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Psychoanalyse genügt nicht"

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Es dauerte in der sogenannten „Schulpsychologie" — besonders im deutschen Sprachraum — außerordentlich lange, bis Sigmund Freuds psychologische Theorie zur Kenntnis genommen wurde. Mehr als z. B. in den USA wurden seine Erkenntnisse abgetan oder auch verdrängt. Sie störten das wissenschaftliche Konzept, das sich die Psychologie seit ihrer Begründung als eigenständige wissenschaftliche Disziplin selbst gesetzt hatte. Sie hatte sich als Naturwissenschaft formiert und war bestrebt, es der Physik nachzutun und durch Experiment, quantitative Analyse und mathematische Formulierung der Ergebnisse wissenschaftliche Exaktheit glaubhaft zu machen.

Voraussetzung für dieses Vorgehen wäre allerdings, daß die im Experiment untersuchten psychischen Prozesse reversible Prozesse sind, nach Belieben des Experimentators wiederholbar und auf physikalische Ursachen letztlich reduzierbar.

Der Arzt Sigmund Freud aber hatte kein Laboratorium mit Versuchspersonen, sondern er hatte sich mit menschlichen Schicksalen zu befassen; die psychischen Prozesse, die er beobachtete, sind nicht wiederholbar und damit dem Methodenarsenal der experimentellen Psychologie unzugänglich: Es handelt sich um Phänomene der lebensgeschichtlichen Entwicklung von Personen, um Ereignisse in einem Entwicklungsprozeß, der stets fortschreitet und in dem nichts wiederholbar ist. Die Probleme, die er der Schulpsychologie vor Augen führte, konnte und durfte es vor dem Forum der gängigen Methoden der Psychologie nicht geben.

Es befremdete aber nicht nur die Tatsache, daß Freud dem Psychologen zumutete, Symbole ungelöster Lebenskonflikte zu deuten, sondern noch mehr befremdete der psychische Bereich, der hier deutbar zu werden versprach: Der Bereich von Trieben, Bedürfnissen, Motiven, Gefühlen, Phantasiebildern usw. Und Freud machte es denen, die ihn ablehnen wollten, dadurch leicht, daß er in den unbewußten Quellen des Bewußtseins das Lebensschicksal der Sexuallibido zu entdecken glaubte und damit die Rede auf Probleme brachte, von denen „man nicht spricht".

Blicken wir nun in die Problemgeschichte der Psychologie zurück, so zeigt sich, daß Freuds Entdeckungen und die von ihm angeregte Bewegung der Tiefenpsychologie und Psychotherapie einen nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung der Psychologie selbst ausgeübt hat, und zwar nicht nur in einem eingeengten Bereich, den man mit Tiefenpsychologie bezeichnen könnte, sondern in vielen Disziplinen der Psychologie.

Ihr Einfluß reicht aber auch in weite Bezirke der sog. Angewandten Psychologie bis z. B. in die Psychologie der Werbung. Da sein Einfluß geschichtliche Tatsache ist, wäre es sachlich unvertretbar, diesen Einfluß zu verschweigen und so zu tun, als hätte es den Psychologen Sigmund Freud nicht gegeben.

Mir scheint, daß die Auseinandersetzung der Psychologie mit dem Werk Freuds nicht nur nicht abgeschlossen ist, sondern sich im vollen Gang befindet und hier und dort vielleicht nur mühsam begonnen hat. Dazu ist zu berücksichtigen, daß auch die weitere Entwicklung der Tiefenpsychologie und Psychotherapie, die von ihm ausgingen, steigenden Einfluß auf die Psychologie nehmen wird.

Dies ist auch der Grund dafür, daß die Vermittlung psychoanalytischer, tiefenpsychologischer und psychotherapeutischer Erkenntnisse in der Psychologieausbildung an der Universität Salzburg eine größere Rolle spielt als an allen anderen österreichischen Instituten für Psychologie und daß es unterdessen zur Gründung einer a. o. Professur für Psychoanalyse kam, die mit Prof. E. Grünewald besetzt ist, und daß auch andere ausgebildete Tiefenpsychologen in anderen psychologischen Disziplinen Lehraufgaben erfüllen.

Es wäre allerdings in Anbetracht der Gesamtaufgabe der Lehrausbildung von Psychologen sachlich unvertretbar, die ganze Psychologie auf Psychoanalyse zu beschränken, einer Orthodoxie im theoretischen Bereich Vorschub zu leisten oder gar unabhängig von der Psychoanalyse eine gesellschaftskritische Kaderausbildung zu betreiben.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Psychologie an der Universität Salzburg.

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