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Prozeß mit unappetitlicher Dimension

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Der mittelgroße, etwas füllige, unauffällige Mann auf der Anklagebank wirkt zuvorkommend, beflissen, etwas untertänig, wenn er den Zeugenstand betritt und seine Aussagen deponiert. Aber er gibt Ungeheuerlichkeiten von sich.

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Der mittelgroße, etwas füllige, unauffällige Mann auf der Anklagebank wirkt zuvorkommend, beflissen, etwas untertänig, wenn er den Zeugenstand betritt und seine Aussagen deponiert. Aber er gibt Ungeheuerlichkeiten von sich.

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Wie man überhaupt dazu komme, ein so harmloses Wort wie das von der Sonderbehandlung (in der NS-Zeit ein Todesurteil) als Synonym für Mord zu deuten, so der Fünfzigjährige sinngemäß. Es gebe soviele Wörter mit „Sonder..." Einige fallen ihm ein. Zuletzt sogar die Sonderanstalt für resozialisierungsfähige Häftlinge auf dem Wiener Mittersteig, in der doch auch niemand ermordet werde.

Gerd Honsik ist wegen Wiederbetätigung im Sinne der verbotenen NSDAP angeklagt - ein Vorwurf, der zu seinem Markenzeichen geworden ist. Corpus delicti: Sein Buch „Freispruch für Hitler?" Er spricht Hitler von der Verantwortung für die Gaskammern frei und leugnet deren Existenz. Honsik verbreitet nur, was in der neonazistischen Szene den Charaktereiner Sprachregelung angenommen hat:

Gaskammern habe es nicht gegeben. Wenn es welche gegeben habe, dann nur zur Desinfektion von Kleidung. In Auschwitz sei man an Krankheiten gestorben, allenfalls an Seuchen. Vergasungen seien schon deshalb auszuschließen, weil man gär nicht in der Lage gewesen sei, die Leichen zu beseitigen. Der Direktor eines kanadischen Krematoriums habe festgestellt, daß die Kapazität der Öfen keinesfalls ausgereicht habe.

Der Anlaß ist so bedeutend wie vieles, was Neonazis in den letzten Jahren geschrieben haben. Was dem Prozeß die Bedeutung verschafft, ist das bei Universitätsprofessor Gerhard Jagschitz in Auftrag gegebene Gutachten, dessen Ausarbeitung über vier Jahre in Anspruch nahm.

Mancher war der Meinung, das jedem Maturanten vermittelte Minimum an zeitgeschichtlicher Bildung müßte als Basis für eine Verurteilung genügen, da Honsik den Massenmord leugnet, der Nachweis einer solchen Leugnung aber seit der Verbotsgesetz-Novelle 1992 für die Verurteilung nach § 3h des Verbotsgesetzes genügt. Der Fall wurde aber Anlaß für ein Gutachten, das jedem Auschwitz-Leugner die Möglichkeit nehmen soll, sich auf die Uberzeugung, es habe keine Gaskammern gegeben, zu berufen, und das jedem einschlägig Verurteilten die Möglichkeit nehmen wird, sich außerhalb der engeren Neonazi-Szene als Märtyrer für die „Wahrheit" aufzuspielen: Honsik bezeichnet sich als Opfer.

Tatsächlich ist für manche junge Menschen, die von Neonazis als Ansprechpartner mißbraucht werden können, Auschwitz nicht mehr Synonym für Grauen, sondern historischer Stoff, an dem man gerade wegen der Entsetzlichkeit sein Urteilsvermögen erproben und kritisch rütteln kann. Das gilt auch für einen Teil der Lehrer. Das Jagschitz-Gutachten wird, wenn es jungen Leuten im Unterricht unvoreingenommen vermittelt wird, deren Urteil standhalten. Es kommt kritischen Köpfen entgegen. Es stellt beispielsweise klar, daß die Bauten von Auschwitz nach dem Krieg zum Teil Ruinen, zum Teil zerstört waren und Teile der Gedenkstätten legitimerweise, aber nicht immer richtig, rekonstruiert wurden.

Honsik und sein Verteidiger Schal -ler machen denn auch nicht den Eindruck, um einen Freispruch, sondern um einen besseren Ausgangspunkt für künftige neue Demagogie zu kämpfen. Dies erklärt, warum sie gerade das Dokument verbissen bekämpfen, in dem nach Berlin gemeldet wird, Auschwitz habe nun die volle Leistung der Krematorien - 4.756 Personen täglich - erreicht (siehe Faksimile).

Auch der, Verteidiger gibt Ungeheuerlichkeiten von sich. Er möchte festgestellt wissen, sämtliche Zeugenaussagen im Frankfurter Auschwitz-Prozeß der sechziger Jahre „betreffend den Vergasungsvorgang" seien falsch, weil „im offenen Widerspruch zu den naturwissenschaftlichen Eigenschaften des Zyklon B", des für den Massenmord an den Juden eingesetzten Blausäure-Präparats.

Er identifiziert sich unverblümt mit den Ideen seines Mandanten. Jede Frage wird, um lange Ausführungen bereichert, mehrmals gestellt. Viertelstunden vergehen über der Erörterung der Länge des Todeskampfes in den Gaskammern. Der Zeit, die verstreichen mußte, bis sie geöffnet wurden. Der Frage, ob die Verbrennungskommandos Gasmasken trugen. Das gibt dem Prozeß die unappetitliche Dimension. Aber das muß durchgestanden werden.

Das Gutachten wird keinen standhaften Alt- oder Neonazi überzeugen, es ihnen aber hoffentlich schwerer machen, junge Menschen zu verführen - und den Gerichten es leichter, sie zu verurteilen.

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