Der überzeugende Wahlsieg im zweiten Anlauf brachte Lech Walesa zwar 74,25 gegen 25,75 Prozent der Stimmen seines Kontrahenten, dem politischen Abenteurer Stanislaw Tyminski. Dieser Sieg bleibt aber bei einer Wahlbeteiligung von nur knapp über 50 Prozent ein Pyrrhussieg. Der erste, nach vierzig Jahren demokratisch gewählte Präsident Polens weiß, welche Aufgaben ihn in Warschau erwarten. Noch diese Woche will er dem Parlament den neuen Regierungschef vorschlagen. Den Vorsitz in der Gewerkschaftsbewegung „Solidar-nos"d" hat er bereits zurückgelegt. Als Favoriten für eine neue Führung werden zwei Gefährten Wale-sas aus seiner Danziger Zeit, Bogdan Boruszewicz und Lech Ka-czynski, genannt.
Polens politische Landschaft soll nach dem Willen des neuen Präsidenten bis zur Ausschreibung von Neuwahlen - voraussichtlich im März 1991 - gründlich verändert werden: Jan Olszewski, führendes Mitglied des Bürgerkomitees der Walesa-Gruppe wird als potentieller Premierminister genannt. Mit dem Abgang Tadeusz Mazowieckis dürfte auch sein Finanzminister Balcerowicz als möglicher Regierungschef aus dem Rennen sein. Als eventueller neuer Finanzminister gilt der bisherige ökonomische Berater Walesas, Andrzej Eysmont, der nicht zuletzt den von Mazo-wiecki und Balcerowicz eingeschlagenen harten Kurs der wirtschaftlichen Sanierung des Landes weiterführen kann.
Walesa steht unter Erfolgsdruck. Seine Übergangsregierung muß bald den Lebensstandard erhöhen. Gelingt das nicht, wird ihm ein Heer unzufriedener Polen seine Visionen von einem „Wirtschaftswunder an der Weichsel" zerstören.