länger mit mir unterhielten, mußten sich ausweisen. Er blickte mir über die Schulter, wenn ich Briefe abschickte, hörte neben der Telefonzelle zu, wenn ich telefonierte und ähnliches mehr.

Im September und im Oktober wurde die Bewachung gelockert: An den Wochentagen wurde nur untertags bewacht, die ständige Bewachung erfolgte zumeist nur an den Wochenenden. An manchen Tagen wurde ich gar nicht bewacht.

Am Abend . des 6. November wurde ich mit der Funktion des Sprechers der Charta 77 betraut. Ich hielt mich in Prag auf und stellte gleich am nächsten Tag in der Früh fest, daß ich von der „Operative“ verfolgt wurde. Diese „Operative“ ist ein gut bekanntes und genügend erforschtes Phänomen. Bekanntlich würden zu verschiedenen Zeiten Dr. Hajek, Dr. Hejdanek, Dr. Mlynär und am längsten Petr Uhl von ihr verfolgt. Ich beschränke mich auf grundsätzliche Fakten:

• Es geht um drei Männer in Zivil mit einem Wagen (Type 603).

• Wenn ich zu Hause bin, sitzen sie im Auto und blicken auf die Tür.

• Wenn ich mit dem Wagen wegfahre, folgen sie mir und bleiben vor dem Haus stehen, in das ich eintrete (ohne Rücksicht auf Verkehrszeichen), sie bewachen das Haus, manchmal streifen sie im Stiegenhaus herum.

• Wenn ich in der Stadt zu Fuß gehe, mit der Straßenbahn oder U-Bahn fahre, gehen zwei von ihnen ständig mit mir, der dritte fährt mit dem Wagen langsam hinter uns her. Alle sind durch Sender in Verbindung.

• Sie besuchen Gasthäuser, Restaurants und Bars zusammen mit mir, sitzen allerdings an einem anderen Tisch. Sogar in der Sauna schwitzen sie mit mir. Sie dringen aber nicht in Privatwohnungen ein.

• Alle Personen, die sich mit mir treffen, müssen sich ausweisen, falls nicht der Betreffende oder ich seinen Namen verraten, um von der öffentlichen Perlustrierung verschont zu werden.

• Manchmal werden Personen, mit denen ich spreche, photographiert.

• Wenn ich mich in Hrädecek aufhalte, befinde ich mich unter der Aufsicht von uniformierten Angehörigen der Staatssicherheit, wie in der ersten Phase im August.

Am 7. Dezember 1978 fing die vierte Phase an. Zusätzlich zu der Operative vor der Tür zu unserer Prager Wohnung tauchten im Mezzanin zwei uniformierte Polizisten mit einem Tischchen und zwei Stühlen und einem Sender auf. Auch das ist eine wohlbekannte Erscheinung vor den Wohnungstüren mancher Freunde. In meinem Fall unterschied sich die Bewachung von der üblichen Form dadurch, daß die Polizisten grundsätzlich niemanden hineinließen, obwohl sich die Besucher ausweisen mußten, und auf der anderen Seite ließen sie mich nicht heraus, am Anfang nicht einmal meine Frau.

Nur einmal ließen sie mich hinaus, ich weiß nicht, ob irrtümlich oder absichtlich. Bald darauf wurde ich in der Wohnung meines Vaters verhaftet, nach Hause gebracht und interniert.

Das Besondere dieser Phase war, daß einer der Türpolizisten zu uns grob war: Er läutete plötzlich an und sagte: „Heute wirst du so verhauen, daß du in die Hose machst, du Rindvieh!“ Seit diesem Vorfall öffnete ich nicht die Tür und ließ meine Frau nicht hinaus, wenn ich mir nicht der Anwesenheit von Zivilzeugen sicher war. Der betreffende Polizist traute sich derlei nur in Anwesenheit seines Kollegen, aber niemals vor einer Zivilperson.

Nach drei Tagen, am 9. Dezember, habe ich mich mit meiner Frau entschieden, nach Hrädecek zurückzukehren. Seit diesem Tag dauert die fünfte Phase der Bewachung an. Am Anfang schien sie der zweiten Phase ähnlich, aber am 28. Dezember 1978 wurde die Vielfalt der Bewachungsformen um eine neue bereichert: Direkt gegenüber unserem Haus wurde ein Wachhäuschen in der Art eines Pfahlbaues errichtet. Das Polizeiauto steht auf seinem üblichen Platz, aber die Polizisten halten sich in diesem Gebilde auf, von wo sie die Zufahrtswege zu unserem Haus beobachten. Manchmal haben sie Tag und Nacht ununterbrochen Dienst (zum Beispiel zu Feiertagen), manchmal nur von 8 bis 17 Uhr. Zeitweise steigt die Zahl der Bewacher, wobei sich manche in den umliegenden Wäldern aufhalten.

• Sie lassen niemanden in unser Haus.

• Mich lassen sie nur einkaufen, eventuell auf die Post gehen, Ausflüge und Besuche sind nicht erlaubt. Manchmal erlauben sie mir Spaziergänge, dann wieder nicht. Jedesmal muß ich durch den Funk den Operationsoffizier in Trutnov fragen, und dieser wiederum muß bei der Landesstelle der Staatssicherheit in Hrä-dec Krälove telefonisch anfragen. Manchmal erlauben sie mir nur einen Spaziergang rund um das Haus, ein andermal teilen sie mir mit, daß ich eine Fußwanderung im Umkreis von 10 Kilometer unternehmen darf.

• Bei dem allen folgen sie mir zu Fuß oder, wenn ich auf der Straße gehe, langsam mit dem Wagen. • Manchmal, besonders bei verstärkter Bewachung, gehen sie um unser Haus herum (auf unserem Privatgrundstück), schauen in die Fenster hinein und stehen so beim Haus, daß ihnen nichts entgehen kann.

In meiner Bewachung wechseln sich nunmehr, in einer 7. Phase, anscheinend die Angehörigen der Staatssicherheit des ganzen Bezirkes ab, weil immer neue Gesichter auftauchen. Bis auf wenige Ausnahmen zeichnen sie sich durch extremen Eifer aus, verhalten sich aber im Rahmen ihres absurden Auftrags ganz korrekt. Sie bemühen sich auch während meiner Bewachung in Trutnov, wo ich meine Einkäufe mache, mit mir in ein freundliches Gespräch zu kommen, damit das Ganze so aussieht, als würden zwei Bekannte miteinander auf der Straße gehen, nur daß der eine uniformiert ist und der andere nicht.

Obwohl die Staatssicherheit unter ihren vielen Zweigstellen auch eine in Trutnov hat, scheint mir, daß meine Bewachung und die weiteren polizeilichen Aktionen gegen meine Person direkt von der Landesstelle in Hrädec Krälove geleitet werden. Dieverschieden-artigen Unternehmungen, die sich in den letzten Jahren gegen mich richteten, könnten nun ein mittleres Buch füllen.

Zunächst erfolgte an meinem jetzigen Wohnort die Anbringung eines koaxialen Kabels. Es führt 10 Zentimeter unter der Erde von einem etwa 2 Kilometer von unserem Haus stehenden Wohnwagen bis zu einem Gebäude, von dem aus man gute Aussicht auf unser Haus hat. Außer Ton kann dieses Kabel auch Bild übertragen. Waldarbeiter entdeckten es bei der Arbeit. Sie wurden sofort an das andere Ende unseres Bezirkes versetzt und alle Waldarbeiten in der Nähe unseres Hauses wurden eingestellt.

Die zweite Aktion war eine Serie von Verhören, bei welchen die in der Nähe wohnenden Menschen gezwungen wurden, jeglichen Kontakt mit uns abzubrechen, einschließlich Gewährung und Annahme üblicher bürgerlicher und menschlicher Hilfe in Krisensituationen. Es ist allgemein bekannt, daß in den Bergen diesbezüglich eine andere Moral herrscht als im Flachland. Die Menschen hier helfen einander und kommen ohne diese gegenseitige Hilfe gar nicht aus, sie haben das sozusagen im Blut.

Hilfe uns gegenüber wird verboten, noch dazu mit perfiden Drohungen, wie etwa, daß die Kinder sonst nicht in die Schule gehen dürfen.

Parallel zu der erhöhten Aufmerksamkeit, die von der Polizei meiner Person entgegengebracht wird, verstärkt sich auch die Tätigkeit von unbekannten Tätern (UT). Noch während meines Hausarrestes in Prag (vierte Phase) haben mir die UT die Autoreifen durchstochen und die Windschutzscheibe meines Wagens zerschlagen. Die Art, wie mein Auto beschädigt wurde, verrät lange, konzentrierte und durch keinerlei Eile gestörte Arbeit. Die UT haben mein Auto unter Dutzenden anderen in der Nähe des Hauses von Pavel Landovsky gefunden, er hatte es dort geparkt, nachdem er aus Hrädec Krälove zurückgekehrt ist, wohin er den Verteidiger von Jaroslav Sa-bata gebracht hatte. Andere UT durchschnitten regelmäßig im Keller des Hauses, in dem wir in Prag wohnten, die Zuleitung zu unserem Telefon (was allerdings sogar ich reparieren konnte).

Weit mehr Erfindergeist verraten Aktionen der UT in unserem Landhaus. Als wir nach einer dreitägigen Abwesenheit zurückkehrten, funktionierten Zentralheizung, Wasserleitung, Abfluß nicht mehr, alles Einrichtungen, ohne die man im Winter nicht leben kann und die sonst immer unabhängig von der Dauer unserer Abwesenheit funktionierten. Ich betrachtete das alles als unglücklichen Zufall, als ich aber meine Ansicht gegenüber Fachleuten äußerte, nannten sie mich verrückt: kein Zufall kann die Kontakte an der Zündung beim Boiler abzwicken, kein Zufall kann die Pumpe mit Wolle zustopfen (im Brunnen befindet sich ein Filter, der nichts Festes in die Leitung hineinläßt!), noch weniger ist es wahrscheinlich, daß sich die Abflußrohre der Badewanne, des Waschbeckens und der Spüle auf einmal ganz von selbst mit Harz zustopfen, und zwar so dicht und fest, daß man es nur durch Ausstemmen und Auswechseln der Rohre reparieren kann.

Ich mußte also zugeben, daß dabei die UT die Finger im Spiel haben, wobei sie einen Schlüssel unseres Hauses zur Verfügung haben, denn davon zeugen die früheren Besuche. Das Auswechseln des Schlosses hat keinen Sinn, da es für die UT kein Problem ist, sich den Abdruck des neuen Schlosses zu besorgen oder sich einer so scharfsinnigen Erfindung wie des Dietrichs zu bedienen. Solche Dinge müssen für sie eine Spielerei sein, wenn ich daran denke, daß es ihnen vor zwei Jahren gelungen ist, aus meiner Korrespondenz einen einzigen Tag im Herbst zu ermitteln, an dem ich garantiert nicht da bin, am selben Tage besuchten sie nämlich mein Haus.

Ich muß sicher nicht betonen, daß die Reparatur solcher Schäden in unserem Haus nicht einfach ist, wenn niemand zu uns darf und jeder Angst hat, zu uns zu kommen, und zudem ganz Europa von einer Kältewelle betroffen ist.

Ich beschreibe all diese Dinge nicht deswegen so ausführlich, weil ich sie als so wichtig,ansehe oder weil ich daran unerträglich leiden würde. Schon gar nicht deswegen, weil ich sie als schlimmer als das, was vielen Mitbürgern, sei es in Freiheit oder im Gefängnis passiert, betrachte.

Ich schreibe, weil ich dazu von Freunden aufgefordert worden bin. Zu einer solchen Aufforderung führte sie einerseits das Interesse, was mit mir nun passiert, und anderseits die Ansicht, daß auch meine Schikanen die allgemeine Situation illustrieren und daher nicht verheimlicht werden sollten.

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