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Quadratur des Vergessens

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Seit Vietnam aus den Schlagzeilen ler Kriegsberichterstattung verschwunden ist, hat die Öffentlichkeit dieses Problem bereits weitgehend vergessen. Die Vergeßlichkeit wächst im Quadrat der Entfernung, aber die kriegsversehrten Völker Vietnams spüren auch heute noch das Grauen der Vergangenheit. Allein in Südvietnam, das eine Fläche von 174.289 Quadratkilometern und eine Bevölkerung von 18,5 Millionen Menschen ausweist, lebt 1 Million Flüchtlinge. Die Mehrzahl von ihnen, nämlich 350.000, befinden sich in Flüchtlingslagern, die restlichen 350.000 sind bei Verwandten oder Bekannten untergebracht, ohne sich aber integriert su haben.

Im März dieses Jahres, also etwa sechs Wochen nach dem Waffenruhelbkommen von Paris, ist in Südviet-lam ein interministerielles Komitee gegründet worden, das sich mit der Umsiedlung und Wiedereingliederung der Kriegsopfer beschäftigt. Dieses Komitee hat nun einen ausführlichen Plan ausgearbeitet, der tron der direkten Unterstützung an Notleidende bis zur wirtschaftlichen Entwicklungshilfe reicht. Der Plan geht davon aus, daß 90 Prozent der Betroffenen Bauern sind oder waren, ;o daß die Hilfe an diesem Punkt einsetzen müßte. Vorgesehen ist ein dreifach es Programm: t Die Rückkehr von Flüchtlingen in ihr Heimatdorf, soweit dies möglich ist, steht im Vordergrund.

• Regional ausgerichtete Umsiedlung jener Flüchtlinge, die nicht nach Hause zurückkehren können, die aber nicht dort, wo sie sich jetzt befinden, integriert werden können 3der wollen, ist das zweite Ziel.

• Umsiedlung von Flüchtlingen, die swar in der Heimatprovinz leben, die aber wegen der Verfügbarkeit von Land anderswo angesiedelt werden sollen, ist gleichzeitig ein Teil der südvietnamesischen Landesplanung.

Die Umsiedlung muß aber der gegenwärtigen politischen Lage Rechnung tragen. Vor allem in den fünf Provinzen von Quang Tri, Thna rhien, Quang Nam, Quang Tin und Quang Ngai ist die politische Unsicherheit nach Ansicht der südvietnamesischen Regierung zu groß und lassen auch die Zerstörungen keine rasche Ansiedlung zu, so daß Flüchtlingen aus diesen Gebieten in den drei Südprovinzen Land zugewiesen wird. Drei Millionen Hektar unbebautes oder verlassenes Land stehen dort zur Verfügung.

Um die Umsiedlung und Wiedereingliederung der Flüchtlinge zu verwirklichen, sind der Bau von etwa 200.000 Wohneinheiten und der Anbau von etwa 240.000 Hektar Land erforderlich.

Die Kostenverteüung sieht vorläufig ein Manko von 70 Millionen Dollar vor. Die Einzelposten von Ausgaben und verfügbaren Mitteln gliedern sich wie foigt auf:

Es fehlen also — wie erwähnt — noch 70,6 Millionen. Der Regierungsbericht nennt einige Quellen, die nach offizieller Auffassung bald zu fließen beginnen werden oder deren Fluß inzwischen bereits eingesetzt bat:

Die Liste ist allerdings keineswegs vollständig, und auch jene über die bereits eingetroffenen Hilfsgüter nennt ohne Anspruch auf Vollständigkeit die Namen folgender Herkunftsländer: Kanada, Australien, Südkorea, Formosa, Japan, Schweden, Laos, USA und Großbritannien.

Der Regierungsplan sieht vor, die Rückführung der 650.000 Lagerflüchtlinge innerhalb eines Jahtes zu bewerkstelligen: 200.000 in den ersten vier Monaten, 200.000 in den zweiten vier Monaten und 250.000 im letzten Drittel. In der Zwischenzeit aber erhält jeder Lagerflüchtling täglich ein halbes Kilogramm Reis und andere Lebensmittel im Wert von 1 US-Cent. Das macht bei abnehmender Zahl der Flüchtlinge auf das Jahr verteilt 81.000 Tonnen Reis aus; mit der Zusatznahrung stellt dies einen Gesamtwert von 17,8 Millionen US-Dollar dar. Die Umsiedlungskosten sind pro Person auf 2 US-Dollar für den Transport festgesetzt. Die Nahrung beträgt für die Umsiedlungs-flüchtlinge wiederum ein halbes Kilogramm Reis pro Tag, die Zusatznahrung aber kostet 4 US-Cents, was, auf das Jahr bezogen, 50,4 Millionen ausmacht, die zur Hälfte gedeckt sind. Als drittes Kostenelement sind die Unterkünfte vorzusehen, deren Einheit für eine durchschnittlich« fünfköpftge Familie auf 100 US-Dollar veranschlagt ist, was für die insgesamt vorgesehenen 200.000 Unterkünfte einen Betrag von 20 Millionen ausmacht, der ebenfalls nur zur Hälfte gedeckt ist. Die Anbauhilfe schließlich beläuft sich pro Familie auf 40 US-Dollar, insgesamt also auf 8 Millionen, auch diese nur zur Hälfte gedeckt.

Was den eigentlichen Wiederaufbau anbelangt, so setzen sich die Investitionen wie folgt zusammen:

pro Weiler

Landerschließung 72.000 US-Dollar

Straßenbau 50.000 US-Dollar

Schule 10.000 US-Dollar Ambulanzen und

Entbindungsheime 4.000 US-Dollar Märkte 4.000 US-Dollar Verwaltungsräume 3.000 US-Dollar Wasserversorgung 8.000 US-Dollar Elektrizität 8.000 US-Dollar

Insgesamt pro

Weiler 159.000 US-Dollar

Ein Weiler ist damit im Durchschnitt für 5000 Leute mit total 1200 Hektar Land berechnet.

Als Erfolg verzeichnet der Bericht, daß seit März 1973 immerhin bereits 18.682 Familien, also 95.035 Personen, in ihre Dörfer zurückgeführt werden konnten. Angesiedelt wurden 18.682 Familien, also 95.035 Personen. Damit sind jetzt anstatt 650.000 nur noch 489.818 Personen oder 87.033 Familien in den Flüchtlingslagern untergebracht. 55.677 (9504 Familien) befinden sich auf dem Rückweg in ihre Dörfer, 47.100 Personen (11.869 Familien) sind im Begriff, sich neu anzusiedeln. Für weitere 90.348 Personen wird gegenwärtig die Rückkehr geplant, für 296.693 die Umsiedlung.

All diese Zahlen, die dem südvietnamesischen Regierungsbericht entstammen, sagen aber wenig aus über die eigentliche Not, die immer noch in diesem kriegsverwüsteten Land herrscht.

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