Das Problemkind

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Was ist, wenn ein Kind nicht entspricht? Man gibt es ihm zu verstehen. Eine Kolumne über Olek.

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Was ist, wenn ein Kind nicht entspricht? Man gibt es ihm zu verstehen. Eine Kolumne über Olek.

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Nennen wir ihn Olek. Er ist in der ersten Klasse. Seine Eltern kommen aus Polen. Sie arbeiten beide für internationale Organisationen in Salzburg. Olek spricht Polnisch und Englisch. Fließend. Deutsch beherrscht er weniger gut. Ja, er hat es im Kindergarten gelernt. Und im vergangenen Jahr besuchte er zweimal in der Woche einen Sprachkurs.

Dennoch sind ihm seine Mitschüler in puncto Satzbau und Vokabular voraus. Olek ist mehr als ein Kind, das nicht perfekt Deutsch spricht. Er ist lebhaft, kaspert herum, ruft im Unterricht dazwischen. Einige Buben finden das lustig. Anderen geht er auf die Nerven. Ihn in den Griff zu kriegen, ist für den Lehrer anstrengend. In seiner Klasse sitzen 25 Kinder. Jeder, der stört, ist einer zu viel.

Der Lehrer sucht das Gespräch mit der Mutter. Er erklärt, dass er Olek als Kind mit Deutschförderbedarf einstufen muss. Dann schildert er das Verhalten des Buben, sagt, es sei problematisch. Als die Mutter die Schule verlässt, weint sie. Eltern, die sie kennen, wollen wissen, was los ist. Die Frau erzählt von ihrem Kummer, fragt: „Was soll ich tun?“

Was soll sie tun? Sie soll ihr Kind dazu bringen, sich so zu verhalten, wie es die anderen gerne hätten. Sie soll ihm beibringen, sich zu fügen, sich zu beugen, sich gut zu betragen. Die Mutter hat erfahren: So wie Olek ist, ist er nicht gut genug. Vielleicht versteht er zu wenig. Vielleicht ist er einfach anders. Vielleicht ist es beides. Olek. Er sieht seine Mutter weinen. Er geht auf sie zu, schmiegt sich in ihren Arm. Olek hat verstanden.

Er hat längst verstanden, was es heißt, wenn jemand ausschert, nicht entspricht. Und man wird ihm noch oft im Leben zu verstehen geben, wie verwerflich das ist.

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