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Quo vadis, Filmwoche?

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Als im Vorjahr kurz voi; Beginn der Filmwoche ihr langjähriger Leiter Walter Talmon-Gros plötzlich verstarb, stand Mannheim vor einer Krise: wo einen neuen und ebenso fachkundigen Festivaldirektor finden? Da eine gründliche Lösung so schnell nicht zu finden war, wurde die diesjährige 23. Internationale Filmwoche Mannheim 1974 von einem mehr oder weniger provisorischen Organisationsteam veranstaltet, von Frau Fee Vaillant, den Herren Hanns Maier, Klaus Hofmann und Michael Andritzky. Ihre Namen seien deswegen hier besonders genannt, weil ihnen vor allem und eigentlich wohl überhaupt zu danken ist, daß die Filmwoche heuer durchgeführt werden konnte — und, mehr als dies, so ausgezeichnet gelungen ist, daß von einem „Provisorium” nichts zu merken war. Dies ist um so höher zu bewerten, als alle Genannten nicht hauptberuflich ihre Tätigkeit ausübten, sondern neben ihrer sonstigen Berufsarbeit.

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Als im Vorjahr kurz voi; Beginn der Filmwoche ihr langjähriger Leiter Walter Talmon-Gros plötzlich verstarb, stand Mannheim vor einer Krise: wo einen neuen und ebenso fachkundigen Festivaldirektor finden? Da eine gründliche Lösung so schnell nicht zu finden war, wurde die diesjährige 23. Internationale Filmwoche Mannheim 1974 von einem mehr oder weniger provisorischen Organisationsteam veranstaltet, von Frau Fee Vaillant, den Herren Hanns Maier, Klaus Hofmann und Michael Andritzky. Ihre Namen seien deswegen hier besonders genannt, weil ihnen vor allem und eigentlich wohl überhaupt zu danken ist, daß die Filmwoche heuer durchgeführt werden konnte — und, mehr als dies, so ausgezeichnet gelungen ist, daß von einem „Provisorium” nichts zu merken war. Dies ist um so höher zu bewerten, als alle Genannten nicht hauptberuflich ihre Tätigkeit ausübten, sondern neben ihrer sonstigen Berufsarbeit.

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Dieses vorausgeschickte Lob war notwendig für die folgende Bemerkung, die aber für den Weiterbestand der Mannheimer Filmwoche — deren Ruf eine Einstellung als geradezu groteske Dummheit erscheinen ließe! — eminent wichtig ist: so ausgezeichnet das Team arbeitete, so reibungslos noch von früher gewohnt alle Rädchen sich ineinander drehten, so unbedingt erforderlich ist es aber auch für die künftigen Mannheimer Filmwochen, daß nunmehr schleunigst ein Leiter gefunden wird, der (und dies vor allem) „verantwortlich” für die weitere Gestaltung und Programmierung der Veranstaltung zeichnet und ist. Das heißt weiter, daß er nicht nur dazu befähigt ist, ein Festival zu leiten, sondern auch daß ihm eine große Autorität eingeräumt wird, es so zu leiten, wie es zum Besten der Filmwoche ist (was nur mit eigenen Entscheidungen möglich erscheint). Nur Verantwortlichkeit bewältigt große Aufgaben — und nur Autorität ergibt die Grundlage für Verantwortlichkeit…

Diese vielleicht mißverständliche Forderung nach einer Autorität, nach einer „starken Hand” sozusagen, gibt die Überleitung zu einigen Bemerkungen über die diesjährige Mannheimer Filmwoche — deren „Mitternachts-Stammtisch”-Diskus- sionen am deutlichsten die negativen Erscheinungen der Veranstaltung demonstrierten: in diesen sogenannten „demokratischen” Aussprachen mit „Filmemachern” oder irgendwelchen Ableitern persönlichen Unmuts mit den „Filmschöpfern” erwies sich die zweihundertprozentig praktizierte deutsche Demokratie vornehmlich als Ventil politischer Ruhestörer. Alles ablehnend, was irgendwie den Verdacht ästhetischer Absichten, künstlerischer Formgestaltung oder filmisch-unpolitischer Tendenzen aufwies, kam es ihnen, glücklicherweise nur mehr einem kleinen und /im Lauf der Jahre immer kleiner werdenden Grüppchen dafür umso lautstärker auftretenden Anti- Festivaliers, nur darauf an, für Unruhe zu sorgen. (Das gab mir gegenüber in einer privaten Aussprache einer der am wütendsten gegen sogenannte „glatte Kommerzfilme” Protestierenden sogar ohne weiteres zu: „Man muß die Leute etwas durcheinander bringen!”) Und hier gehört eben jemand hin, der die Linie einer Internationalen Filmwoche durchzusetzen imstande ist. Denn sie ist keineswegs, wie einige wenige Radaumacher glauben machen wollen, eine rein politische Manifestation, sondern „ein Wettbewerb von Filmen, die nach Inhalt und Form neue Entwicklungen aufzeigen”, und findet auch keineswegs nur für ein zahlenmäßig in der Minderheit befindliches Häuflein politisch (und nur in einer bestimmten Richtung!) Engagierter, dafür Filmuninteressierter statt, sondern für eine internationale Öffentlichkeit, die an der Entwicklung des (künstlerischen) Films Anteil nimmt, darunter auch vieler Ausländer. Die Filmwoche ist nämlich nicht nur für Deutsche da und wichtig …

So war es ganz im Sinne der Veranstaltung und vom Filmauswahlausschuß in klarer Erkenntnis der Aufgabe ausgewählt, daß des „West Side Story”-Stars Richard Beymer erste abendfüllende Regiearbeit „The Innerview” (zur Überraschung und gegen die Absicht dos Schöpfers) nicht nur in Mannheim erstmals öffentlich gezeigt, sondern am Ende sogar mit dem „Josef-von-Sternberg-

Preis” („für den eigenwilligsten Film”) ausgezeichnet wurde. Beymer schuf hier mit seinem „Blick nach innen” ein ebenso verwirrendes wie faszinierendes Stimmungsgemälde mit den Mitteln des Films, eben des „bewegten Bildes”, ein Tagebuch der Impressionen, dessen Poesie, Schönheit und auch Grausamkeit sich dem willigen Zuschauer jeweils verschieden erschließen wird, ein wirklicher Avantgarde-Film, „nach Inhalt und Form neue Entwicklungen” aufzeigend … Und so gehörte genau so gut der amerikanische Erstlings-Spielfilm „Badlands” von Terence Malick zur Mannheimer Filmwoche, eine für einen Anfänger unerhört sicher und filmisch effektvoll inszenierte Jugendkriminalitäts- Studie, hinter deren romantischer und für Europäer kaum faßbarer natürlicher Grausamkeit tiefst erkanntes National-Charakter-Studium zutage tritt (Dem politische Holzhammer-Phrasen erwartenden Intoleranten muß der tiefere Sinn natürlich verborgen bleiben!).

Überhaupt die Jugendkriminalität — sie war so reichlich vertreten, daß es wohl kein Zufall war, sondern dem Kenner eine neue Filmmoderichtung oder -Strömung andeutete (daß dergleichen möglich war, zeugt von der vernünftigen und sorgfältigen Arbeit der Veranstalter!): Polens — wohl nur deshalb nicht angefeindeter Beitrag, weil es sich eben um einen „östlichen” handelte — „Aufzeichnung eines Verbrechens” von Andrzej Trzos-Rastawiecki, schließlich mit dem „Großen Preis der Stadt Mannheim” von einer sichtlich neutralen Jury bedacht, oder der ausgezeichnete Schweizer Filmerstling von Markus Imhoof „Fluchtgefahr”, der hier überraschend nahtlos kommerzielle Erfolgschancen (nicht umsonst spielt Matthias Habich eine der Hauptrollen!) mit echter, für den tiefer Sehenden klar erkennbarer Strafvollzugsproblematik zu verbinden verstand. Natürlich ein „glatter” Film — doch wären es die meisten, anderen, politischen, auch, hätten auch sie mehr Erfolg!

Eine zu Recht warnende Stimme erhob sich bei der Schlußdiskussion in den Reihen der Gewohnheitsprotestler: Mannheim, das als Kurzfilmwoche begann und als solche sich seinen guten internationalen Namen schuf, zeigte kaum noch Kurzfilme; daß es keine gibt, ist nicht glaubhaft. Das Gegenteil bewiesen eindeutig ein faszinierender, im augenblicklichen Trend untergegangener mexikanischer Film „La rispuesta” mit einer grandiosen Idee und adäquater Gestaltung oder ein paar mit Jubel aufgenommene jugoslawische Kurzzeichenfilme, was das Bedürfnis der Zuschauer nach Entspannung und Unterhaltung mehr als eindeutig bewies. Daß so wenige zu sehen waren, dürfte wohl eher daran liegen, daß die Auswahlkommission noch nicht so ganz den Mut hatte, die Konsequenzen einer Kehrtwendung zu ziehen, d. h. das Ende der sechziger Jahre von lärmenden Nichtskönnern mit politischer Zielsetzung lautstark okkupierte Feld stundenlanger phrasendreschender Agita- tions-Unfilme, eine Welle, die sich glücklicherweise ohnedies von selbst immer mehr ad absurdum geführt hat, wieder umzuleiten und allmählich wieder zur ursprünglichen Aufgabe und .Zielsetzung der Mannheimer (Kurz)Filmwoche zurückzukehren.

Daß im wesentlich kürzeren Film, d. h. also im Kurzfilm eine Aussage gestraffter und präziser formuliert und gestaltet werden muß als in einem einstündigen (tödlich-langwei- lichen) Geschwafelfilm und daher vom Filmschöpfer mehr Beherrschung der Mittel abverlangt werden, ist nur zu klar — und das ist wohl auch der Grund, daß manche Filmemacher aus Angst vor dieser Anforderung so zäh gegen die filmische Form und ihre Anerkennung und Bedeutung polemisieren und in das weite und kaum angreifbare Ge biet politischer Phraseologie flüchten. Doch diese Zeit ist vorbei — und der neuzuernennende Leiter der Mannheimer Filmwoche muß ebenso die Autorität erhalten wie den Mut besitzen, neue Wege zu gehen, die Mannheim, diese hinreißend-liebenswürdige und einstmals so wichtige Filmwochenstadt, wieder zu ihrem früheren Konzept und damit internationalen Glanz zurückzuführen. Nach diesem Jahr wäre der Weg dazu geebnet.

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