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„Psy chotherapie wirkt!“

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Der Schweizer Universitätsprofessor Klaus Grawe (Psychologisches Institut der Universität Bern) “legte kürzlich einen Zwischenbericht über eine noch nicht abgeschlossene Meta-Analyse aller verfügbaren Studien über die Effekte verschiedener Psychotherapien vor, worin er den Beweis dafür antritt, daß Ubersichtarbeiten, die „keine durchgängige Überlegenheit einer Therapieform gegenüber einer anderen feststellen konnten“ und „eine Zeitlang wie eine gesicherte Tatsache zitiert wurden“, therapeutische Apfel mit Birnen verglichen.

Die bisherigen Methoden zur Effektmessung und Auswertung seien „ungeeignet, um tatsächlich bestehende Unterschiede aufzuzeigen. Die eindimensional quantifizierende Effektmessung macht die Frage nach der möglichen Verschiedenartigkeit therapeutischer Effekte immer zu einer Frage von Mehr oder Weniger auf einer vorgegebenen Skala. Viele Dinge in unserer Welt sind aber verschieden voneinander, ohne daß sich dies in einem Mehr oder Weniger auf einer Dimension angemessen abbilden ließe.“

Vor allem, so Grawe, habe sich „eine mit großem wissenschaftlichen Anspruch vorgetragene Behauptung über die angeblichen Effekte von Psychotherapie… als nachweislich falsch erwiesen“, nämlich „die Behauptung, die Wirkungen von Psychotherapien gingen nicht über spontane Remissionseffekte (Spontanbesserungen, Anm. d. Red.) hinaus. Diese Behauptung war auch schon 1977 falsch, als Eysenck sie noch mit Nachdruck vertrat. Dies mahnt uns zu einiger Skepsis gegenüber den Methoden, mit denen Aussagen über den angeblichen Stand der Psychotherapieforschung begründet werden.“

Der durchschnittliche Therapiepatient, so das vorläufige Ergebnis, stehe „am Ende der Behandlung besser da als 80 Prozent vergleichbarer Personen, die keine Behandlung erhalten haben. Wir können somit als wissenschaftlich erwiesen feststellen:

Ganz gleich, was untersucht wurde und wie es untersucht wurde„ es kann als effektiv angesehen werden. Kurz: Psychotherapie wirkt.

In dieser Aussage liegt eine gewisse Absurdität. Stellen wir uns vor, es käme jemand und sagte, er habe alle medizinischen Ergebnisse zusammengefaßt und sei zu der Feststellung gekommen: Medizin wirkt. Oder er habe nun wissenschaftlich festgestellt: Essen macht satt.

Wieso kann ausgerechnet im Bereich der Psychotherapie eine solche Aussage gemacht werden, ohne sich selbst als absolute Banalität zu diskreditieren? Wir stoßen hier auf einen Faktor, der die Behandlung der Frage nach den Effekten von Psychotherapie bisher maßgeblich bestimmt hat. Seit den Anfängen der Psychoanalyse hat sich die Psychotherapie immer Skepsis und Abwehr … gegenübergesehen. Die Psychotherapie hat immer unter einem Legitimationsdruck gegenüber der Öffentlichkeit gestanden, und dieser Druck besteht fort. Wissenschaftliche Ergebnisse, die geeignet sind, den Wert von Psychotherapie in Frage zu stellen, werden mit Häme und viel öfter zitiert, als ihnen nach ihrem wissenschaftlichen Gewicht zukäme.

Weitere gern zitierte Ergebnisse sind, daß Laientherapeuten gleich gute Ergebnisse erzielten wie professionelle Psychotherapeuten oder daß es nicht gelungen sei, Unterschiede in der Wirkung der verschiedenen Therapieformen festzustellen. Dies ist sicher im Zusammenhang mit einer gewissen Abwehrhaltung gegen die gleichzeitig immer stärkere Verbreitung von Psychotherapie zu verstehen.“

Grawes vorläufige Ergebnisse bedeuten eine Legitimierung des Methoden-Pluralismus in der Psychotherapie. Total auf der Strecke bleibt die Ansicht, an der Psychotherapie könne man sparen, weil sie am Schicksal der Patienten’ sowieso nichts ändere. Aber auch etwaigen Tendenzen, durch Vereinheitlichung zur „rationalisieren“, entziehen sie den Boden.

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