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Radellos

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Ida befand mich für zu dick. Na - türlich konnte das gar nicht sein, aber so angestrengt ich auch an meinem schlanken, durchtrainier- ten, ja geradezu sehnigen Luxus- körper heruntersah, ich konnte mei- ne Füße nicht sehen. Es sei denn, daß ich mich in eine bedrohliche Vorlage brachte.

Kurzum, Training tat not. Was anderes als Radfahren kam nicht in Frage, also mußte ein Rädel her. Mein velopedales Sportgerät aus frühen Jugendtagen hatte nach Jah- ren des vereinsamten Dahinrostens im feuchten Keller schließlich den unverdienten Weg auf den Sperr- müll gehen müssen. Vielleicht be- fördert es, nunmehr pink angepin- selt, schicke Studentinnen auf ih- ren Wegen zwischenBio-Boutiquen und Frauen-Clubs. Ich jedenfalls war radellos.

Also besorgte ich mir bei einem der handlichen Geldautomaten fri- sches Bares und machte mich auf den Weg zu den Geschäften, in denen freundliche Helfer schon vor Jahren mir und meinem Sportrad Gutes getan hatten, von Nägeln durchbohrte Schläuche vulkani- siert, zersprungene Kettenglieder ersetzt, neue Bremsklötze ange- klemmt hatten und was es nicht noch alles an radlerischen Service- leistungen gab.

Doch mein Weg lief ins Leere: In den Räumen des renommierten Radsporthauses Bruskia residierte - längst - ein nach wie vor renom- miertes Bankhaus, und das Geschäft der Radfahrerwitwe Pospischil hieß nunmehr „Löwenzahn" und han- delte mit allerlei Produkten aus Hanf und Korn. Dort immerhin erklärte mir eine sanfte Stimme, daß man ökologisch aktive und energetisch bewußte Fortbewe- gungsmittel - es kann auch etwas anders geheißen haben - nirgend- wo anders als bei... (hier folgten Firma und Anschrift, die aus Grün- den des lauteren Wettbewerbes an dieser Stelle fehlen) erwerben könn- te.

Also fuhr ich mit meinem Auto (!) zu... in... (siehe oben). Meine über- empfindliche Dichterseele riet mir, meinen motorisierten Untersatz doch in einiger Entfernung vom angegebenen Radlerzentrum zu parken, und dieser Rat war auch billig, denn ich hätte ohnedies kei- nen Parkplatz gefunden. So weit das Auge reichte, reihte sich Auto an Auto, alle mit Radträgern auf dem Dach oder mit Radanhängern im Schlepp. Die wenigen freien Flächen dazwischen waren mit Rädern aller Typen, Größen, Far- ben vollgestopft.

Nicht besonders gut erkennbar, aber irgendwo in der Mitte schien sich da das Radlerzentrum zu be- finden, das sich beim Näherkom- men - was einiger Zeit und An- strengung bedurfte - als ein velozi- pedes Einkaufszentrum von der Größe mehrerer Mehrfachsporthal- len entpuppte. Ich bahnte mir den Weg durch Ströme von teils sport- lich-bunt, teils engagiert-farblos gekleideten Massen jeglichen Al- ters und Geschlechts und reihte mich hoffnungsfroh in eine Schlan- ge ein, von der ich annahm, daß sie irgendwann und irgendwo bei ei- nem Verkäufer, vielleicht sogar bei einer Verkäuferin, endete. Interes- siert folgte ich den Gesprächen sportlicher Jugendlicher vor mir. Ich hörte was von innenbelüfteter Doppelbackenhydraulikvorder- bremse, von teleskopverstärkter Vierzehngangschaltung nach dem Doppler-Hoppler-Prinzip mit seit- lich aufgehängten Mittelrohrrah- men. Das alles schien mir recht plausibel und ich hoffte nur, daß meine Barschaft reichte.

Hinter mir berichtete ein Jute- sackträger einer naturbelassenen Dame mit lila Wollmützchen von einer „echt totalen" Solidaritäts- fahrt in die Toskana und von einem neuen Brennesselextrakt, der sich gleichermaßen als Sonnenschutz- mittel wie als Weichmacher für Fahrradsättel aus tierschützendem Gnuleder, ja sogar als Remedur gegen Tränengasangriffe von „Bul- len" (?) bewährt hätte. Ich zog den Erwerb eines solchen Wundersaf- tes ernstlich in Erwägung und schon - es waren kaum drei bis vier Stun- den vergangen - war ich bei den Verkaufsmenschen angelangt. Sie fragten mich freundlich nach mei- nem „Anliegen", und als ich nicht gleich antwortete, halfen sie mir: „Willst Du Bäume retten oder Tiere schützen? Bist Du Umwelthelfer oder Kraftwerksgegner? Engagierst Du Dich für die Tropenwälder oder für das Augebüsch?" Wale, Robben, Kondor und Zaunkönig wurden zur Rettung angeboten und auch Hu- manitäres zur Disposition gestellt: alternativ könnte ich Armut lin- dern, Entwicklung fördern und der Emanzipation zum Sieg verhelfen. Auf den schüchternen Einwand, daß ich ein Fahrrad erwerben wolle, um damit radzufahren, wurde nicht näher eingegangen.

Statt dessen wurde mild gelächelt und mir ein mehrseitiger und eng betippter Fragebogen auf rauhem grauen Papier in die Hand gedrückt. Bevor ich noch eine Zusatzfrage anbringen konnte, hatte sich die engagierte Aufmerksamkeit der Fragebogner schon den nächsten Petenten zugewandt, und ich be- fand mich in einer Gruppe reich- lich Verzweifelter, die sich - offen- bar schon stundenlang - bemühten, ihren Fragebogen voll zu bekom- men. Ich schloß mich ihnen an. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Seither sind Monate vergangen. Ich bin zwar immer noch radellos - und folglich, zumindest nach Ansicht von Ida, zu dick, aber ich bin auch stolzes Mitglied im ÖRMTC, dem österreichischen Radfahrer-, Muli- reiter- und Tretbootfahrer-Club.

Und das ist immerhin ein An- fang.

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