Leibhaftig provokant

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Polizisten in Springerstiefel, Dragqueens, Erwachsene, die ihretwegen durchdrehen. Und dann die Kinder, die sich einmal mehr ihr eigenes Bild von der Welt machen können. Aber: Geht es hier eigentlich um sie?

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Polizisten in Springerstiefel, Dragqueens, Erwachsene, die ihretwegen durchdrehen. Und dann die Kinder, die sich einmal mehr ihr eigenes Bild von der Welt machen können. Aber: Geht es hier eigentlich um sie?

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Ein Sonntagvormittag Mitte April. Ich sitze als Wahrsagerin auf dem Beifahrersitz. Meine Nachbarin am Steuer. Sie trägt eine grellgrüne Perücke. Pumuckl, sein Bruder, der Zauberer, und Lava-Golem sitzen hinten. Die Leute in den anderen Autos schauen irritiert zu uns herüber.

Einige Meter Luftlinie entfernt demonstrieren Rechtsextreme, Identitäre, fundamentale Katholiken, Erzkonservative. Auf der einen Seite. Anhänger der LGBTQIA+-Bewegung, progressive Elternverbände und linkslinke Weltverbesserer auf der anderen. Dazwischen stehen Polizisten in Schutzanzügen, Kampfstiefeln und mit Schlagstöcken. Alle Beteiligten fürchten um die Zukunft von Pumuckl, dem Zauberer und Lava-Golem.

Nicht im Speziellen, im Allgemeinen. Denn in der „Türkis Rosa Lila Villa“, vor der sie sich bekriegen, wird Kindern eine Prinzessinnen-Drachen-Geschichte vorgelesen. Von einem Mann, der sich als Frau verkleidet hat. Die Erwachsenen vor der Tür sehen nur die leibhaftige Provokation. Die einen, weil eine Person, die dafür eintritt, Konventionen zu hinterfragen, ein Kinderevent austragen darf. Die anderen, weil sie sich auf der guten Seite der Geschichte wähnen und der ideologische Gegner ihre Vorstellung von Erziehung verunglimpft. Die Kinder schauen irritiert aus dem Fenster. Sie wollen zuhören, nicht streiten. Sie mögen es, wenn sie jemand in die Welt der Fantasie mitnimmt. Wenn dieser Jemand auch noch märchenhafte Züge an sich hat – umso besser.

Mitnichten dient mein Wahrsagerinnen-Outfit nur als Maskerade. Die Kinder, die wegen einer Windpockenepidemie den Schulfasching verpasst haben und nun in einem Gemeinschaftsraum nachfeiern, nehmen mich in die Pflicht. Ein weißer Luftballon dient als Glaskugel. Wenn ihnen nicht passt, was ich orakle, begehren sie auf. Pumuckl und Lava-Golem bestehen auf ihre Zukunft als Swimmingpoolbesitzer. Sie und die Kinder in der bunten Villa kreieren sich ihr eigenes Bild von der Welt. Erwachsene Sichtweisen sind heute entbehrlich. Die Polizisten dagegen hießen sie willkommen. In puncto Faszination können sie mit Dragqueens mithalten. Vorausgesetzt natürlich, sie sind des Vorlesens mächtig.

Lesen Sie auch die Quint-Essenz "Solange sie Kinder sind" oder "Zeit für Elisabeth".

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