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Rabin hatte seine Pflicht getan - er mußte gehen

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Die Zeitbombe hatte eingeschlagen. Ministerpräsident Jitzchak Rabin erklärte seinen Rücktritt. Er wirkte vor der Fernsehkamera überzeugend und erregte die Sympathie des Bildschirmpublikums. Doch die Tatsachen blieben bestehen. Dem Finanzgesetz zufolge darf kein israelischer Bürger ein Auslandskonto besitzen. Die Familie Rabin hatte deren sogar zwei.

Nach Beendigung der Mission Ra- bins als Israels Botschafter in Washington im Jahr 1973 hätten er oder seine Frau ihre amerikanischen Konten auflösen müssen. Doch die energische Frau Leah, der „Finanzminister“ der Familie, unterließ es, dem Gesetz zu entsprechen. Beide Konten lauteten auf die Namen beider Ehepartner. Frau Rabin hob bei jeder ihrer Amerikareisen einige tausend Dollar ab, um für sich und ihre Tochter die Garderobe zu erneuern. Als die Presse von den beiden Konten erfuhr, schienen darauf noch immerhin 10.000 Dollar auf. Der Beschluß des Oberstaatsanwalts, Frau Rabin vor Gericht zu zitieren, war nur das Sternchen, das die Lawine ins Rollen brachte. Rabin mußte gehen.

Sofort nach der Bekanntgabe von Rabins Rücktritt als Ministerpräsident und Listenführer der Arbeiterpartei begann der Kampf seiner Dia- dochen um das große Erbe. Als erster meldete Verteidigungsminister Shi- mon Peres seine Ansprüche an. Auf dem Arbeiterparteitag, auf dem Rabin zum Spitzenkandidaten gewählt worden war, hatte sein Gegenkandidat Peres nur 42 Stimmen weniger als Rabin erhalten. Aber der Wahlkampf Pe- res-Rabin war auch ein Ringen um die verschiedenen Ideologien innerhalb der Arbeiterpartei. Peres vertrat die „Falken“, die eine Besiedelung aller besetzten Gebiete bejahen. Oft teilen sie auch die politischen Ansichten des rechtsradikalen Likudblocks. Rabin hingegen verkörperte die Kompromißbereitschaft der „Tauben“ innerhalb der Arbeiterpartei. Nun forderte der stellvert retende Ministerpräsident und Außenminister, Yigal Allon, von den „Tauben“ als Spitzenkandidat aufgestellt zu werden. Er hatte hinter sich einen großen Teil der Rabinan- hänger, dazu die Kibbuzbewegung, und außerdem den zweiten Partner im Wahlblock der Arbeiterpartei, die halblinke sozialistische Mapam. Allon, ein geschickter politischer Taktiker, war sich dessen nicht hundertprozentig sicher, daß die 812 Mitglieder der Zentrale ihn mit Stimmenmehrheit wählen würden. Die Zeit, um die Wähler zu beeinflussen, war knapp und die Peresanhänger waren noch wohlorganisiert. Der Vorgänger Allons und ehemalige Außenminister, Abba Eban, meinte nun auch, wenn nicht Rabin, so käme eventuell er in Frage… Doch Eban war klug genug, sich zurückzuhalten und wollte fürs erste abwarten. Für eine Entscheidung blieben insgesamt vier Tage Zeit, denn am 12. April mußten die Parteilisten bei der Wahlkommission eingereicht sein. Allon fürchtete, daß seine Rechnung nicht aufgehen könnte. Dann wäre eine Spaltung der Partei fast nicht mehr aufzuhalten gewesen. Um dies zu vermeiden, brachte er einen Komp romiß Vorschlag ein, die Verwirklichung seines alten Traums: er, Allon, möge das Verteidigungsministerium erhalten und außerdem stellvertretender Ministerpräsident im nächsten Kabinett werden. Dann wäre er bereit, sich mit der Tatsache abzufinden, als Zweiter auf der Liste des Arbeiterparteiblocks aufzuscheinen. Peres sagte nicht sofort zu. Seine engsten Freunde, die ehemaligen Ben-Gurion-Jünger, waren nicht gerade begeistert, denn bisher war das Verteidigungsministerium immer in Händen Ben Gurions und danach seiner Anhänger Mosche Dajan und Schimon Peres gewesen. Doch zum guten Ende willigte Peres ein. Als Dritter soll nun Abba Eban auf der Liste stehen. Er wäre wieder Außenminister, wenn die Arbeiterpartei neuerlich die Regierung bilden sollte.

Nun meldete sich jedoch die linke Mapam zu Wort. Als erstes organisierten ihre Sympathisanten Petitionen,

die eine Rückkehr Rabins forderten. Das Ziel war klar. Die Mapam war nicht bereit, mit Peres als Listenführer im Wahlblock der Arbeiterpartei zu bleiben. Hatte doch gerade Peres mit den der Mapam verhaßten Gusch Emunim verhandelt und dieser Gruppe die Legalisierung ihrer Ansiedlung in den besetzten Gebieten ermöglicht. Ein Maximalist als Listenführer ist für Mapam nicht tragbar (eine Rückkehr Rabins ist es noch weniger).

Peres versuchte mm, seine Gegner innerhalb der Arbeiterpartei und der Mapam zu überzeugen, daß er auf jeden Fall das vom Arbeiterparteitag angenommene Parteiprogramm verwirklichen werde, auch wenn er nicht allem zustimmen könne, was von der Mehrheit beschlossen worden sei. Doch die linksorientierten Mapam- führer fürchteten nun, vollends ihr Image als linke (wenn auch nur halb- linke) sozialistische Parteimänner zu verlieren.

Die Zerissenheit innerhalb des Arbeiterparteiblocks, Rabins Rücktritt und die internen Diskussionen haben die Arbeiterpartei so geschwächt, daß viele glauben, sie werde nicht mehr die erforderliche Mehrheit erhalten, um ein Kabinett bilden zu können. Ein Abspringen der Mapam würde also diesen Block noch mehr schwächen, obwohl auch die Mapam im Alleingang nicht gerade rosige Aussichten hat. Ein Versuch mit dem sogenannten Friedenslager „Schelie“, an dessen Spitze Ljova Eliav, Mati Peled, Meir Pail und Uri Avneri stehen, alles Persönlichkeiten, die in Paris PLO-Ver- treter getroffen haben, eine gemeinsame Wahlfront zu bilden, ist daran ge scheitert, daß Mapam dennoch vor den „Ultralinken“ zurückschreckt, auch wenn es sich bei diesen nicht nur um ehemalige Kommunisten handelt.

Innerhalb der Mapam-Parteizen- trale war die Diskussion hitzig, doch zum Schluß siegte die Stimme der Vernunft. Man beschloß, im Wahlblock zu bleiben und sechs Monate nach den Wahlen erneut zu überprüfen, ob eine Zusammenarbeit mit der Arbeiterpartei sich mit den sozialistischen Prinzipien der Mapam vereinen lasse.

In der Zwischenzeit feiern die Oppositionsparteien Triumphe. Der rechtsradikale Wahlblock „Likud“ hofft, die nächste Regierung bilden zu können. Die ‘‘Demokratische Bewegung“, an deren Spitze der Archäologieprofessor Jigal Yadin steht, glaubt heute schon die einzig wahre Alternative zu sein.

Die Arbeiterpartei hat mit Rabins Rücktritt wahrscheinlich Stimmen eingebüßt. Noch ist nicht klar, ob Peres, Allon und Eban überhaupt das Rückgrat der nächsten Regierung bilden werden, doch die Popularität Rabins ist immens gestiegen. Der zaudernde Rabin wurde plötzlich zum entschlossenen starken Mann, der sich für die Taten seiner Frau, von denen er nichts gewußt hat, verantwortlich erklärte, und dies, obgleich seine Ehe nicht gerade als die beste bekannt ist. Der Frieden steht vor der Tür - Rabin hat ihn gebracht. Und gerade jetzt, vor dem Gipfel seiner Karriere, mußte dieser lautere Mann gehen, denn das Recht gilt für alle, auch für den Ministerpräsidenten.

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