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Quo vadis, Osterreich ?

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Das steirische Karl-Kum-mer-lnstitut wollte aus den Anfängen nach 1945 Schlüsse für die Zukunft ziehen. Fazit: Unsere Demokratie leidet heute an Realitätsverlust.

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Das steirische Karl-Kum-mer-lnstitut wollte aus den Anfängen nach 1945 Schlüsse für die Zukunft ziehen. Fazit: Unsere Demokratie leidet heute an Realitätsverlust.

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Am Anfang war das Vertrauen. Und das Vertrauen war bei der Regierung. Die Österreicher hatten in der Ersten Republik ihre Lektion gelernt und erfahren, daß ihr Land auch nach der Schrumpfung von 1918 lebensfähig war.

Was nach 1945 zählte, war die Bannung der gemeinsamen Gefahr Kommunismus, die allerdings von den westlichen Alliierten kaum beachtet wurde. Ihnen ging es darum, die Sprünge und Risse in Europas Landkarte dauerhaft zu kitten, und auch, um des lieben Weltfriedens willen, durch Deutschland und Osterreich neue Grenzen zu ziehen.

„Gentlemen, in Austria the cow Stands the other way round!” So artikulierte im perfekten Idiom der damalige Außenminister Karl Gruber seine Bedenken in Washington — und wurde von Goliath verstanden. Dieser sah, wie der kleine David im südöstlichen Europa seine Kräfte sammelte: Trotz absoluter Mehrheit der OVP formierte sich eine Große Koalition, in ihrer zentralen Autorität von den Bundesländern bestärkt.

Mut gegenüber der Gefahr vom Osten, von Karl Renner vorgelebt, machte die einzelnen Bürgermeister der Russenzone zu den wahren Helden dieser jungen Zweiten Republik, die mit einer überparteilichen Gewerkschaftsbewegung und einem neuen Selbstverständnis der katholischen Kirche als Integrationsfaktor wichtige Hilfsmittel zur Gestaltung einer verheißungsvollen Zukunft in der Hand hatte.

Die Jahre des euphorischen Wiederaufbaues sind vergangen. Ingeborg Bachmanns „schönste Zeit ihres Lebens” war von ebenso kurzer Dauer, wie Gerhard Fritsch' „geradezu unösterreichische Hoffnungen” zerrannen, verdrängt von den „parasitären Sumpfblüten des Wohlstandes” (Hilde Spiel).

„Unsere Kinder sind zu bedauern. Sie haben alles und nichts.” Uberraschendes Resümee eines Tagungsteilnehmers in der Pause des Seminars, zu dem das Karl-Kummer-Institut Steiermark zum Thema „Die Zukunft Österreichs” in Graz eingeladen hatte.

Die Referenten sezierten, beleuchteten und begutachteten das 40-jährige Staatengebilde „Zweite Republik” unter der straffen Diskussionsleitung Kurt Wimmers („Kleine Zeitung”, Graz), der zeitgenössische Autoren treffend zitierte. Seine Ausführungen hätten wohl auch die Herzen jugendlicher Zuhörer aufbereitet für ein Verständnis dessen, was jener „Generation der ersten Stunde” als Patriotismus in den Schoß fiel.

Doch die Jungen fehlten. Wären sie angesprochen gewesen, und vielleicht auch gekommen, so wären auch sie von dem scheinbar zeitlosen Karl Gruber aus ihrer Abseitsstellung gelockt worden, in die allzu „subjektive Aufbereitung der Geschichte treibt”.

Im Sog irrealer Wahrheitslehren identifiziert sich die mediengerecht präparierte österreichische Seele junger Feuerköpfe allzuleicht mit dem sterbenden Baum im Lichthof eines Staatengebildes, das sich nicht wie ein Luftschloß sanieren läßt.

Mit „Leser”-Strahlen aufgezeigte ernste Verfallserscheinungen lassen folgendes erkennen:

# Diese Zweite Republik will ihren Anteil an den Verbrechen des Naziregimes, im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, verdrängen, indem sie sich in der Rolle des Hitleropfers gefällt („Man gibt der Vergangenheit einen Tritt und läßt sie liegen”, Gerhard Amanshauser).

# Die Einigkeit der staatsgründenden Parteien von 1945 ist längst einer überheblichen Selbstgefälligkeit der selben Parteien gewichen, womit die unvermeidliche Sackgasse der Demokratie erreicht ist.

# Der Fall Frischenschlager und die Krise von Hainburg mahnen zu einer mehrheitsfördernden und persönlichkeitsstärkenden Weichenstellung. Womit Norbert Leser sein Unbehagen an der Kleinen Koalition veranschaulicht.

Großes Mißtrauen

Dieses Unbehagen bestätigt der objektive Meinungsforscher — in unserer Zeit oft erhörter und meistgeglaubter Wissenschafter: Rudolf Bretschneider stellt fest, daß in Österreich die Entscheidungen nicht durch, sondern für das Volk gefällt werden. Das österreichische Mißtrauen gegen „die da oben” liegt im europäischen Spitzenfeld. Die Stammwählerzahl ist von 80 auf unter 50 Prozent gesunken.

Das Österreich des Jahres 1985 kann sich nicht länger in Selbstbestätigung ergehen, weil Neutralität und Wohlstand erreicht sind. Man soll daher nicht darauf bauen, daß in der nächsten Zukunft „die richtigen Männer zur richtigen Zeit das Richtige tun”. In der klaren Sprache des Wirtschafters stellt Josef Taus seine Diagnose zum Fall „Zweite Republik”: Realitätsverlust. Seine Therapievorschläge:

• Selbsterkenntnis: Osterreich ist ein kleiner Industriestaat, eingespannt in den Gleichschritt mit der westlichen Welt;

• Stabilisierung der Innenpolitik, den Standard halten ohne Verschwendung;

• Strukturkonserven ablegen, fremde Technik rezipieren und verarbeiten;

• Umweltpolitik dem jeweiligen Stand unseres Wissens anpassen.

Womit sich die Untersuchung über eine geschwächte österreichische Landschaft zur Expertise rundet.

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