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Bulgarische Krise

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Noch nie seit 1989 habe ich einen einst kommunistischen Staat so bedrückt verlassen wie kürzlich Bulgarien. Dieses nur acht Millionen Menschen zählende Land, das von südlichem Licht erhellt und lebhaftem Temperament gekennzeichnet ist, zeigte sich tief verändert. Brot und Mehl waren in diesem potenten Agrarland ausgegangen. Das Benzin wurde über Nacht um das Dreifache teurer. Der Wert der Lewa stürzte innerhalb einer Woche gegenüber dem Dollar um zwei Drittel. Einige Banken waren geschlossen, andere zahlten die Einlagen bloß in Raten aus, Devisenkonten waren nur mehr in Lewa abzuheben. Die Gehälter an den Universitäten wurden verspätet ausgezahlt, die Gelder für den nächsten Monat sind nicht gesichert. Die Ursache ist klar: nachdem das kommunistische Regime die Wirtschaft durch veraltete, halb verfallene Fabriken, ein absurdes Agrarsystem ruiniert hat (Handbearbeitung der Felder herrscht vor), gab es für die Rrotkrise eine spezielle Pointe: die (altneukommunistische) Regierung hatte die vorjährige, besonders reiche Ernte ins Ausland verkauft, den Verbrauch der eigenen Bevölkerung zu gering kalkuliert. Die Folge: Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften. In den letzten zwei Jahren war die seit 40 Jahren nicht mehr reparierte Wasserleitung in Sofia total zusammengebrochen — es gab monatelang kein Wasser. Brunnen wurden reaktiviert, dann das Wasser auf Minimalzeiten rationiert. Nun ist die Lage mit dem Wasser besser, doch Mehl fehlt.

Die Folgen der vierzigjährigen kommunistischen Mißwirtschaft und die Unfähigkeit der neuen, von altkommunistischer Mehrheit bestimmten Regierung (zahlreiche Funktionäre arbeiten in die eigene Tasche) gaben der Wirtschaft den Rest. Nachdem die nach 1989 an die Macht gekommenen Demokraten sich zerstritten hatten und vom Präsidenten Schelju Scheljew, einem früheren Dissidenten, im Stich gelassen worden waren, triumphierten bei den Wahlen vor allem auf dem Land die Kommunisten. Nun ist die wirtschaftliche Katastrophe perfekt: gestoppte Reprivatisierung, Kollektivsystem, brachliegende Felder, Spekulation ehemaliger Parteifunktionäre, die im allgemeinen Chaos des Ruins dunkle Geschäfte machen. Kommen vorgezogene Parlamentswahlen? Die nächsten sind in drei Jahren. Wird das kleine und im Westen wenig beachtete Land überleben?

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