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Prüfstein Kollegialität
Wie steht es ein Viertel] ahrhun-dert nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils?
Viele sind nach den Ereignissen, die zur Kölner Theologen-Erklärung geführt haben, und noch mehr nach der Instruktion der Glaubenskongregation vom 24. Mai 1990 über die Berufung der Theologen, die jeden offen geäußerten Dissens gegenüber fehlbaren Lehren der Glaubensbehörde verbietet und einen solchen Dissens, auch wenn er maßvoll ist, als Aufruhr gegen das Lehramt brandmarken möchte, sehr zu Pessimismus geneigt.
Das ist umso verständlicher, wenn man bedenkt, daß die Glaubenskongregation es dabei nicht einmal der Mühe wert findet, sich auseinanderzusetzen mit dem, was das Konzil dazu gesagt hat. Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute hat im Blick auf die Sendung der Christen, Salz der Erde zu sein, nachdrücklich erklärt: Dazu „muß aber den Gläubigen, Klerikern wie Laien, die entsprechende Freiheit des Forschens, des Denkens sowie demütiger und zugleich freimütiger Meinungsäußerung anerkannt werden in allen Bereichen ihrer Zuständigkeit" (N. 62).
Fragen wir nach der Annahme des Konzils, so müssen wir sauber unterscheiden zwischen Rezeption in der Römischen Kurie, Rezeption in der Weltkirche und auch in großen Teilen der von Rom getrennten Christenheit.
Im Vatikan haben die vom Konzil inaugurierten Sekretariate beziehungsweise „Räte", wie sie nun heißen, allen voran der Rat für Fragen der Einheit der Christenheit und der Rat für Gerechtigkeit und Frieden, bis zur Stunde unentwegt im Sinn und in der Dynamik des Konzils gedacht und gehandelt. Die Gruppe dagegen, deren Spitze die Glaubenskongregation ist, nimmt das Konzil weithin nur in dem Sinne wirklich an, als die an die Minderheit gemachten Konzessionen des Konzils nun zum Haupttext und Schlüssel gemacht werden.
In der Weltkirche dagegen, und zwar nicht nur bei der großen Mehrheit der Theologen, wird das Neue, das vom Konzil klar als Hauptsache beschlossen wurde, als Schlüssel für Interpretation und Rezeption angesehen.
Fragen wir uns nun: Was waren die Hauptanliegen des Konzils? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich folgende sechs Punkte:
1. Die radikale Rückbesinnung auf das Wort Gottes (Heilige Schrift) und die breite, tiefgründige Tradition der gesamten Christenheit und Befreiung von zeitbedingten kon-fessionalistischen Verengungen. Vor allem die Konstitution „Dei Verbum" und die Liturgiereform bedeuten eine eindeutige Hinwendung zum Wort Gottes. Dies wurde von der Gesamtkirche, von fast allen Lokalkirchen begeistert und dankbar aufgenommen. Dadurch wurden auch die tiefsten Gräben gegenüber den reformatorischen Kirchen zugedeckt oder doch entscheidend überbrückt. Die christlichen Kirchen dienen heute gemeinsam der Auslegung, Übersetzung und Verbreitung der Heiligen Schrift. Schriftlesung und Bibelbetrachtung gehören zum Leben der Gläubigen auch in unserer Kirche. Das hat große Bedeutung für die erhoffte volle Durchsetzung des Konzils in allen Kernfragen.
2. Der entschlossene Einstieg der katholischen Kirche in den Oku-menismus, er entspricht dem Herzensanliegen Jesu, „daß alle eins seien" (Joh 17),Er ist von der Glaubenskongregation nur sehr lau aufgenommen worden und in der Dringlichkeit kaum verstanden. Von dort wird auch in Zukunft die Wiedervereinigung der Christenheit ernste Hindernisse finden. Doch sie werden wohl nicht unüberwindlich sein, da das Anliegen von den Ortskirchen, von den Theologen und den engagierten Gläubigen leidenschaftlich angeeignet ist.
3. Die Kollegialität der Kirchenverfassung, ohne deren Verwirklichung eine Versöhnung der Kirchen und die ökumenische Annahme des Petrusdienstes der Päpste undenkbar ist. Die Äußerung von Papst Johannes Paul I. zeigt den Grad der Rezeption an: „Ich habe nicht im Sinn, die Autonomie und Autorität der örtlichen Episkopate zu stören oder zu mindern. Als der ältere Bruder der Bischöfe schulde ich ihnen große Ehrfurcht. Die Kollegialität zwischen Papst und Bischöfen wird zum Prüfstein und Siegel der Katholizität" (Camillo Bassoto, II mio cuore e ancora a Venezia, 1990, S 127).
Sicher hätte er mit diesem klaren Programm, zu dem er auch eine „permanente Synode von Bischöfen" rechnete, in der Kurie zähen Widerstand gefunden, aber er hätte, wenn er länger gelebt hätte, sicher die Unterstützung der Ortskirchen, der Bischofskonferenzen und des Großteils der Gläubigen gehabt. Die getrennten Kirchen stehen ganz zu dieser Reform der katholischen Kirche, beobachten jedoch sehr kritisch Tendenzen im Vatikan, die eindeutig den Intentionen der Minorität des Konzils entsprechen. In dieser Frage steht Rom vor äußerst wachsamen Augen der ganzen Christenheit.
4. Ein Zentralanliegen des Konzils war das erneuerte Kirchenverständnis, als Volk Gottes, als Pilgervolk, als communio der Liebe. Dazu gehört unabdinglich eine Deklerikalisierung. Unvereinbar ist die neuerdings wieder auftauchende Sicht der Kirche als einer Festung mit allen fertigen Schätzen der Wahrheit, die gegen die Welt und die bösen Theologen mit allen Mitteln verteidigt werden muß. Es werden sich wenig taugliche „Soldaten" finden, die bereit wären, dieses Ghetto-Spiel mitzutun.
5. Die Kirche des Konzils hat ihr Verhältnis zur Welt neu durchdacht: einerseits eine entschiedene Solidarität mit der Welt der Armen, Unterdrückten, mit dem besten an Kultur, ein positives Verhältnis zur Geschichte, in der wir die „ Zeichen (der Gegenwart Gottes" entziffern. Anderseits aber setzt sich das Konzil radikal ab von jener „gottlosen Welt", die Gott sagt und Mammon meint. Am dichtesten sieht die Kirche des Konzils die „gottlose Welt" in Menschen, die Religion als Mittel ihrer Vormacht mißbrauchen, besonders, wenn dies auch auf kirchliche Amtsträger zutrifft.
Die Befreiungstheologie hat diese beiden Anliegen fruchtbar aufgegriffen, und entlarvt prophetisch allen Mißbrauch der Religion zum Schaden der Armen und Bedrängten. Müssen ihre „frommen" Gegner sich nicht fragen, ob sie, die gegen politischen Mißbrauch der Theologie donnern und in der Befreiungstheologie die böse Welt wittern, sich damit vor aller Welt als „gottlose Welt" verraten? Hier spalten sich die Geister.
6. Das Zweite Vatikanische Konzil ist im besten Sinn des Wortes ein frommes Konzil. Es geht um nichts weniger als um die „Anbetung Gottes im Geiste und in der Wahrheit". Diesem Anliegen dienen vor allem die Liturgiereform und das Bemühen um echte Inkulturation der Heilsbotschaft und der Sittenlehre. Dieses Anliegen ist von den meisten Ortskirchen, von neueren geistlichen Bewegungenund nicht zuletzt auch von den Theologen leidenschaftlich aufgegriffen.
Setzt sich dieses zuletzt genannte Anliegen durch, so dürfen wir auch in bezug auf alle andren Kernpunkte des Konzils zuversichtlich sein.
P. Bernhard Häring CSsR war Moraltheologie-Professor in Rom.
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