Der Maßkrug als Verrat

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Vasen können mehr, als nur gesammelt werden. Über Erinnerungen, Herkunft und Spötter.

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Vasen können mehr, als nur gesammelt werden. Über Erinnerungen, Herkunft und Spötter.

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Ich kenne außergewöhnlich viele Menschen, die ein Faible für Vasen haben. Die meisten bevorzugen gebrauchte. Sie stöbern auf Flohmärkten, „Willhaben“ oder beim 48er-Tandler. Ich nehme diese Liebhaberei schulterzuckend hin. Vasen sind für mich irrelevant. Gäbe es auf der Welt plötzlich keine Vasen mehr, es würde mir nicht auffallen.

Vasen-Sammlern fehlt hingegen das Verständnis für Menschen, die keine Vasen besitzen. Wenn sie mir Blumen mitbringen, dann gebe ich sie in einen Maßkrug. Ich habe sechs Stück. Das Bouquet stelle ich dann auf unseren Esstisch. Der stammt übrigens ebenfalls aus Bayern. Tisch wie Krüge – alles Relikte meiner Herkunft.

Mein Tun löst beim gemeinen Vasensammler meist Kopfschütteln aus. Denn bringt man ihnen Blumen, dann haben sie die Qual der Wahl. Passt die Kristallvase? Oder eine der orientalischen? Oder die Zylindervase? Eine konische? Runde? Oder die mit der strukturierten Oberfläche?

Vasiasten empfinden meinen Maßkrug als Verrat. Wer Pflanzen in einen Maßkrug steckt, gleicht einem Barbar, der Kaviar mit den Fingern aus der Dose isst.

2021 starb meine Schwiegermutter. Mein Mann musste ihren Haushalt auflösen. Wir haben uns nur wenige Gegenstände behalten. Etwa ihre Vasen. Mein Mann überreichte sie mir schmunzelnd und meinte, nun würden wir nie mehr ob unserer nicht vorhandenen Vasen aufgezogen. Die Vasen stehen nun im Kasten neben den Maßkrügen. Ein jedes dieser Gefäße steht für Erinnerungen, Gefühle, Gedanken an vergangene Momente.

Vasen werden emotional unterschätzt. Das werde ich meinen Spöttern auf die Nase binden. Die denken sonst, wir wären ihretwegen eingeknickt.

Lesen Sie auch die Quint-Essenz "Hitze im Gefecht" oder "Katzenjammer".

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